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Predigten

Pilgerweg im Advent

Predigt von P. Placidus Berger am 3. Adventssonntag.

Advent heißt ja Ankunft. Das ist eine Verkündigung. Daneben hören wir in diesen Wochen vor Weihnachten auch das Wort Adveniat. Das ist ein Hilferuf der dt. Bischöfe; wir sollen mithelfen, damit in Südamerika Gott mit großer Macht ankommen und eingreifen möge. Und schließlich hat der Papst ein heiliges Jahr ausgerufen, in dem wir uns bewusst werden sollen: Unser Leben ist ein Pilgerweg, dessen Ziel die Ankunft in einer anderen Welt ist.

Aber da erhebt sich auch die bange Frage: Sind wir auf dem rechten Weg? Führt der Synodale Weg uns wirklich zum Ziel? Unsere Kirchenlieder sprechen auch viel von Erwarten und Hoffen, aber sehr aktuell sind sie nicht immer. Wir haben uns an diese täglichen liturgischen Ausdrücke so gewöhnt, dass man schon das alte lateinische Sprichwort anwenden muss: Cotidiana vilescunt – Das Alltägliche wird billig, um nicht zu sagen: der kirchliche Jargon ist überstrapaziert, abgegriffen und wirkt langweilig und  wir hören das „Wachet auf ruft uns die Stimme“ oft nur wie von ferne.

Das Konzil hat uns ermuntert, manchmal auch auf das zu hören, was andere Religionen, Philosophen und Dichter zu sagen haben. Dabei gewinnt man einen interessiert-kritischen Blick von außen auf uns selbst, was uns die eigenen Traditionen besser schätzen lehrt. 

Das Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks kam einmal mit seinem Dirigenten Eugen Jochum nach Rom, um in der Sala Regia des Vatikans für den sehr deutsch-freundlichen Papst Pius XII ein Konzert zu geben. Wir glücklichen deutschen Theologie-Studenten waren auch dazu eingeladen. Dabei hielt der Papst eine Begrüßungs-Ansprache in perfektem Deutsch, wobei er sagte: „Wo die Sprache keine Worte mehr findet und aufhört, da beginnt die Musik zu sprechen.“

Im gleichen Sinn hat der dt. Philosoph Schopenhauer einmal gesagt: „Die Musik ist eine unbewusste Einübung in die Metaphysik.“

Daran muss ich immer denken, wenn ich manchmal abends nach dem liturgischen Nachgebet auf meinem Zimmer noch das wunderbare Abendgebet aus der Oper „Hänsel und Gretel“ auflege und mich dabei in eine höhere Dimension der Andacht katapultiere. Nicht genug damit. Im Schlusschor der Oper wird gesungen:

Wenn die Not am höchsten steigt, Gott er Herr die Hand uns reicht.

Dabei ist in meinem Hinterkopf immer das Wort von Kardinal Marx, dass wir uns in der Kirche einem Nullpunkt nähern. Noch ist die höchste Not nicht erreicht, aber wenn sie dann erreicht sein wird, dürfen wir uns an den Schlusschor dieser Oper erinnern.

Dasselbe sagt übrigens auch ein deutsches Sprichwort: Wenn Gott eine Türe zuschlägt, macht er woanders ein Fenster auf.

Ich brauche wohl nicht daran zu erinnern, dass diese Oper auch als Kinder- und Familienoper angesehen und daher immer um Weihnachten aufgeführt wird. Ein Highlight für viele Familien. Aber ich habe noch eine zweite Oper, die gerade unsere Advents-Situation anspricht. Die eben beschriebenen Gefühle habe ich auch beim Pilgerchor in der Oper Tannhäuser.

Sie pilgern also nach Rom, wie das ja auch die deutschen Katholiken zuhauf tun und so an das Thema des gegenwärtigen hl. Jahres erinnern. Im Pilgerchor ist aber der Ritter Tannhäuser, der mit einer so schweren Sünde belastet ist, dass er glaubt, nur der Papst könne sie vergeben.

Er frönte nämlich der Lust im Venusberg. Früher hielt man das für eine Kapital-Sünde. Aber die Buß-Wallfahrt war umsonst. Der Papst sagte zu ihm: So wie dein Pilgerstab keine grünen Blätter mehr bekommen wird, so kann auch deine Sünde nicht vergeben werden, solange du immer noch die böse Begierlichkeit hast.

Traurig kam der Ritter nachhause zur Wartburg zurück und rief in höchster Not die Gottesmutter und die Heilige Elisabeth an. Und siehe da, es geschah so etwas wie ein Wunder: Ein normaler Priester erteilte ihm die Lossprechung. Der Opern-Komponist sagt interessanter Weise: ein Priester, nicht ein evangelischer Pastor oder ein Bischof. Das wäre zu allgemein. Offenbar war in seinen Adern noch ein Rest katholischer DNA übriggeblieben, so dass er eine sakramentale Befreiung uns Auge fasste.

Wozu der Papst nicht im Stande war, ein normaler Priester hat’s vollbracht. Nun liebe Zuhörer, jetzt wird’s haarig. Wenn wir das auf unsere heutige Situation anwenden wollen, dann müssen wir uns einer allegorischen Deutung befleißigen, wie das schon die Religions-Philosophen des AT und die Kirchenväter des NT getan haben.

Alle Figuren in der Oper nehmen wir dann symbolisch. Der Pilgerchor sind wir alle - und „wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu“ (GL 505). Die auch heute noch beliebten massenhaften Pilgerfahrten nach Rom sind dafür ein sprechender Ausdruck.

Aber neulich war - wie Tannhäuser - auch ein deutscher Bischof dabei, der eine der gegenwärtig system-relevanten Sünden - stellvertretend - nach Rom tragen musste. Eine Sünde, die man vor 30 Jahren noch gar nicht kannte, und daher musste man für sie einen neuen Namen erfinden. Sie heißt: der Synodale Weg, und der wird von der römischen Kamarilla mit Argwohn betrachtet. Der Bischof suchte die Verständigung mit dem Papst. Aber ihm ging es wie dem Ritter Tannhäuser, er musste erfolglos nach Hause zurückkehren. Zum Glück wusste er eine große Menge des katholischen Kirchenvolkes hinter sich, so dass er hoffentlich nicht niedergeschlagen war.

Und dann ist in der Oper die Rede von dem Priester. Und jetzt muss ich in aller Feierlichkeit den   Original-Text aus der Oper vortragen, also hört hingebungsvoll zu:

„Es tat in nächtlich heil‘ger Stund             - der Herr sich durch ein Wunder kund.

Der Segen in des Priesters Hand               - begrünt des Pilgerstabes Rand.

Er lässt den Pilgerstab erblühn   - hat ihn geschmückt mit frischem Grün.“

Die „nächtlich heilge Stund“ ist unsere heutige Situation. Da unsere kirchliche Situation so trostlos ist, kann man sie eine nächtliche Stunde nennen. Aber zugleich ist sie heilig. Denn sie hat adventlichen Charakter und ist daher ein geist- und hoffnungserfülltes Warten - mit einer Ahnung, dass Gott noch etwas mit uns vorhat, das uns wie wunderbar erscheinen möge.

Und dann heißt es: „Der Herr tat sich durch ein Wunder kund“. Anfang eines heutigen Wunders ist bereits eine ans Wunderbare grenzende Einwirkung des Hl. Geistes, wodurch uns Gott ein neues Priesterbild entdecken ließ. Der Priester ist heute nicht mehr die zölibatär-einsam lebende und alles-besser-wissende Heiligengestalt, wie es uns früher als unsere Identität eingetrichtert wurde, -  sondern der Priester ist dein Freund und Begleiter, zusammen mit einem hoch-motivierten Team von Männern und Frauen in den verschiedenen Gremien der Pfarrei oder eines Klosters. Dies ist beileibe nicht die Gipfel-Mannschaft der Kirche, sondern ihre unterste fundamentale Schicht, der Grund und Boden und das Wurzelwerk der Kirche, aus dem neue Ideen sprießen und blühen können, -  Dinge, die in manchen  Chefetagen der Kirche weniger zu erwarten wären, denn einige haben eine ultramontane Gesinnung. Ultramontan heißt das genaue Gegenteil von synodal; denn es heißt: Rom soll uns die Marschrichtung kommandieren, synodal aber heißt: Wir suchen gemeinsam einen gangbaren Weg.

Dann ist vom „Segen in des Priesters Hand“ die Rede. Ursprünglich ist hier natürlich die segnend erhobene Hand bei der Lossprechung in der Beichte gemeint. In der allegorischen Deutung aber sind es alle Segnungen, die der Priester spendet, und damit all sein seelsorgliches Wirken. Zusammen mit den an unserer Seite wandernden und pilgernden Priestern sind wir stark. Wenn wir auf Augenhöhe zusammenhalten und die Praxis der Kirche einem neuen „aggiornamento“ zuführen, dann kann auf diesem Fundament von unten her neue Lebenskraft entstehen, welche unsere Pilgerstäbe zum Grünen anregen kann.

Und die notwendige Kraft von oben können wir nur vom Hl. Geist selbst erwarten, aber gegenwärtig nicht ohne weiteres von den obersten Rängen der Kirche. Der Pilgerstab ist allegorisch unsere geistige Verfassung, unsere Statur, auf die wir uns bei unserem Pilgerweg stützen können, nämlich: Glaube und Liebe, gelebte Gemeinschaft, Verantwortung für die Not in der ganzen Welt.

Dies alles ist in den letzten Jahrzehnten tatsächlich gewachsen und erweist sich heute als standfest - beim heiligen Rest der Kirche, der noch übriggeblieben ist. Und der ist unsere Hoffnung, nämlich dass Gott, wie schon öfters in der Geschichte, daraus ein erneutes Gottesvolk bilden wird. Unsere adventliche Hoffnung ist daher, dass unsere Pilgerstäbe einst neu ausschlagen und blühen mögen.

Tröstliche Gefühle beleben auch meinen eigenen Pilgerstab, wenn ich mir abends manchmal mit Hingebung den Pilgerchor dieses Musikwerkes anhöre.

Und dann hat auch der letzte Vers dieser Oper einen besonderen Klang, wenn der Chor singt: „Der Gnade Heil wird dem Menschen beschieden, - er geht einst ein in der Seligen Frieden.“

Ich mit meinen 91 Jahren werde die neue Blüte nicht mehr erleben, wohl aber diejenigen, die jetzt bei mir Ministranten sind. Und wenn ich bald eingegangen sein werde in der Seligen Frieden und dann von einem höheren Blickpunkt aus herunterschaue und sehe wie so viele Pilgerstäbe wie Barbara-Zweige neu ausschlagen und an Weihnachten blühen, dann werde ich zu meinen dort oben ebenfalls seligen Kollegen sagen:

„Sieg‘st es, ich hab‘s doch gewusst.“  

 Amen