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Aktuelles Mission

So geht es der Kirche in China

Untergrundkirche, Glaubensleben zwischen Kontrolle und Freiheit - einfach haben es die Katholiken in China nicht. P. Martin Welling SVD vom China-Zentrum erklärt, vor welchen Herausforderungen die Kirche steht.

Frage: China ist in den vergangenen Wochen ein großes Thema in der Kirchenpolitik. Wie ist die Lage der Christen vor Ort?

P. Martin Welling SVD: Ich muss ein wenig schmunzeln, wenn Sie das schöne Wort „vor Ort“ verwenden, denn China ist dermaßen riesig in Fläche und Bevölkerung, so verschieden die Lebensumstände der Menschen und damit verbunden der Religionen, dass es schwer ist, von „vor Ort“ zu sprechen, wenn man „ganz China“ betrachten will. So gibt es manche Provinzen, in denen man Elemente einer religiösen Verfolgung wahrnehmen muss, es gibt aber durchaus auch viele Gegenden in China, in denen ein zwar stark kontrolliertes, aber dennoch relativ freies Glaubensleben möglich ist. Diese Freiräume werden von den Christen sehr aktiv für die Glaubensverbreitung genutzt, wobei man hier besonders auf das Wachstum der evangelischen „Hauskirchen“ hinweisen muss. Während die zahlenmäßige Entwicklung der katholischen Kirche gegenwärtig ein wenig stagniert (es werden Zahlen von 10,5 bis 12 Millionen Katholiken genannt), sind diese„Hauskirchen“ in den letzten dreißig Jahren auf möglicherweise mehr als 50 Millionen Gläubige angewachsen. Es kursieren auch Zahlen von 100 oder 125 Millionen, was aber übermäßig optimistisch sein dürfte.

Diese rasante Entwicklung sieht der totalitäre sozialistische Staat als Bedrohung an. Immer aufwendigere, immer strengere Gesetze in vielen Bereichen des täglichen Lebens verknüpfen sich zu einem engmaschigen Netz, das Freiräume des zivilgesellschaftlichen und religiösen Lebens immer weniger und kleinerwerden lässt. Dies gilt vor allem für jenereligiöse Gemeinschaften, die sich weigern, sich bei den staatlichen Religionsbehörden registrieren und damit in vielerlei Hinsicht bestimmen zu lassen. Über die „Patriotischen Vereinigungen“ , die jede anerkannte Religionsgemeinschaft Chinas etabliert hat, wirken die Behörden mittlerweile nicht nur auf Kirchenpolitik, Personal, Finanzen, religiöse Orte etc. ein. Unter dem Stichwort der „Sinisierung“ (chinesisch werden = sich der Ideologie des Sozialismus chinesischer Prägung unterordnen und dem Traum vom wiedererstarkten China nach den Gedanken Xi Jinpings zuarbeiten) soll auch die Doktrin der Religionen beeinflusst werden.

Strenge Religionsvorschriftenmit einem großen Set an finanziellen und anderen Strafen bieten jenen Provinzen, in denen das Wachstum der christlichen Gemeinden besonders ausgeprägt ist, die Gelegenheit, überhart durchzugreifen. 2014-2016 wurden in Zhejiang (hier vor allem in der Gegend von Wenzhou, dem „protestantischen Jerusalem Chinas“) bis zu 1.800 Kreuze von Kirchen entfernt. Dies wird nach neuesten Angaben in der Provinz Henan noch übertroffen. Hier sollen in den letzten Monaten 4.000 Kreuze gewaltsam entfernt worden sein (Zahl konnte nicht verifiziert werden).Kindern und Jugendlichen wird dort untersagt, religiöse Stätten zu betreten, jegliche religiöse Unterweisung von Kindern, wie Sonntagsschulen, Erstkommunionvorbereitung, Sommerlager,ist verboten. Religiöse Treffen in nicht als religiös registrierten Räumlichkeiten oder durch nicht registrierte Personen (PastorInnen, Untergrundpriester…) werden mit hohen Geldstrafen, in einigen Fällen mit Berufsverbot belegt.

Diese negative Einstellung zur Religion wirkt sich auch auf andere Gegenden Chinas aus (vor allem, was Erlaubnisse für Jugendaktivitäten betrifft). Dennoch gewähren viele Provinzen immer noch einige Freiheiten im engen Rahmendieser Religionsgesetzgebung.

Frage: Gibt es bei Katholiken Besonderheiten/ was ist bei Katholiken anders?

P. Welling: Wie die protestantischen Glaubensgemeinschaften in „offizielle Kirchen“ und „Hauskirchen“ getrennt sind, so ist die katholische Kirche durch die schmerzliche Trennung von „Untergrundkirche“ und „offizielle Kirche“ gekennzeichnet. Während die Gläubigen in der „Untergrundkirche“ sich jeglicher Einmischung des Staates verweigernund deshalb viele Schikanen bis hin zu Gefängnis und Hausarrest erdulden müssen, hat sich die Mehrheit der Bischöfe, des religiöses Personals und der Diözesen Chinas in der staatlich bestimmten „Patriotischen Vereinigung“ registrieren lassen – durchaus nicht immer mit innerer Überzeugung sondern oft durch staatlichen Druck auf die Diözesen und praktischen Überlegungen folgend. Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vereinbarung gab es nur sieben Bischöfe, dieexplizit gegen den Willen Roms geweiht und bis dato nicht vom Vatikan anerkannt worden waren, über 60 Bischöfe der offenen Kirche sind mit Zustimmung des Vatikans geweiht oder im Nachhinein anerkannt worden. Und so verstehen sich die allermeisten von ihnen durchaus als „Papst-treu“, obwohl sie im staatlichen kirchlichen System integriert sind und durch dieses kontrolliert werden.

Anders als die Hauskirchen mit ihren beeindruckenden Anhängerscharen sieht die Regierung die katholische Kirche wegen ihrer geringen Zahlen nicht als eine Bedrohung ihrer totalitären Macht. Außerdem erlaubt die strikte hierarchische Struktur der Kirche eine einfacher zu organisierende Einflussnahme und Kontrolle. So konzentrieren sich im katholischen Bereich die Diskussionen eher auf die Beziehungen von chinesischem Staat und dem Heiligen Stuhl. Die Regierung sieht die internationalen Verflechtungen entsprechend dem Religionsfreiheitsartikel 36 der Verfassung der VR China als unerlaubte Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas an.

Die katholische Kirche ist besonders durch einenpersonellen Schwerpunkt unter der Landbevölkerung gekennzeichnet. Die Landflucht von zigmillionen jungen Menschen auf der Suche nach Ausbildung und Arbeit lassen alte Menschen mit kleinen Kindern in den dörflichen Gemeinden zurück. Normale Gemeindepastoral oder intensive Missionsarbeit ist damit recht schwierig, oft unmöglich. In den Städten entfremden sich nicht wenige Katholiken von der Kirche, vor allem auch, weil die meisten Wanderarbeiter sieben Tage in der Woche arbeiten müssen und so kaum am kirchlichen Leben teilnehmen können. Auch wenn es viele Bemühungen gibt, die Katholiken vom Land auch in den Städten seelsorglich zu betreuen, gibt es diesbezüglich sehr viele Probleme. Mit kurzen Weiterbildungskursen während der Ferien zum Neujahrsfest, wenn die meisten Wanderarbeiter nach Hause zurückkehren, versuchen viele Pfarreien, die Bindungen der Gläubigen untereinander und mit der Kirche zu stärken. Viel mehr ist oft nicht möglich.

Frage: Was ist Ihre Aufgabe als China-Zentrum in Deutschland?

P. Welling: Der China-Zentrum e.V., getragen von seinen Mitgliedern, den großen kirchlichen Hilfswerken und vielen Ordensgemeinschaften, darunter auch die Missionsbenediktiner, wie auch einigen Diözesen, sammelt Informationen über die Lage der Religionen in China mit dem Schwerpunkt auf der Situation der Christen dort, analysiert sie und bietet dann Interessenten vor allem im deutschen Sprachbereichverlässliche Nachrichten an. Dazu wird eine Quartalszeitschrift, „China heute“,herausgegeben, die Webseite www.china-zentrum.de(mit Inhalten von China heute in PDF Form) angeboten undauf Englisch erscheint das E-Journal „Religions & Christianity in Today’s China“. Ferner werden Vorträge und Interviews gegeben, Artikel in Büchern und Publikationen veröffentlicht, Konferenzen und Tagungen organisiert u.v.m.

Wichtig ist dabei die direkte Beziehung des China-Zentrums mit der Kirche in China (u.a. Besuche in China wie auch Betreuung chinesischer Gäste aus China in Deutschland). Das China-Zentrum assisistiert auch Mitglieder bei der Projektzusammenarbeit mit chinesischen Partnern, und organisiert und betreut die Aus- und Weiterbildung von chinesischen Priestern und Schwestern in Deutschland.

Das China-Zentrum ist zudem eng vernetzt mit dem chinesisch-wissenschaftlichen Institut Monumenta Serica, der Philosophisch-theologischen Hochschule SVD in Sankt Augustin und durch den Ökumenischen China Arbeitskreis (ÖCAK) mit protestantischen Stellen, die sich mit China befassen.

Frage: Vor welchen Herausforderungen stehen Sie?

P. Welling: Wie gesagt, China und seine Welt der Religionen sind sehr vielfältig. Eine immer engmaschiger werdende Medien- und Internetzensur behindert bisweilen eine umgreifende und jederzeit nachprüfbare Nachrichtenlage. So ist es oft nicht einfach, Nachrichten zu verifizieren oder überhaupt an verlässliche, objektive Informationenzu kommen. Aber noch gelingt es zumeist.

Neue Gesetze u.a. im Bereich internationaler Nichtregierungsorganisationen aber auch innerhalb der Religionsverwaltung machen die Projektzusammenarbeit mit bedürftigenkirchlichenGemeinschaften und Partnern in China sehr schwierig. Wohl nicht zuletzt wegen eines drastischen Rückgangs an Berufungen von Priestern und Schwestern werden auch KandidatInnen für ein theologisches Weiterstudium in Deutschland immer weniger. Auf all diese Herausforderungen gilt es Antworten zu finden.

Sowohl Papst Benedikt XVI. wie auch erneut Papst Franziskus in seinem Brief an die katholische Kirche Chinas bitten die Universalkirche um ihr Gebet für die Christen Chinas als Zeichen geschwisterlicher Solidarität. So bietet das China-Zentrum besonders zum Welttag des Gebetes für die Kirche in China am 24. Mai Informationen und liturgische Hilfen an, die auf unserer Webseite abgerufen werden können.

Frage: Was haben Sie vielleicht schon „erreicht“?

P. Welling: Das China-Zentrum ist nicht nur in der Kirche Chinas bekannt und seine Arbeit anerkannt. Vor allem im deutschsprachigen Bereich ist unsere Berichterstattung als verlässlich und umfassend geschätzt. Auch unser englisches E-Journal RCTC findet entsprechend Anerkennung. Über 80 Priester und Schwestern haben mit Hilfe des China-Zentrums in Deutschland studiert und Hunderte in Europa studierende chinesische Priester und Schwestern haben an diversen Konferenzen und Tagungen des China-Zentrums teilgenommen.  Gemeinsam mit deutschen Hilfswerken und Diözesen konnten Christen in deutschsprachigen Diözesen die chinesische Kirche ihre tatkräftige konkrete Solidarität auch durch finanziellen Einatz spüren lassen. Es gibt zudem ein sehr freundschaftliches Vertrauensverhältnis zu vielen Menschen in China.

Frage: Gerade hat der Vatikan ein Abkommen mit China geschlossen. Wie sind die Meinungen dazu?

P. Welling: Auch wenn diese „vorläufige Vereinbarung“ zwischen dem Außenministerium Chinas und dem Heiligen Stuhl sich eigentlich nur auf die künftige Auswahl und Benennung von Bischöfen in China bezieht, so ist es doch bemerkenswert, dass zum ersten Mal überhaupt ein offizielles Übereinkommen zwischen der VR China und dem Vatikan zustande gekommen ist. Alle vorher illegalen (gegen den Willen des Vatikans geweihten) Bischöfe sind von Papst Franziskus wieder in die „volle Gemeinschaft der Kirche“ aufgenommen worden (= Aufhebung von Exkommunikation), sodass gegenwärtig alle Bischöfe Chinas in Einheit mit dem Papst stehen, und zum ersten Maldurften zwei Bischöfe aus der Volksrepublik China (wenigstens zeitweise) an einer Bischofssynode in Rom teilnehmen. Diese Entscheidungen sieht der Papst als wichtige Schritte auf dem Weg zu einer echten Einheit der Kirche Chinas. In seinem Brief an alle Katholiken Chinas und an die gesamte Universalkirche ruft er eindringlich zur Einheit auf, damit das Evangelium kraftvoll und mit Freude verkündigt werden kann.

Einige Beobachtungen mahnen allerdings bei der Beurteilung Vorsicht an: die Vereinbarung ist geheim, weder den Bischöfen Chinas noch seinen Christen ist der detaillierte Inhalt bekannt, nach dem sie eigentlich handeln und entscheiden sollen. In welcher Form der Papst tatsächlich in Zukunft Bischöfe „ernennt“ (Franziskus), ob er ein Veto-Recht hat (beides würde nicht mit der Verfassung Chinas in Einklang stehen), all diese Fragen können nicht durch schriftliche Unterlagen oder entsprechende Statements der chinesischen Seite eindeutig verifiziert werden. Man weiß nur, dass er in irgendeiner Weise in welcher Funktion auch immer an dem Auswahl- und Ernennungsprozess beteiligt ist.

Vor allem aber ist die Lage der 36 Untergrundbischöfe, die für ihre Treue zum Papst Gefängnis, Hausarrest und andere Formen der Unterdrückung  auf sich genommen haben, völlig unklar. Niemand weiß, ob es diesbezüglich Vereinbarungen gibt, Verhandlungen sollen unternommen werden. Die Bischöfe werden im Papstbrief nicht gesondert erwähnt und auch nicht in den begleitenden Statements des Vatikans. Ihr „Erfahrungen“ gehörten jetzt zum „spirituellen Erfahrungsschatz der chinesischen Kirche“, so der Papst. Viele Untergrundchristen sind traurig und empört über diese Art der Behandlung. Enttäuscht zeigen sich auch Vertreter anderer Konfessionen und Religionen, wie des Protestantismus und des tibetischen Buddhismus. Für sie scheint es auf den ersten Blick, als hätten sie den Papst als einen Verbündeten im Kampf um Religionsfreiheit in China verloren.

Es gibt auf die vielen offenen Fragen auch keine offiziellen Antworten der chinesischen Regierung. Offiziell wird nur in einem oder zwei Sätzen darauf hingewiesen, dass es eine „vorläufige Vereinbarung“ gibt, ohne inhaltlich darauf einzugehen.

Die Unterdrückung in den oben erwähnten Provinzen wird noch intensiver, da Behörden jetzt (eigentlich unrichtig) beanspruchen: lasst euch registrieren, euer Papst hat unser System doch bereits anerkannt.

Dadurch, dass es gegenwärtig keine „illegalen“ exkommunizierten Bischöfe mehr gibt, deren Status vom Staat gerne ausgenutzt wurde, um bei großen Festen oder Bischofsweihen interne Probleme zu verursachen, gibt es jetzt definitiv Möglichkeiten eines gelasseneren Umgangs der „Untergrundkirche“ mit der „offiziellen Kirche“ und damit eine Chance für mehr Einheit. Aber diese Einheit wird es dann wohl nur unter der Führung der staatlich organisierten kirchlichen Behörden geben. 

Ich möchte Sie ermutigen, zu diesem großen und aktuellen Fragekomplex die Dokumentationen in China heute auf unserer Webseite www.china-zentrum.de zu verfolgen.

Frage: Was sind Ihre Hoffnungen für die Situation der Christen?

P. Welling: In China bewundere ich immer wieder den unbeugsamen und mutigen Einsatz der Christen für die Verbreitung des Evangeliums. Auch wenn alle Zeichen darauf hindeuten, dass die Gläubigen immer stärker unterdrückt werden, viele für ihren Glauben große Nachteile auf sich und ihre Familien nehmen müssen, so hoffe ich doch, dass sie - wie schon früher - schwere Zeiten verwurzelt im Glauben überstehen und aus dem Glauben heraus sich für China und seine Menschen einsetzen, wo ihre liebevolle Hilfe und Barmherzigkeit notwendig sind.