Wachsam sein!
Predigt von P. Christoph Gerhard OSB am 32. Sonntag im Jahreskreis
Liebe Schwestern und Brüder,
das heutige Evangelium über das Himmelreich, das Jesus seinen Jüngern erzählte, ist gar nicht so einfach. Wenn man es sehr genau liest und vielleicht auch noch mal im Griechischen nachliest, dann klingt es wesentlich dramatischer, als man es so gemeinhin hört: denn, die Hälfte der Jungfrauen bleibt draußen außerhalb des Hochzeitssaales.
Sie müssen draußen bleiben vor der Tür. Die Tür wird verschlossen und es gibt keinen Einlass, keine zweite Chance. Das Evangelium hat durchaus eine harte Seite des Ausschlusses. Jesus ist an dieser Stelle nicht derjenige, der alle zu sich ziehen will. Er ist nicht derjenige, der alle einlädt, zu ihm zu kommen und bei ihm zu sein. Er unterscheidet zwischen den wachsamen und verschlafenen Jungfrauen. Was ist also mit denen, die draußen bleiben müssen, die es im wahrsten Sinne des Wortes verpennt haben, dabei zu sein, weil sie nicht wachsam waren?
Wachsam sein, da zu sein. Im Augenblick im Hier und im Jetzt da zu sein! In der geistlichen Tradition wissen es die Mönche, und nicht nur die christlichen Mönche, sondern auch die anderer Konfessionen und Religionen, wie schwer das ist. Vieles in unseren Traditionen und Anleitungen zum mönchischen Leben zielt schlichtweg darauf ab, im Hier und Jetzt zu leben und sein.
Weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft, sondern das zu tun, was jetzt nötig und dran ist. Es ist eine hohe Kunst des Menschseins, dass Jesus da verlangt! Und wie geht das, hier jetzt da zu sein?
Ich möchte die die frohe Botschaft heute nicht als Drohung zu lesen, am Ende draußen zu stehen, wenn ich nicht achtgebe, sondern eher als Verlockung. Als Verlockung, hinzuhören, wachsam zu sein, was jetzt Not tut für mein Leben für die Gesellschaft, ja für die ganze Welt.
Dazu möchte ich die Ermutigung aus der Lesung, aus dem Buch der Weisheit aufnehmen. Es ist nämlich etwas ganz eigenes: wenn diese innere Wachsamkeit da ist bei uns Menschen, dann kommt uns die Weisheit Gottes entgegen. Ja, Gott sucht uns selbst mit seinem heiligen Geist und kommt zu uns mit seiner Kraft und mit seinem Rat. Es ist dann so, wie wenn er auf uns wartet, dass wir schlichtweg da sind und er nur noch zu uns zu kommen braucht.
Und er füllt uns mit seiner Kraft, mit seinen Gedanken, mit dem eben, was jetzt nottut oder die Not wenden wird. Die Weisheit geht selbst umher und sucht uns. Gott ist es, der uns sucht, der uns antreffen will, wo wir wachsam sind. Eine wunderschöne Verheißung an uns.
Und wo ist es nötig, wachsam zu sein? Es betrifft im Grunde genommen alle Bereiche unseres menschlichen Lebens.
Da bin ich zunächst selbst, was ich nötig habe für das Leben, welche Ruhe ich brauche oder welchen inneren Abstand, eine Zeit der Stille und des Aufmerkens. Wo ich für mich selbst meine Gedanken zusammen habe und mich nicht im Vielerlei des Alltags verliere. Vielleicht ist es in der Meditation oder Kontemplation, im Gebet. Vielleicht einfach nur in der Stille.
Wachsamkeit ist nötig, wo ich ganz beim anderen sein muss, weil er meine Hilfe nötig hat. Das gilt für unsere Gesellschaft, für unsere Politik. Es ist ja ungemein viel im Gange in unserer Gesellschaft hier in Deutschland. Themen, die vor einigen Jahren noch ganz wichtig waren, wie der Klimawandel, den erwähnt man heute am besten gar nicht, sondern spricht ein wenig um den heißen Brei herum, um nicht gleich ausgebuht zu werden.
Es ist der Friede, der äußerlich bedroht ist. Wir wollen die Nachrichten gar nicht an uns heranlassen, die ganzen Kriege und Konflikte in der Welt, von denen berichtet wird. Und doch sind sie es, die uns herausfordern, unsere Antwort brauchen. Es ist die politische Situation in unserem Lande, wo Parteien plötzlich Macht bekommen haben, wie man es sich vor einigen Jahren noch nicht vorstellen konnte, dass solche Kräfte überhaupt gewählt werden können.
Wachsam zu sein, da zu sein, meint eben nicht, die Augen zu verschließen vor der Komplexität unserer Welt, sondern diese Komplexität auch tatsächlich ernstzunehmen. Das gilt auch in unserer Kirche, wo die vielen Stimmen oft verwirrend sind, wo genug Themen da sind, über die man sich ärgern, ja wütend werden kann. Und doch kommt es darauf an, nicht voneinander zu lassen in der kirchlichen Gemeinschaft, sondern sie miteinander auszuhalten und durchzutragen. Auch wenn es konfliktreich ist, auch wenn es den Streit braucht, um den rechten Weg miteinander zu finden.
Wachsam sein hat, verschiedene Gestalten. Das eine ist die geistliche Seite, das Dasein ohne Zweck, ohne Nutzen, ohne irgendwelche Hintergedanken, weil es Gott ist der diese Wachsamkeit ganz und gar erfüllt.
Er ist der höchste von allen, was in unserem Leben geschieht. Er ist die Weisheit, der Heilige Geist. Er kann dann zur Triebfeder werden für das, was nötig ist, zu tun in unserer Welt.
Ich wünsche uns von Herzen, dass wir immer wieder beide Bewegungen in unserem Leben tun können, geschehen lassen können: Ohne Zweck da zu sein – und das andere: das zu tun, was uns von Gott her von der Gottesliebe, der Selbst- und Nächstenliebe her aufgetragen ist, zu handeln in dieser Welt, weil es sonst kein anderer tut.
Amen.