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Predigten

Zukunft sprosst schon

Predigt von P. Fidelis Ruppert am 5. Fastensonntag

Schwestern und Brüder,

im Text des heutigen Evangeliums stimmt etwas nicht. Da geht es um Ehebruch, aber es ist nur von einer Frau die Rede. Wo ist denn der Mann? Komisch! Erst wenn auch er da wäre, könnte man klar die Schuld feststellen.

Die Schuld feststellen!? – Aber anscheinend geht es bei diesem Text gar nicht darum, Schuld festzustellen, schuldig zu sprechen.

Die Ältesten und Pharisäer, ja, die wollen einen Schuldspruch. Als sie keine Ruhe geben, sagt Jesus nur: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Damit lenkt er die Aufmerksamkeit auf einen anderen Aspekt: Wenn wir über jemanden urteilen wollen, sollten wir bedenken, dass wir selber auch nicht ohne Schuld sind.

In der Benediktsregel gibt es einen ähnlichen Gedankengang. Benedikt sagt, wenn der Abt einen Bruder strafen muss, solle er bedenken, dass er auch selber seine Schwächen hat. Das bedeutet nicht, dass er nicht strafen soll, aber der Blick auf die eigenen Fehler und Schwächen soll nachsichtig und mitfühlend machen gegenüber einem Schuldigen. Niemand ist ganz ohne Schuld.

Jesu Antwort, wer unschuldig ist, solle doch den ersten Stein werfen, hat durchschlagende Wirkung. Alle Ankläger verziehen sich, die Ältesten zuerst. Es dämmert ihnen wohl, dass sie auch keine Unschuldslämmer sind.

Aber damit ist unsere Geschichte noch nicht zu Ende. Es geht um mehr. Bezeichnend ist eine Bemerkung, die gleich zweimal vorkommt, nämlich: Jesus sagt nichts auf die Anklage der Alten, sondern bückt sich und schreibt auf die Erde, in den Sand. Was hat er da wohl geschrieben? Man weiß es nicht. Die Bibelausleger haben viele Theorien aufgestellt. Mir leuchtet ein Hinweis ein, der schon von Theologen der frühen Kirche vorgetragen wurde. Sie verweisen auf den Propheten Jeremia (17.13) wo Gott sagt: „Die sich von mir abwenden, werden in den Staub geschrieben.“ D.h. die haben keinen Bestand. Was in Sand geschrieben ist, bläst der Wind weg.

Dazu passt eine bekannte kleine Geschichte: Zwei Freunde wandern durch die Wüste. Sie bekommen Streit und der eine Freund schlägt dem anderen ins Gesicht. Der, der geschlagen wurde, sagt kein Wort, sondern schreibt in den Sand: „Heute hat mir mein bester Freund ins Gesicht geschlagen.“

Sie gehen weiter und kommen zu einer Oase. Im dortigen See wollen sie ein Bad nehmen. Der, der ins Gesicht geschlagen wurde, droht plötzlich im Wasser unterzugehen, aber sein Freund rettet ihn. Nach seiner Rettung schrieb der Gerettete auf einen Stein: „Heute hat mir mein bester Freund das Leben gerettet.“

Der andere, der ihn geschlagen und ihm jetzt das Leben gerettet hatte, fragte: „Als ich dich geschlagen hatte, hast du in den Sand geschrieben und nun schreibst du auf einen Stein, warum?“

Sein Freund antwortete: „Wenn dich jemand verletzt hat, schreib deinen Schmerz in den Sand, damit der Wind den Schmerz aus deinem Gedächtnis fortweht, aber wenn dir einer etwas Gutes getan hat, dann schreib es in Stein, damit die Erinnerung niemals vom Wind mitgenommen wird.“

Hat Jesus – im Anschluss an Jeremia – etwas Ähnliches sagen wollen? Er sagt ja nicht, die Frau sei unschuldig, aber er will sie auch nicht verurteilen. „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ 

Er legt diese Frau nicht auf ihre Vergangenheit fest, sie darf die Vergangenheit hinter sich lassen, weitergehen und von jetzt an neu anfangen. Jesus ermutigt sie zu einem besseren Leben und öffnet ihr so einen Weg in die Zukunft.

Es kann sehr billig sein, einem Menschen immer wieder seine früheren Verfehlungen vorzuhalten und ihn darauf festzulegen, als wäre dieser Fehler oder dieses Vergehen das einzig Wichtige in seinem Leben gewesen.

Es ist ja gut, wenn wir all das Böse und Verkehrte – bei anderen und bei uns selber – nicht einfach unter den Teppich kehren, sondern es anschauen, Konsequenzen ziehen. Aber dann muss sich wieder Neuland öffnen, dann brauchen wir wieder Zukunft – zum Weitergehen und Weiterwachsen.

Ähnliches Neuland öffnet sich auch für Paulus, wie er in der Lesung sagt: „Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist.“ Er weiß, dass er früher grausam die Christen verfolgt hat und auch sonst im Leben schuldig geworden ist. Aber jetzt streckt er sich ganz nach der Zukunft aus, nach den neuen Möglichkeiten, die sich ihm auftun. Ich vergesse…..

„Christus will ich erkennen“, sagt er, „und die Macht seiner Auferstehung.“ Die Macht der Auferstehung Jesu kennenlernen! ein gewaltiges Wort, das wir uns merken können. Die Macht der Auferstehung kennenlernen, sie erfahren! Ob da bis Ostern bei uns etwas aufbricht, oder wenigstens zu sprossen beginnt?

Um das Sprossen geht es heute in der Lesung aus dem Propheten Jesaja, die wir jetzt nicht gelesen haben. Dort sagt Gott (43,18): „Siehe, ich mache etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?“ Das fragt er uns, das fragt er mich: „Es sprießt doch schon, merkst du es nicht?“

Merke ich, dass da in mir etwas aufsprießen, aufbrechen will? Es muss noch nicht die volle Macht der Auferstehung sein. Aber spüre ich, dass etwas in mir neu werden, hervorkommen will? Etwas, das mir im Chaos unserer Welt neuen Mut machen kann, neuen Horizont eröffnet, so wie sich für die Frau im Evangelium wieder ein neuer Horizont eröffnet hat.

Was will denn da in mir ans Licht? Was sprosst denn da und will aufbrechen?

Nicht erst an Ostern.

Vielleicht heute noch – oder gleich jetzt…..