vivant, crescant, floreant
Predigt von P. Placidus Berger OSB am Hochfest der Geburt Christi.
Die Evangelisten Matthäus und Lukas berichten uns über die Geburt Jesu im Gewand von zwei wunderschönen Märchen, die allerdings so verschieden sind, dass man fast das Gefühl haben müsste, es handle sich um zwei verschiedene Biographien. Aber diese erzählerischen Ausschmückungen haben es in sich. Sie entfalteten in der Kirchengeschichte eine Wirkung, dass man nur voll Verwunderung zuschauen kann. Man fragt sich, ob da vielleicht gar der Hl. Geist mitgewirkt haben könnte. Denn der kann auch aus Märchen noch was rausholen.
So regten diese Geschichten die Künstler so stark an, dass eine Unmenge von darstellender Kunst und Musik, ja sogar von Volksfrömmigkeit entstanden ist, die man als einzigartig bezeichnen kann. Wir profitieren selbst heute noch davon, was man daran sehen kann, dass an Weihnachten die Kirchen sich höherer Besuchszahlen erfreuen als an den übrigen Festen des Kirchenjahres. Selbst das Märchen von Hänsel und Gretel ist zu einer Weihnachts-Oper geworden, das Jahr für Jahr Familien mit ihren Kindern in die Konzertsäle führt. Und auch bei mir rühren sich romantische Gefühle, wenn ich das Abendgebet in dieser Oper von Engelbert Humperdinck, eines Schülers von Richard Wagner, im Fernsehen mitverfolge.
Nun gab es aber damals noch zwei andere heilige Schriftsteller, zwei Kapazitäten, die mit Märchen nichts anzufangen wussten: die Apostel Johannes und Paulus. Diese waren tief-schürfende und seherisch begabte Denker, deren Horizont weit über Jerusalem und Nazareth hinausging. Und mit Sicherheit hat auch bei denen der Hl. Geist mit weit-umfassenden Einsichten mitgeholfen. Er führte sie hinüber in die außerweltliche Transzendenz, den Uranfang von allem, man könnte auch sagen in die Ur-Geburt der ganzen Schöpfung, von der die Geburt in Betlehem nur ein irdisches Abbild ist. Sie sahen in Visionen eine in der Ewigkeit sich dauernd, und daher auch von Anfang an sich ereignende Zeugung und Geburt im göttlichen Bereich. Ein Schlüsselwort bei ihnen heißt: „PrwtotokoV“, der Erstgeborene.
Und jetzt kann ich die Klassischen Philologen unter euch sogar noch mit einem Extra-Schmankerl erfreuen. Das griechische Wort, das im NT gebraucht wird heißt nicht wie sonst in der Philosophie Protogenomenos, sondern Prototokos, mit dem großen Unterschied, dass es nicht nur Erstgeborener bedeutet, sondern auch Erst-Gebärende(r) oder Ersterzeuger. Wenn also daher von Erstgeborenem der Schöpfung die Rede ist, dann heißt dies zugleich, er ist derjenige, der die ganze Schöpfung hervorgebracht hat. Dass das griechische Wort diese Bedeutung hat, kann man nicht nur im griechischen Lexikon nachlesen, sondern auch daran, dass für Maria dasselbe Wort gebraucht wird, wenn von Gottesgebärerin (Theotókos) die Rede ist. Es hat als männliche und weibliche Bedeutung.
Dass dies eine Menge kleinkarierter Geister unter den Gläubigen in Verwirrung bringen könnte, lässt sich denken.
Und jetzt mache ich einen großen Sprung von dreihundert Jahren in die Zeit des ersten christlichen Kaisers Konstantin. Er wollte die damals schon gespaltene Christenheit zusammenführen und hat daher ein Konzil einberufen. Es lag ihm daran, dass wirklich alle Bischöfe seines Reiches zusammenkamen, und daher hat er die Kaiserliche Post beauftragt, selbst die Bischöfe aus entferntesten Gebieten wie Spanien mit den Postfahrzeugen kostenlos nach Nikaia in Kleinasien zu bringen. Man kann heute noch nachlesen, wie ungeheuer manche Provinz-Bischöfe beeindruckt waren, als der Kaiser mit all seiner Pracht das Konzil eröffnete. Und es gelang ihnen zusammen mit einem nachfolgenden Konzil das Mysterium des als Mensch geborenen Gottes und Schöpfers auf eine kurze aber feierliche Formel zu bringen, bei der mir heute noch ein Schauer über den Rücken läuft, wenn ich sie im großen Lateinischen Glaubensbekenntnis singe:
Höret also mit betend bewunderndem Verstand zu! Ich versuche euch diese erhabenen Worte mit gebotener Feierlichkeit vorzutragen.
„Aus Gott geboren vor aller Zeit
Gott von Gott
Licht vom Lichte
wahrer Gott vom wahren Gott
gezeugt nicht geschaffen
eines Wesens mit Gott
durch ihn ist alles geschaffen worden
die sichtbare und die unsichtbare Welt
und er ist sogar durch eine Geburt Mensch geworden.“
Diese Worte sind die fundamentale Aussage zu Weihnachten. Wie tiefe bedeutungsvolle Glockenschläge erklingen diese Worte durch die christlichen Jahrhunderte hindurch. Mögen sie noch vielen Geschlechtern gläubiger Christen göttliche Mysterien verkünden und den Christen zeigen, dass alle Menschen durch Geborenwerden und Gebären gottähnliche Eigenschaften haben, die es zu pflegen und fördern gilt. Die heiligen Berge, wo dies geschieht, sind die gläubigen und für die Transzendenz offenen Familien. Für sie gilt, was einmal ein deutscher Dichter gesagt hat:
„Alles in der irdischen Welt ist ein Abbild himmlischer Vorbilder.“ Das gilt auch für die Geburt Jesu.
Daher ist jede Geburt in einer geistig regen Familie eine Art Weihnachtserinnerung. Mögen sie leben, wachsen und blühen, „vivant, crescant, floreant“ und uns noch viele Nachgeborene von Jesus schenken, die so etwas wie neugeborenes Leben in das verknöcherte System Kirche bringen können.
Amen