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Predigten

„Kirche muss dienende Kirche sein!“

Predigt von Erzbischof em. Ludwig Schick am Gaudete-Sonntag.

Verehrter Vater Abt, liebe Mönche der Abtei Münsterschwarzach, liebe Freunde und Bekannte unseres Weihekandidaten, lieber Bruder Wolfgang!

  1. „Gaudete - Freut euch!“ ist das Motto des dritten Adventssonntags. An diesem werden Sie, lieber Bruder Wolfgang, zum Diakon geweiht. Ich freue mich, dass ich Sie weihen darf. Sicher freuen sich auch Abt Michael und alle Mönche der Abtei Münsterschwarzach. Sie erhalten einen neuen Diakon in ihrer Gemeinschaft. Angehörige, Freunde und Bekannten freuen sich in unterschiedlicher Weise ebenfalls. Manchen fällt es auch schwer, sich zu freuen, weil sie solche Entscheidungen - Eintritt ins Kloster und Weihe für den geistlichen Dienst in der katholischen Kirche - nicht verstehen und akzeptieren können. Dafür müssen wir Christen und Katholiken Verständnis haben, in dieser unserer Zeit besonders. Verständnis für Unverständnis ist oft der erste Schritt zur Verständigung!
  2. „Gaudete - Freut euch!“ Dabei lässt der Antiphonvers heute keinen Zweifel daran, dass unsere menschliche Freude einen göttlichen Ursprung hat, haben darf und haben muss. Gaudete in domino semper - Freut euch im Herrn immer! Dominus enim prope est - Denn der Herr ist nahe. An Weihnachten ist Gott Mensch geworden. Seitdem ist er uns immer nahe in seinem Wort und den Sakramenten, in den Mitmenschen, in den Zeichen der Zeit und im Heiligen Geist. Er ist uns nahe, wenn wir Wolfgang zum Diakon weihen. Wenn wir uns über die Weihe freuen, ist er uns nahe. Er ist auch denen nahe, die sich nicht oder noch nicht recht freuen können. Er ist uns allen nahe, damit unsere Freude vollkommen wird. Das ist die Verheißung der Antiphon!
  3. Im Mittelpunkt der Liturgie des dritten Adventssonntags steht der Vorläufer Jesu, Johannes der Täufer. Er war Diakon Jesu Christi. Wir dürfen ihn so nennen und so verstehen! Er hat IHM und den Menschen gedient. An seinem diakonischen Dienst können wir Wichtiges für den diakonischen Dienst in der Kirche heute ablesen. Was? Wenn wir auf das Evangelium schauen, dann zeichnet sich Johannes der Täufer zuerst darin aus, dass er wusste, wer er ist und was seine Bestimmung ist. Er war berufen, vom Mutterschoß an, geheiligt und geformt für den diakonischen Dienst Jesu, des Messias Gottes, und für die Menschen seiner Zeit. Diakon, auch Priester und Bischof, auch pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch Ehepartner, Mütter und Väter kann man nur werden und sein, wenn man seine Identität gefunden hat und für seine Aufgaben geformt ist, geistig und geistlich, seelisch und körperlich. Wer sich selbst erkennt und realistisch wahrnimmt als Mensch und Person, als Individuum und als Sozialwesen, mit seinen Begabungen, aber auch mit seinen Begrenzungen, der kann diakonisch leben und wirken. Der hat die rechte Selbstwirksamkeitserwartung an sich und entfaltet sie im Vertrauen auf Gott.
  4. Mit Selbstwirksamkeitserwartung kennen Sie sich ja aus, lieber Bruder Wolfgang. - Das Konzept der Selbstwirksamkeitserwartung steht auch hinter dem Hauptgebot Jesu: Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst. Die darf jeder an sich haben und verwirklichen - aber ganz konkret. Wer sich selbst wertschätzend erkennt, anerkennt und liebt, was nichts mit Selbstverliebtheit oder Narzissmus zu tun hat, der kann Gott lieben und die Mitmenschen - auch alle Geschöpfe - wie sich selbst. Diese Selbstwirksamkeitserwartung darf jede Christin und jeder Christ haben. Wer diese Erwartung an sich erfüllt, gelangt zur Gottes- und Nächstenliebe und wird dabei glückselig.
  5. Dann ist für den diakonischen Dienst wichtig zu wissen, in wessen Dienst man steht. Johannes der Täufer bekennt, dass nicht er das Licht der Welt ist, sondern Jesus Christus. „Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht“, so haben wir eben im Evangelium gehört.
  6. Diese Haltung setzt Demut voraus. Diakonische Demut darf aber nicht mit einer buckligen und falschen Demut, die auch hinterhältig und stolz sein kann, verwechselt werden. Johannes bezeugt, was wahre Demut ist: Mut zum Dienen, Dien-Mut für Jesus Christus und für die Menschen. Über die Demut ist im siebten Kapitel der Regel des heiligen Benedikt viel gesagt und über das entsprechende Verhalten der Priester und Diakone speziell im 62. Kapitel.
  7. Zum diakonischen Dienst gehören Mut und Offenheit, auch in der Öffentlichkeit. Johannes bezeugte Jesus Christus vor den Pharisäern und Schriftgelehrten - vor denen da oben - und vor den Soldaten und Zöllnern und allem Volk - vor denen da unten -. Das kann auch gefährlich werden, wie es der Urdiakon Stephanus erlebte. Er wurde für sein Glaubenszeugnis und seine Liebestätigkeit gesteinigt. Der heilige Diakon Laurentius wurde auf dem Rost gebraten. Der Diakon ist zu allen gesandt in der Verkündigung, in der Feier der Sakramente und im karitativen Dienst, um den Armen eine frohe Botschaft zu bringen, den Gefangenen Entlassung zu verkünden, den Gefesselten Befreiung, allen Gerechtigkeit und Heil. Das ist im wörtlichen und im übertragenen Sinn zu verstehen. Es gibt heute so viele ungerecht Gefangene: die von der Hamas aus Israel Verschleppten, Nawalny und viele andere in Russland, die Frauen, die gegen das Regime im Iran aufbegehrt haben. Andere sind zwar frei, aber gefesselt in ihren Verletzungen im Laufe ihres Lebens, von ihren Unzufriedenheiten, von ihrem Neid und von ihren eigenen Fehlern und ihrem eigenen Versagen. Jesus Christus will sie befreien und ihnen neue Lebenschancen eröffnen. So wird es den Diakonen und allen in der Kirche von Jesus Christus mit Worten der ersten Lesung, die dem Buch des Propheten Jesaja entnommen sind, aufgetragen. Jesus wendet diese Worte in seiner Primizpredigt in Nazareth auch auf sich an.
  8. Die Diakone und der diakonische Dienst haben nicht zuletzt den Auftrag, Forma Ecclesiae zu sein. Sie sollen die Kirche diakonisch formen. Kirche muss dienende Kirche sein. Von Bischof Jaques Gaillot stammt das Wort: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“. Dazu müssen der Diakon, aber auch jeder Priester und Bischof, alle die ein Amt in der Kirche haben, beitragen. Selbst diakonisch leben und wirken und die ganze Kirche zu einer Dienstgemeinschaft an den Menschen machen. Deshalb wird das Diakonengewand auch im Priester- und Bischofsdienst nicht abgelegt. Der Bischof trägt unter dem Messgewand die Dalmatik, das Diakonengewand. Am Gründonnerstag soll auch der Priester bei der Fußwaschung die Dalmatik oder eine Schürze anziehen. Das Skapulier der Mönche, das wisst ihr besser als ich, ist zwar heute zum Schmuckstück des Habits geworden. Ursprünglich war es die Arbeitsschürze der Mönche (RB 55). Jeder Mönch soll ein Diakon in der Gemeinschaft sein, aber auch für die Gäste und für alle, denen er begegnet.
  9. Wenn wir heute Bruder Wolfgang zum Diakon weihen, dann übertragen wir ihm einen wichtigen Dienst in der Kirche. Er ist bei ihm in der äußeren Form wahrscheinlich vorübergehend, er wird zum Priester geweiht werden. Innerlich muss die Diakonenweihe prägend bleiben. Wir erbitten und wünschen ihm, dass er ein Diakon wird, der auch die Kirche heute gestaltet und umgestaltet, damit sie mehr und mehr eine dienende Kirche in und mit Jesus Christus wird in Verkündigung, Gottesdienst, Seelsorge und Caritas. So wird sie auch wieder Vertrauen gewinnen und sich geistlich erneuern. „Eine Kirche, die dient, dient zu was!“
  10. Freuen wir uns im Herrn bei der Diakonenweihe von Bruder Wolfgang. Wir freuen uns mit Ihnen, lieber Wolfgang. Danke für Ihre Bereitschaft, den Diakonendienst in der Kirche zu übernehmen. Wir erbitten Ihnen die Pax, den Frieden Gottes, der alles menschliche Begreifen übersteigt. Bleiben Sie im Beten und Arbeiten, im Reden und Schweigen in der Pax. So kann das Leben gelingen und Ihr Wirken segensreich werden. Freuen wir uns alle, Schwestern und Brüder, dass wir zur Gemeinschaft Jesu Christi gehören als Mönche, Diakone, Priester und Bischöfe, als Eheleute, in Partnerschaften und als Singles, Jung und Alt, so wie uns die zweite Lesung heute aufgetragen und verheißen hat: „Freut euch zu jeder Zeit! Betet ohne Unterlass! Dankt für alles; denn das ist der Wille Gottes für euch in Christus Jesus“ (1 Thess 5,16-18).  Amen.