Gegenseitig gebären
Predigt von P. Fidelis Ruppert OSB am Fest der Heiligen Familie.
Schwestern und Brüder,
eigentlich geht es heute offiziell um die sog. Heilige Familie: Jesus Maria Josef. Aber die Lesung aus dem Kolosserbrief spricht ganz allgemein von Familie, nämlich wie Mann und Frau und Kinder sich verhalten sollen, und was für ein gutes Miteinander notwendig ist. Einige dieser Hinweise möchte ich aufgreifen.
Nach einer einleitenden Ermahnung, barmherzig, gütig und geduldig zu sein, kommt eine sehr gewichtige Aufforderung: „Ertragt einander und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat.“
Der Text setzt offenbar voraus, dass alltägliche Spannungen normal sind und dass man allerhand aneinander ertragen muss. Der Text sagt aber nicht: Wenn dein Bruder dir etwas antut, dann ertrage ihn, sondern er sagt: ertragt einander, ertragt und verzeiht euch gegenseitig. Beide Seiten sind gefordert, damit es klappt.
Dazu eine kleine Geschichte aus dem frühen Mönchtum: Zwei Einsiedler wohnten zusammen in einer Hütte in der Wüste. Aber sie hatten ständig Streit miteinander. (d.h.: so arg fromm waren sie wohl nicht!) Eines Tages sagte der eine: „Wie lange soll das so noch weitergehen?“ Da machte der andere einen Vorschlag und sagte: „Ertrage du mich, wenn ich dir lästig falle, und wenn du mir lästig fällst, will auch ich dich ertragen." Sie machten es so, heißt es dann weiter, und sie lebten von da an in Frieden.
Also: ich ertrage dich und du erträgst mich. Wahrscheinlich klingt das einfacher, als es in der Praxis ist, aber es zeigt: Schieflagen in einer Beziehung kommen nur dann wieder ins Gleichgewicht, wenn beide Seiten dazu beitragen.
Dazu hatte ich mal eine peinliche Erkenntnis. Als ich noch im Amt war, dachte ich eines Tages darüber nach, wieviel ich aushalten und ertragen muss und dass das manchmal einfach wehtut. Plötzlich stieg in mir die Frage auf: Gibt es wohl auch Mitbrüder, die mich aushalten, die mich ertragen müssen – über Jahre hin?
Da bin ich erschrocken, denn es fielen mir gleich einige ein, die es mit meiner Art sicher nicht so leicht haben und mich einfach ertragen müssen. Das hat mich nachdenklich gemacht – und bereitwilliger, manches ruhig zu ertragen, und anderen zu verzeihen, dass sie so sind, wie sie sind, und auch darauf zu achten, dass ich anderen nicht zu sehr auf die Nerven falle.
Die heutige Lesung formuliert also etwas ganz Entscheidendes: Ertragt einander, ertragt und verzeiht euch gegenseitig. Das ist das Band der Liebe.
Weiter geht es dann in unserem Text um das Verhältnis von Mann und Frau und Kindern. Da heißt es zunächst: „Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt!“ Das ist ein Text, der heute überhaupt nicht mehr geht, ein richtiger Aufreger. Entschuldigend könnte man sagen, dass Paulus hier nur etwas sagt, was in damaliger Zeit allgemeine Ansicht war.
Aber: Er belässt es nicht dabei, sondern fügt sofort eine Mahnung hinzu: „Ihr Männer aber, liebt eure Frauen und seid nicht erbittert gegen sie!“ Es gibt keinen Freibrief für die Männer, sie müssen ihre Frauen lieben und gut mit ihnen umgehen. Wir würden uns heute passendere Worte, weitergehende Forderungen wünschen, aber es ist bezeichnend, dass Paulus ausdrücklich auf gegenseitigem guten Verhalten besteht, und nicht – wie damals üblich – die Frau nur Pflichten, der Mann nur Rechte hat. Gegenseitigkeit wird hier gefordert.
Ergänzend können wir den Brief an die Epheser (5,21-28) hinzunehmen, wo es um dasselbe Thema geht. Auch dort bringt der erste Satz das alte Klischee: „Ihr Frauen ordnet euch den Männern unter wie dem Herrn.“ Aber dann sagt er den Männern: „Liebt eure Frauen, so wie auch Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat.“ Das ist stark. Seine Frau so lieben, wie Christus liebt, und mit der Bereitschaft, sogar das Leben für die Frau zu geben. Ein starkes Wort für Ehemänner – zum Nachdenken und Aufrütteln.
Und dann setzt er noch eins drauf und sagt, der Mann solle die Frau lieben „wie sich selbst, wie seinen eigenen Leib“. Das ist eine gewaltige Herausforderung – für ein liebendes Miteinander.
Abschließend heißt es dann noch: „Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem!“ Das ist wieder so eine alte, klischeehafte Aussage, aber sofort werden dann die Väter ermahnt: „Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden!“ Moderne Pädagogik wüsste da noch mehr zu sagen, aber wieder geht es dem Apostel um Gegenseitigkeit, um respektvolles Füreinander.
Zu all diesen Gedanken passt eine Weisheit aus afrikanischer Tradition, wo man sagt, dass durch alles, was zum Wohl eines Menschen getan wird, dieser Mensch neu gezeugt oder neu geboren wird. Dazu gibt es dann überraschende Formulierungen:
So kann z.B. der Vater den Sohn gebären, wenn er dessen Entwicklung fördert. Und der Sohn kann den Vater gebären, weil der Vater auch selber wächst und reifer wird, wenn er gut für den Sohn sorgt. Also der Vater wächst am Sohn. Oder die Großmutter kann zum Enkel sagen: „Du hast mich geboren“, weil die Oma durch den Enkel wieder lebendig geworden ist.
Das klingt etwas fremd und ungewohnt, ist aber anregend. Das gute Miteinander in der Familie wird hier also verstanden als ein Lebensprozess, ein ständiger Wachstumsprozess, bei dem alle Beteiligten gefördert und reifer werden, und sich gegenseitig immer neu zeugen und gebären. Neu werden – immer neu gebären und immer neu geboren werden.
Passt so ein Gedanke nicht gut zum Ende des Jahres? Vielleicht könnten wir uns zu Neujahr nicht nur „Einen guten Rutsch!“ oder „Hauptsach‘ gsund!“ wünschen, sondern auch: „Ich wünsche Dir viel Gebären und Geborenwerden – das ganze Jahr hindurch.“
Das wäre dann ein Jahr des Heiles – ein Jahr voller Leben….