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Predigten

Die hoffende Erwartung neu entfachen

Predigt von P. Simon Schrott OSB am 1. Adventssonntag

Mit apokalyptischen Motiven schickt uns die Liturgie der Kirche in den Advent. Sie wollen nicht so recht zum heraufziehenden Glühwein­dunst passen – und treffen dafür umso mehr den Nerv der Zeit. Wenn es doch bloß „das Toben und Donnern des Meeres“ wäre, das die Völker dieser Tage „bestürzt und ratlos“ (Lk 21,25) macht! Vielmehr sind es die lustvolle Zerstörung demokratischer Gesellschaften von innen heraus, die wir gerade erleben, die Verhöhnung der Menschenwürde und einer regelbasierten Weltordnung durch enthemmte Vernichtungs­kriege, die vor kurzem noch undenkbaren Warnungen vor einem Schlittern in den Dritten Weltkrieg, das erneute Scheitern einer Klimakonferenz, während der Welt die Zeit davonläuft… und so viel anderes Elend mehr, als wir fassen können.

Ist es da ein Wunder, wenn Menschen „vor Angst vergehen in der Erwartung der Dinge, die über den Erdkreis kommen“ (Lk 21,26) (könnten), dass der Blick so vieler gehalten ist von dem Schrecken, der multimedial auch in unser aller Leben drängt?

Ist es da ein Wunder, wenn Menschen sich in „Rausch und Trunkenheit“ (Lk 21,34) flüchten, das ganze Elend ausblenden, weil sie es nicht mehr aushalten? Wenn sie vielleicht gar den Glauben daran verlieren, dass sie sich noch etwas zu erhoffen haben, wie Paulus seinerzeit den Korinthern in den Mund legte: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot“ (1Kor 15,32)?

Ist es da ein Wunder, wenn Menschen sich zurückziehen in ihr persönliches Biedermeier, wenigstens das eigene Nahfeld warm und flauschig halten und sich damit zufrieden geben, „die Sorgen des Alltags“ (Lk 21,34) zu regeln?

Nein, es ist nicht verwunderlich. Es ist nur allzu verständlich, dass wir Menschen, je nach Strickmuster unserer Persönlichkeit, bei Gefahr erstmal den Kopf einziehen und auf irgendeine Weise damit zurecht- und durchzukommen suchen. Und es entspricht ganz und gar nicht unserer Intuition, wozu wir heute aufgerufen werden: „Wenn das alles beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter“ (Lk 21,28)! Und doch geht es jetzt im Advent, jetzt in dieser Lage der Welt, für uns genau darum.

Nicht im Sinn hohler Motivationsrhetorik oder eines trotzigen ‚jetzt erstrecht‘. Sondern vielmehr als drängender Aufruf, die Zeichen dieser Zeit, in der wir leben, im Licht des Evangeliums zu deuten, das wir glauben: Wenn die Party vorbei, „Mein Haus, mein Auto, mein Boot“ (aus dem ikonischen Werbespot für „Schlauer anlegen“-Beratung der Sparkasse 1995) ausge­spielt ist und die scheinbaren Gewissheiten dieser Welt zerbröseln – dann vergewissert Euch dessen, was Euch trägt. Mehr noch: Dessen, der Euch trägt!

Heuer scheint mir so wichtig wie schon lange nicht mehr, daran zu erinnern, dass der Advent nicht nur dafür da ist, uns für Weihnachten in Stimmung zu bringen – sondern in erster Linie dafür, dass wir in uns die hoffende Erwartung neu entfachen, dass Gott ein „Heilswort“ gesprochen hat und Tage kommen werden, da es sich erfüllen soll (Jer 33,14). Auch wenn die vorfindliche Welt so gar nicht danach aussieht.

Der Advent ist voll von Heilsworten. In Schriftlesungen, in Gebeten und Liedern bietet uns die Liturgie der Kirche gewissermaßen einen Übungsweg, einen Exerzitienweg im Alltag an. Mal tröstend, mal fordernd, mal inspirierend. Und es wird sehr unterschiedlich sein, was davon je in uns Resonanz findet, etwas in Bewegung bringt, wie es sich mit je unserem Leben und mit der Lage der Welt um uns herum verbinden mag. Aber allemal ist es der drängende Aufruf, uns aufzu­richten, die Häupter zu erheben über die Versuchungen der Angst, der Ablenkung oder des resignativen Rückzugs, und Ausschau zu halten: Nach dem Weihnachtsfest in dreieinhalb Wochen, aber viel mehr noch nach dem „Heilswort“ Gottes, das schon längst Fleisch geworden ist (Joh 1,14), zu allen Zeiten mitten unter uns steht (Joh 1,26) – und nach Gottes Herrschaft und Reich, das, allem ‚Unkraut‘ zum Trotz (vgl. Mt 13,24-30), schon zu uns gekommen ist (vgl. Lk 17,21).

Heute ist ja der 01. Dezember, der Tag, an dem die handelsüblichen Advents­kalender ihr erstes Türchen öffnen. Das hat mich auf die Idee einer ganz konkreten Übung gebracht: Wie wäre es denn, aus den vielen Worten, die mir jeden Tag begegnen, täglich ein besonderes „Heilswort“ herauszuhören, das mir gut tut und mir hilft, hoffnungsvoll das Haupt zu erheben? Ich könnte es damit halten wie ihrerzeit die Wüstenmütter und -väter des frühen Mönchtums: Gute Worte, die ich im Herzen wiederholen, meditieren und mir selber vorsagen kann, als Heilmittel einsetzen gegen die Unheilsworte, -bilder und -ereignisse dieser Zeit. Jeden Tag ein Wort: Entdecken, aufschreiben und mich selber immer wieder daran erinnern – das ergibt bis Weihnachten auch eine Art „Adventskalender“, bloß andersherum: Einer, den ich fülle – mit dem, was mich erfüllt und trägt.