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Aktuelles Mission

"Die meisten glauben an Gott, und ihr Glaube ist stark"

Dr. Sebastian Thekethecheril stammt aus Aapadanad in Kerala im Süden Indiens. Im Interview mit dem "Ruf in die Zeit" spricht er über die Lage der katholischen Kirche im Vielvölkerstaat Indien.

Frage: Wie groß ist Ihre Diözese?

Bischof Sebastian: 9.000 Quadratkilometer, etwa so groß wie Unterfranken. Sie umfasst rund 94.000 römisch-katholische Christen in 84 Pfarreien. Einige Pfarreien haben Missionszentren, in denen regelmäßig Heilige Messen stattfinden. Insgesamt haben wir 126 Diözesanpriester,  73 Ordensgeistliche, 19 Brüder und 449 Ordensschwestern. Auf dem Gebiet meines Bistums befinden sich gleichzeitig fünf syro-malabarische und drei syro-malankarische Diözesen, die Teil der katholischen Kirche sind, aber mit eigener Leitung und eigenem Ritus.

Frage: Wie entwickelt sich die katholische Kirche in Indien?

Bischof Sebastian: Zur Zeit hält die katholische Kirche ihren Status-quo. Das bedeutet: Es gibt keine Massenbekehrungen wie zu Beginn. Aber das kirchliche Leben ist überall lebendig: nach innen, bei der Feier der Sakramente, und nach außen, durch vielfältige Aktivitäten auf den Gebieten der sozialen Entwicklung, der Erziehung oder im Bereich Gesundheit. Die Kirche in Indien schrumpft nicht, aber christlich zu leben wird immer stärker zu einer Herausforderung in einer Nation, in der nichtchristliche Glaubensrichtungen sehr stark sind. Die Regierung ist nicht unbedingt katholikenfreundlich. Vor allem an den moralischen Werten des Evangeliums ist sie nicht sonderlich interessiert. Sie spricht von Wohlstand und Bekämpfung der Armut, und bietet Geburtenkontrolle und Abtreibung als Lösung an. Das Kastensystem ist offiziell verboten, aber es wirkt sich immer noch aus. Vor allem den Menschen aus den unteren Kasten, die sich zum Christentum bekennen, werden grundlegende Rechte verweigert. Wir kämpfen dagegen an und unterstützen sie unter anderem durch schulische Bildung.

Frage: Indien hat eine lange spirituelle Tradition. Glauben Christen in Indien „anders“ als in Deutschland?

Bischof Sebastian: Es ist richtig, dass Indien eine lange spirituelle Tradition hat. Das bestimmt unsere Arbeit. Die meisten Menschen hier, ob reich oder arm, glauben an einen Gott, und ihr Glaube ist stark. Sie praktizieren ihre Rituale. Der Gedanke, die Religion zu wechseln, ist für sie schwer vorstellbar. Viele fühlen sich angezogen von Wunder n, die an Pilgerorten oder in charismatischen Zentren geschehen. Die Menschen schätzen sehr unsere Angebote in den Bereichen Erziehung und Gesundheit. Wir erleben in Indien überall heilige Orte, wie Tempel, Moscheen, religiöse Symbole. Kerala wird als Gottes eigenes Land‘ bezeichnet.

Im Gegensatz dazu spielt für viele Europäer zur Zeit Gott keine Rolle in ihrem Leben. Nicht wenige sind Christen nur dem Namen nach. Sie gehen nicht zur Kirche und glauben nicht an die erlösende Botschaft der Kirche. Sie hören in der Schule von Gott, aber ich bin mir nicht  sicher, ob sie Gott in ihren Familien erleben.

Frage: Was können Christen in Deutschland und Europa von den Menschen in Indien lernen?

Bischof Sebastian: Was Europäer von Indern lernen können: den starken Glauben an Gott; die Ernsthaftigkeit des geistlichen Lebens; dass die Armen mit ihren eingeschränkten Möglichkeiten glücklicher sind als die Reichen; dass die Beziehungen zwischen den Menschen am wichtigsten sind; dass ich mein Leben nicht für mich selber habe; dass ich zu einer Familie, einer Pfarrei, zur Kirche gehöre.

Frage: Was können sie von den indischen Christen lernen?

Bischof Sebastian: Sie können lernen, fester zu glauben. Zu glauben wie ein Kind, wie Christus sagt. Das Verhältnis zu Gott muss werden wie das eines Kindes zum Vater, egal ob jemand reich oder arm ist. Viele denken heute, nur Arme und Kranke brauchen Gott. Das ist nicht richtig. Wenn unser Glaube stark ist, werden wir verbunden mit der Kirche Gottes Plan verwirklichen: das Königreich Gottes auf Erden zu errichten.

Frage: Viele Christen in Deutschland denken bei "katholische Kirche" und "Indien" an Mutter Teresa. Wie wird sie in Indien gesehen?

Bischof Sebastian: Mutter Teresa war ein Vorbild als lebendige Zeugin für die Botschaft Jesu Christi, besonders durch ihre Barmherzigkeit und ihren Umgang mit Armen, Kranken und Einsamen. Sie wird in Indien hoch verehrt. Viele Inder wissen nicht, wer Christus ist oder was die katholische Kirche will. Aber sie wissen, wer Mutter Teresa ist. Und sie hat viele Nachfolgerinnen gefunden. Zu Beginn gab es in Indien das Missverständnis, dass sie nur wollte, dass sich Menschen zum Christentum bekehren. Mit der Zeit haben die Menschen verstanden, dass es ihr um den Dienst der Liebe an den Ärmsten ging. Heute sehen sich ihre Mitschwestern der Missionarinnen der Nächstenliebe allerdings vielen Schwierigkeiten gegenüber, die durch unzumutbare Restriktionen ausgelöst werden.

Bistum und Bischof

Bischof Sebastian wurde 2006 von Papst Benedikt XVI. zum Bischof der römisch-katholischen Diözese Vijayapuram ernannt. Der heute 65-Jährige hat in Rom Kirchenrecht studiert und von dort aus über viele Jahre hinweg auch Kontakte zu Pfarreien in Unterfranken geknüpft. In seiner Heimatdiözese hat er als Caritas-Direktor soziale Initiativen auf den Weg gebracht: Ausbildungsprogramme für Jugendliche und Frauenförderprogramme.