Vertiefter ökumenischer Dialog
„Der Hl. Johannes Cassian und die monastische Tradition des christlichen Ostens und Westens“ – so lautete der Titel einer sechstägigen Konferenz in Moskau, an der aus der Abtei Münsterschwarzach Bruder Julian Glienke OSB und Dr. Gabriele Ziegler von der Johannes-Cassian-Stiftung teilnahmen. Eingeladen dazu hatte Metropolit Hilarion Alfejev, Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats.
Dass nach zwei Tagungen in den Vorjahren nun ein lateinischer Kirchenvater gewählt wurde, der wie kaum ein anderer die östliche und westliche monastische Tradition verbindet, bot in besonderer Weise die Möglichkeit eines vertieften ökumenischen Dialoges, eines Austauschs über die gemeinsamen Wurzeln und die verschiedenen daraus erwachsenen Traditionslinien.
Als Referenten von über zwanzig Vorträgen hatte Metropolit Hilarion Alfejew Gäste aus Russland, Rumänien, den USA, Italien, Frankreich, Spanien, Belgien, darunter orthodoxe Mönche, Katholiken (darunter vier Benediktiner), Priester, Vertreter der koptischen Kirche, sowie als Frauen die protestantische Professorin Rebekka Weaver (USA) und Dr. Gabriele Ziegler (Mitglied des Vorstands der Johannes-Cassian-Stiftung der Abtei) eingeladen. Auch die Studenten und Mitarbeiterinnen der theologischen orthodoxen Ausbildung in Moskau waren unter den Teilnehmern.
Die besondere Nähe des Johannes Cassian zur benediktinischen Tradition liegt auf der Hand, empfiehlt doch die Benediktsregel in Kapitel 42 und 73, Cassians „Unterredungen mit den Vätern“ zu lesen. Der Benediktinerorden erfreut sich andererseits auch in der Ostkirche spürbar einer besonderen Wertschätzung. Cassians Ursprung in der alten ungeteilten Kirche wird häufig als verbindender Faktor wahrgenommen. Er gründete in Marseille ein Männer- und ein Frauenkloster. Befreundete Bischöfe baten ihn, ihnen doch zu berichten, nach welchen Prinzipien die Klöster des Ostens aufgebaut waren.
Den Eröffnungsvortrag zum Thema „Die Lehre des hl. Johannes Cassian über die Eucharistie und Kommunion“ hielt als Gastgeber Metropolit Hilarion Alfejev selbst. Mit Bezug auf Cassian und weitere Kirchenväter widmete er sich der Frage der Praxis des Kommunionempfangs: Entgegen der Meinung, zum Kommunionempfang gehöre eine längere Vorbereitung, um ihrer würdig zu sein, lasse sich eher ein Verständnis der Kommunion als „himmlische Medizin“ ableiten, was für einen häufigen Kommunionempfang spricht. Dann spannte sich der thematische Bogen der Vorträge von biographischen Aspekten (die strittige Frage seines Geburtsorts) über seine aszetische Lehre (Begriff der Reinheit des Herzens, Lehre von Betrachtung und Gebet, Verständnis von der Natur Gottes) über anthropologische Fragestellungen (Freundschaft und das monastische Ideal, Melancholie bzw. wie asketisches Leben mit Emotionen umgeht, Lehre über die Liebe), Cassian und sein Verhältnis zu Vorläufern und Zeitgenossen (Antonius, Augustinus, Evagrius) bis hin zu einer Reihe von Untersuchungen über die Rezeptionsgeschichte Cassians in der Ost- und Westkirche.
„Es ist wichtig, dass wir einander sehen, dass wir einander kennen.“ Mit diesen Worten eröffnete Metropolit Hilarion das gemeinsame Mittagessen nach der Sonntagsliturgie in der Kirche der Ikone der Gottesmutter „Freude aller Trauernden“. Und in der Tat waren die Begegnungen und Gespräche untereinander, vor allem während des großartigen Rahmenprogramms, mindestens genauso wichtig wie der wissenschaftliche Austausch. Ungeachtet der unterschiedlichen Ansätze und kulturellen Voraussetzungen, die dabei auch deutlich wurden, war es ein gutes Beispiel dafür, wie fruchtbarer ökumenischer Austausch geht: Gerade wenn man die Quellen der christlichen Tradition gemeinsam neu betrachtet, lässt sich so manche Trennung der Kirchengeschichte relativieren, und das gemeinsame Erbe gerät stärker in den Blick. So mündete alles, auch im Blick auf die Terroranschläge, in das gemeinsame Gebet um Verständigung und Frieden in der Welt.
Bruder Julian Glienke OSB
Ein ausführlicher Bericht über die Konferenz von Bruder Julian und Dr. Gabriele Ziegler erscheint in der benediktinischen Zeitschrift „Erbe und Auftrag“ 1/2016.