„Wir wohnen im Heiligen Land“
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Mitbrüder,
waren Sie schon einmal in Bethlehem – im Heiligen Land?
Wenn man nach Bethlehem kommt und an die Orte, wo Jesus lebte und wirkte, wo er gekreuzigt wurde und auferstand, da ist es ganz und gar nicht besinnlich und ruhig, am ehesten noch am See von Genezareth.
Jerusalem, Bethlehem und Nazareth sind pulsierende Städte, mit viel Verkehr, Hupen, Lärm, vielen Menschen, die ihrem Handel nachgehen, selbst an heiligen Stätten.
Und überall im Heiligen Land sind die politischen Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern spürbar.
In diesem Advent war ich in Afrika, in Kenia und Uganda. Da war im öffentlichen Leben überhaupt nichts zu spüren von Advent, ganz zu schweigen von Weihnachtsbeleuchtung, Weihnachtsmärkten, Glühwein und Lebkuchen.
Es war heiß und schwül. Nichts deutete darauf hin, dass Advent und bald Weihnachten ist. Im Vorbeifahren sah ich zwei kleine verbogene Plastik-Christbäumchen vor einem Laden stehen.
In Kenia besuchte ich ein kleines Kloster unserer Kongregation, Nanjuki, direkt am Äquator. Dort haben die Mitbrüder auf ihrem weitläufigen Gelände eine Ausstellung eingerichtet, die „Bible on the Ground“ heißt.
Auf Tafeln, Bildern, Skulpturen am Weg, in Hütten, mitten in der Landschaft werden Szenen und Botschaft des Alten und des Neuen Testaments dargestellt und beschrieben. Sie werden bildlich und mit Fragen in die Realität des Alltags der Menschen in Ostafrika übersetzt. Die vielen Menschen, die durch dieses Areal gehen, sind sehr beeindruckt und berührt. Es erinnerte mich etwas an unsere Jubiläumsausstellung „Glaubenszeichen in 1200 Jahren“ hier in den Seitenkapellen.
Interessant war, dass der Mitbruder, der uns führte, immer wieder betonte, dass das Heilige Land hier in Afrika ist. Dass Afrika, Kenia, Nanyuki „the ground“, der Grund ist, wo das alles geschieht. Da, wo wir leben, ist Heiliges Land, der Grund, auf dem wir stehen, ist heiliger Boden.
Man könnte sagen die Botschaft der Heilige Schrift wird am dem Ort Realität, wo wir heute leben, in unserem Alltag,
Und wenn wir heute Weihnachten feiern, liebe Schwestern und Brüder, dann meint das genau das Gleiche: „Bible on the Ground“ - geerdete Bibel, das Wort wird Fleisch, Gott wird Mensch.
Unsere Familie ist heilige Familie, meine Wohnung, unser Kloster, ist der Stall von Bethlehem, wo Ochs und Esel wohnen; wo ich lebe, ist der Ort des Geschehens!
Aber, wie kann ich es erfahren?
Indem ich die Tür aufmache. „Ich stehe vor der Tür und klopfe an“ - so haben wir im Advent oft gehört. Jesus sagt selbst, „wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem will ich eintreten und wir werden Mahl halten. Ich mit ihm und er mit mir“.
Es geht eigentlich nur darum, Jesus die Tür auf zu machen in meinem Leben. Mich zu öffnen für Gott. Das meint, mich zu öffnen für Andere. Auch gerade denen, die anders sind.
Oft findet sich heiliges Land, heilige Familie, Bethlehem gerade da, wo ich es nicht erwarte und kommt gerade Christus da zu mir, wenn ich nicht mit ihm rechne.
Da entdecke ich ihn im Straßengewirr von Nairobi oder von Kampala auch ohne Weihnachtsbeleuchtung - in den Kindern, die herum tollen, in den Jugendlichen, die Fußball spielen, in dem Behinderten auf dem Boden am Straßenrand, in der Frau, die an der Straße Früchte verkauft, im eifrigen Händler, der seine Waren anpreist, und selbst im mürrischen Zollbeamten – es liegt an mir, ihn zu entdecken.
Waren Sie schon einmal in Bethlehem?
Im Schwarzwald bei Pfullendorf gibt es einen kleinen Weiler, der heißt Bethlehem. Es gibt Legenden, wie es zu dem Namen dort kam, und die Leute sagen dort: Wir wohnen in Bethlehem.
Liebe Schwestern und Brüder, das dürfen auch wir sagen.
Wir wohnen in Bethlehem. Wir wohnen im Heiligen Land - weil da, wo ich wohne, wo ich die Tür aufmache, den Stall öffne, das Herz öffne, da ist Weihnachten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen gesegneten Heiligen Abend in Ihrem Bethlehem. Amen.
Abt Michael Reepen OSB