Freier Zugang zu Gott
Predigt von P. Fidelis Ruppert OSB am 5. Ostersonntag
Schwestern und Brüder,
der Weinstock aus dem Evangelium könnte zur Betrachtung einladen. Aber bei der Vorbereitung, bin ich an der Lesung aus dem 1. Johannesbrief hängengeblieben. Da möchte ich einige Worte herausgreifen:
„Wenn unser Herz uns verurteilt, Gott ist größer als unser Herz, ER weiß alles.“
Also: Gott weiß alles. Das erinnert mich an einen lockeren Spruch aus meiner Jugend: „Gott weiß alles, aber er petzt nicht.“ Er weiß, aber er verrät uns nicht. Er kann über vieles hinwegsehen.
Wir denken oft so klein von ihm, als würde er misstrauisch-kleinkariert auf uns herabschauen. ER ist größer als unser Herz, nicht engherzig, er hat kosmische Weiten. Aus unendlich weiten Räumen schaut er zu uns her und umfängt doch auch ganz nah unser Herz.
Mancher von uns kennt wohl diese Erfahrung: Wenn man innerlich bedrückt ist und etwas traurig in die Nacht hinausgeht und dann plötzlich unter einem strahlenden Sternenhimmel steht, da geht das Herz auf, es wird weit, die Sorgen werden kleiner, angesichts der unendlichen Weiten und der lautlosen Stille. Vielleicht sollten wir öfters mal mit ausgebreiteten Armen unter dem Sternenhimmel stehen, um zu spüren, dass Gott größer ist als unser Herz, weiter – und uns trotzdem in der Tiefe unserer Seele anrühren kann.
Noch ein weiteres Wort hat mich angesprochen: „Gott gegenüber haben wir Zuversicht.“ Was meint „Zuversicht Gott gegenüber“? Es meint wohl, wir können ruhig und angstfrei vor Gott hintreten. Es kann noch mehr bedeuten. Im griechischen Urtext steht Parrhesia. In der klassischen Antike meint es das Recht des freien Bürgers, in Freiheit öffentlich zu reden. Deshalb wird manchmal übersetzt: „wir reden freimütig zu Gott“. Wir dürfen freimütig, selbstbewusst Gott gegenübertreten, auf Augenhöhe mit dem großen Gott verkehren.
Manche übersetzen diesen Ausdruck: „Wir haben freien Zugang zu Gott.“ Wir können ohne weitere Vermittlung direkt mit Gott verkehren. Oft brauchen wir ja eine Vermittlung. Wir brauchen Priester, wenn es um Eucharistie oder Beichte geht. Diese Vermittlung steht heute in der Kritik, weil sie zu gefährlichem Klerikalismus führen kann. Das muss ich jetzt nicht weiter erläutern.
Aber in diesem Zusammenhang wird oft der 1. Petrusbrief oder die Offenbarung des Johannes zitiert, wo es heißt, dass alle Christen ein Geschlecht von Königen und Priestern sind. Man spricht dann vom allgemeinen Priestertum, was nicht bedeutet, dass jetzt alle Eucharistie feiern und Beichte hören können oder sollen. Auch dazu gibt es ja viele Debatten.
Ich möchte hier nur auf eine Deutung hinweisen, die wir aus der Frühzeit des Christentums kennen. Theologen wie Gregor der Große oder Origenes sagen, jeder Christ könne und solle ein Priester seines eigenen Herzens sein. Heute würden sie hinzufügen, dass auch jede Christin Priesterin ihres Herzens ist. Und was ist damit gemeint? Es geht um das, was man oft „das innere Heiligtum“ nennt, jener Ort in uns, wo Gott wohnt, in der Tiefe unserer Seele. Und dann sagt Origenes: „Als Priester deines Herzens sorge dafür, dass auf dem Altar deines Herzens immer Feuer brennt und dass dieses Feuer nie ausgeht.“
Und wie kann man dafür sorgen, dass das Feuer nicht ausgeht? Gregor der Große sagt, man solle im Herzen Glaubens-Erfahrungen sammeln, anregende Worte der Schrift, eigene Erfahrungen oder Erfahrungen anderer Menschen. Die Erinnerung an solche Erfahrungen hält das innere Feuer wach.
Dazu gibt es einen Text von einem Wüstenvater. Er sagt, der Teufel habe dem Hiob zuerst seine Besitztümer genommen, dann auch noch seine Gesundheit, aber Hiob habe alles geduldig ertragen, ohne zu klagen. Dann kommt die Begründung: „Er hatte in seinem Innern viel von dem, was von Gott stammt, und davon ernährte er sich ohne Unterlass.“ D.h. Er ernährte sich von bisherigen Erfahrungen mit seinem Gott, Erfahrungen, die er im Laufe seines Lebens angesammelt und innerlich gespeichert hat. Deshalb ging das innere Feuer nicht aus, trotz aller Schicksalsschläge. Ein anderer Mönchsvater kommentiert dazu: „Selig, wer seinen Schatz in sich hat, und sich nicht von außen versorgen muss!“
Hier können wir an uns selber denken. Wenn wir immer noch da sind, immer noch in die Kirche gehen und Liturgie feiern, trotz allem, was uns im Leben schon getroffen hat, trotz allem, was uns an unsrer Kirche ärgert und mutlos machen könnte, dann sind wir doch wohl deshalb noch hier, weil sich im Laufe der Zeit einiges an wertvollen Erfahrungen mit Gott innerlich angesammelt hat, das uns hilft und nährt, wenn von außen nur Unverdauliches auf uns einstürmt. Wir leben in stürmischen Zeiten.
Da ist es gut, sich häufig an all das zu erinnern, was wir schon mal als hilfreich und belebend erfahren haben. Man kann auch mal schriftlich auflisten, wo wir geistlich angerührt wurden, an bestimmten Orten, durch Texte, Bilder, Lieder; wahrscheinlich ist es eine ganze Menge, und dann haben wir es immer zur Hand, wenn wir Kraft und Ermutigung brauchen.
Zu diesem inneren Schatz, zu diesem inneren Heiligtum haben wir immer freien Zugang, und das Erinnern kann das Feuer neu entfachen. Wenn wir uns z.B. allein und wie in einer Wüste fühlen, können wir mal die Hand auf die Brust legen und nach innen schauen, wo so viel gute Erinnerungen gesammelt sind und Gott selbst in der Tiefe unseres Herzens wohnt.
Abschließend könnten wir sagen: zwei Gedanken, zwei Gebärden können uns Kraft und Mut schenken: die Arme ausbreiten und an die kosmische Weite Gottes denken, der größer ist als unser Herz; dann die Hand aufs Herz legen und wissen, dass wir in unserem Inneren einen reichen Erfahrungsschatz mit unserem Gott haben, der selber in der Tiefe unseres Herzens wohnt.
Mit solchen Erfahrungen können wir auch in stürmischen Zeiten getrost weitergehen…..