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„Kultur der Barmherzigkeit“

Recollectio-Haus feierte sein 25jähriges Bestehen mit einem Symposium zum Thema „Wenn ich schwach bin, bin ich stark“ – Dr. Wunibald Müller, Initiator und Leiter des Hauses, in den Ruhestand verabschiedet – Dr. Ruthard Ott ist sein Nachfolger

Weit über 300 Gäste waren gekommen, viele Ehemalige, aber auch Freunde, Wegbegleiter und Verwandte aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, um am Samstag, 23. April, den Initiator und Leiter des Recollectio-Hauses Dr. Wunibald Müller und seine Frau Dr. Ilse Müller in den Ruhestand zu verabschieden. Gleichzeitig wurde mit einem Symposium das 25jährige Bestehen des Hauses gefeiert, in dem bisher fast 2000 Frauen und Männer, insbesondere Priester und Ordensleute, therapeutisch-spirituelle Begleitung erfahren haben.

Diesen Menschen bescheinigte Wunibald Müller bei seiner Abschiedsrede in der Aula des Egbert-Gymnasiums Mut; Mut zu ihrer Schwachheit, zu ihren Ängsten und zu ihrer Hilfsbedürftigkeit zu stehen. „Da ist Kränkung durch die Oberin, die vergessen hat, dass Gehorsam zunächst einmal verlangt hinzuhören. Dort ist es die Zerrissenheit des jungen Priesters, der sich verliebt hat, zugleich aber mit Leib und Seele Priester ist.“ Es brauche einen Raum, eine besondere Atmosphäre, um über Glaubenszweifel oder sexuelle Probleme zu sprechen. Müller: „Ein solcher Raum versuchte das Recollectio-Haus in den vergangenen 25 Jahren zu sein.“

Er selbst, so der Theologe und Psychologe weiter, habe Schwachheit auch am eigenen Leib erfahren, etwa als Student, der über dem vielen Lernen fürs Abitur seinen Leib und seine Seele bis zur völligen Erschöpfung vernachlässigt habe. Oder als 50jähriger, als er in einer Sinnkrise Hilfe im Kloster Abbaye de Fontaine- Andre bei Pierre Stutz gesucht hat.

Müller: „Gerade auch aus dieser Erfahrung von Schwachheit ist mir mit den Jahren immer mehr auch eine Stärke erwachsen. Denn, wenn ich schwach bin, habe ich nichts mehr zu verlieren. Ich kann vorbehaltloser zu dem stehen, was für mich stimmt. Daraus erwächst eine große Freiheit und Unabhängigkeit.“

Das hieß für ihn auch: Seinen Mund aufzumachen und zu benennen, was ihm an der Kirche nicht gefällt. Konkret führte er drei Punkte ins Feld: Es „ist höchste Zeit, dass Frauen zu den Weiheämtern zugelassen werden und dass die Kirche klar zu ihren schwulen Priestern steht und die Instruktion, nach der Homosexuelle nicht zu Priestern geweiht werden können, eingestampft wird.“ Zudem forderte er den Verzicht auf die Koppelung von Zölibat und Priesteramt. „Ich werde es noch erleben, dass das Pflichtzölibat fällt“, gab sich Müller überzeugt.

In den 25 Jahren seiner Tätigkeit sei er im Recollectio-Haus vielen wunderbaren Frauen und Männern begegnet, die versuchten, „Gottes Menschenfreundlichkeit ein Gesicht zu geben“. Der Psychotherapeut weiter: „Ihnen begegnen zu sein, gehört zu dem schönsten Geschenk, das mir in meiner Zeit im Recollectio-Haus beschert wurde.“ Er schloss seine Rede mit mannigfachen Dankesworten und einem Zitat von Thomas Merton: „I am finished. I will disappear.“ Oder übersetzt: „Ich habe meinen Teil am Werk Recollectio-Haus vollendet. Ich werde mich vom Acker machen.“

Die vielfachen Würdigungen, die Wunibald Müller an diesem Tag erfuhr, waren von großer Herzlichkeit und Dankbarkeit getragen. Abt Michael Reepen OSB, der selbst einige Jahre zu Team des Recollectio-Hauses gehörte, sagte, in der 1200jährigen Geschichte der Abtei seien die 25 Jahre Recollectio-Haus zwar nur ein Punkt, aber „viele Punkte machen Geschichte“. Die Einrichtung sei eine „aktuelle und erfolgreiche Antwort auf die Not der Menschen in der Kirche“. Und weiter: "Gottes Kraft ist in diesem Haus so lebendig, weil so viel Schwäche dasein darf."

Der Schriftsteller und Theologe Pierre Stutz aus der Schweiz sprach von einem Hoffnungsort und einem Ort des Mitgefühls und der Gotteserfahrung. Das Recollectio-Haus habe es möglich gemacht, dass viele Menschen wieder mit ihrem Ursprung und ihrer Berufung in Kontakt gekommen sind. Diese existentiellen Erfahrungen haben, so Stutz, dazu beigetragen, dass „Kirche und Welt zärtlicher und gerechter geworden sind“.

Bezugnehmend auf das Leitwort des Symposiums „Wenn ich schwach bin, bin ich stark“ sagte er, in der spirituell-therapeutschen Arbeit gehe es darum, die Angst vor der eigenen Größe zu verlieren, ohne größenwahnsinnig zu werden. Und auch die Angst vor seiner Kleinheit zu verlieren, ohne sich minderwertig zu fühlen. In diesem Sinne sei im Recollectio-Haus eine „Kultur der Barmherzigkeit“ konkretisiert worden.

„Dort, wo wir scheitern, sind wir offen für die Ankunft Gottes in unserem Herzen“, sagte Pater Anselm Grün OSB, geistlicher Leiter des Hauses. Um diesen Schatz zu finden, müsse man sich in seine eigene Brüchigkeit hineingraben. Zu scheitern sei keine Sünde. Vielmehr gehöre zur menschlichen Erfahrung, dass Lebenspläne durchkreuzt werden. Dabei gelte es, sich nicht klein zu machen, sondern die Erfahrung des Scheiterns als Weg zur Verwandlung zu erkennen.

Johannes Seibold, selbst einmal Gast im Recollectio-Haus, sorgte mit seinem leise vorgetragenen Lied „Deine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ , in das das Auditorium beim Refrain mit einstimmte, für eine andachtsvolle Atmosphäre und für einen emotionalen Höhepunkt des Tages. Auch emotional, aber auf ganz andere Art war der Beitrag von Müllers Bruder Benedikt. Er wartete mit amüsanten Episoden aus „Wunis“ Kindheit auf und endete mit dem mit viel Beifall quittierten Satz: „Du hast dich um deine Kirche verdient gemacht.“

Den Dank der neun am Recollectio-Haus beteiligten Diözesen überbrachte Prälat Helmut Wanka (Limburg). Er bescheinigte Müller einen kreativen und kompetenten Einsatz für die Kirche in Deutschland und für viele Seelsorgerinnen und Seelsorger.

Es sei nicht die Idee der Abtei gewesen, das Haus zu gründen, sagte Pater Anselm an das Ehepaar Müller gewandt, sondern „die Idee von Euch beiden“. Beide hätten ihr Herzblut gegeben und sich mit großer Leidenschaft, Liebe und Empathie für die Gäste „mütterlich und väterlich“ eingesetzt. Er übereichte ein von Team verfasstes, großes Buch an Wunibald Müller, Abt Michael die Jubiläumsmedaille der Abtei.

Doch dann war es an der Zeit, den Blick in die Zukunft zu richten. Mit den Worten: „Dr. Ruthard Ott, ich übergebe Ihnen die Leitung des Recollectio-Hauses“ führte Abt Michael den neuen Leiter in sein Amt ein. Gleichzeitig stellte er mit Dr. Corinna Paeth und Dr. Albert Summ die beiden neuen Mitarbeiter des Teams vor. Der neue Leiter des Recollectio-Hauses, der dort bereits seit 23 Jahren psychologischer Psychotherapeut tätig ist, erklärte, dass man bewährte Wege weiter gehen, gleichzeitig aber verstärkt auf den körperlichen und psychosomatischen Aspekt eingehen wolle.

Am Nachmittag schloss sich ein Kreativ-Teil unter Leitung von Pater Meinrad Dufner OSB an das gemeinsame Mittagessen an. Auf Tischen standen viele Schuhschachteln sowie Boxen mit Holz, Farben, Styropor, Plastikteilen, Eierschachteln, Moos oder Tannenzapfen. Die Gäste sollten daraus ein Abbild ihres inneren Raums gestalten und dann mit dem, was sie geschaffen haben, Zwiesprache halten. Ein gemeinsamer Gottesdienst in der Schulkapelle beendete den Tag.

Walter Sauter