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Predigten

Offen werden für andere

Predigt von P. Jesaja Langenbacher OSB am Sonntag der 26. Woche im Jahreskreis

Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

ich glaube, treffender und provokativer könnte unser heutiges Evangelium in unsere aktuelle Situation kaum hineinsprechen: es ist, wie wenn wir in der Tagesschau in die Welt von heute blicken, auf die Menschen, die überall wirkliche Not leiden, auch in unserer Nachbarschaft. Jesus will uns erschrecken, aufschrecken, wach machen für unsere Verantwortung für die Not in unserer Welt und für die Not einzelner Menschen. So wie es aussieht, müssten wir unsere Herzen viel weiter öffnen, berührbar machen, dass wir – vielleicht wie Greta Thunberg – das Leid der Erde und der anderen Menschen richtig mitfühlend spüren.

Wir haben als Kinder dieser Welt, als Kinder Gottes, die Verantwortung, uns zu Lebzeiten schon für unsere "Schwestern und Brüder" einzusetzen und uns um Ausgleich zu bemühen. Das verstehe ich nicht in diesem Sinne, dass wir das "westliche Modell des unbegrenzten Wachstums" und "Wohlstands für alle" beibehalten sollen, sondern dass es vielmehr um eine radikale Umkehr, Wende hin zur Einfachheit geht.

Diese radikale Wende kann meiner Meinung nach nicht mit Gewalt stattfinden, sondern vielmehr durch Einsicht und Erfahrung, dass der wahre Reichtum des Lebens im Reichtum der Liebe liegt. Wenn Jesus vom Reich Gottes spricht, meint er diesen Reichtum, der allen zur Verfügung steht. Selbst wenn jemand materiell wenig besitzt, kann er andere noch reich machen durch ein Lächeln, ein gutes Wort, eine helfende Hand, ein aufmerksames Ohr, eine geschenkte Zeit. Wie reich ist doch ein neugeborenes Kind, das an sich noch gar nichts Materielles besitzt – aber alle reich macht, einfach nur weil es da ist.

Jesus rät uns, die materiellen Bedürfnisse und Probleme im Leben so zu lösen, dass wir uns als erstes um unsere Beziehung zu Gott kümmern, der Liebe ist. An seinem Herzen können wir Liebe und Mitgefühl lernen. Wir sollen nicht in Ohnmacht vor den Problemen der Welt erstarren, dass wir ja doch nichts machen können, sondern wir sind nach erfahrener Liebe aufgerufen, unsere Komfortzonen zu verlassen und all denen Liebe und durchaus Materielles zu schenken, die uns mit ihrer Not am nächsten sind. Wir werden erfahren, dass der Reichtum an Liebe wächst, je mehr wir unsere Liebe, Freude und unseren Frieden weiterschenken. Sie kennen sicher alle das Sprichwort "Geteilte Freude ist doppelte Freude!"

Wenn wir lernen, Gott zu lieben, unsere Nächsten und uns selbst, dann wird es selbstverständlich sein, dass wir diese Liebe teilen – über alle Grenzen hinweg – und auch auf unsere Mutter Erde übertragen.
Mit einem liebevollen Herzen können wir auf die Probleme der Welt schauen und von diesem inneren Reichtum her auch unseren Beitrag zum materiellen Ausgleich der Ungerechtigkeiten in der Welt geben – so wie wir es von unserem Herzen – und Geldbeutel her – können.

Die Gefahr des Reichen ist, dass er taub ist und ein verhärtetes Herz hat, das den wahren Reichtum im Teilen von Zeit und Raum, Trost, Wertschätzung und Liebe, Freude und Frieden nicht erkennen kann. Eigentlich ist der Reiche der Arme, der im Leben schon die Unterwelt – die Beziehungs- und Lieblosigkeit erfährt. Es ist wie mit einem Mann, der in einem Märchen in einem unterirdischen dunklen Höhlensystem gefangen ist – so lange bis er sich mitfühlend einem anderen Menschen zuwendet, ihm in dessen Not hilft – und so letztendlich befreit wird und endlich das Tageslicht – das wahre und eigentliche Leben wieder findet.

Das Evangelium ruft uns heute auf, nicht zu warten, bis noch einmal jemand von den Toten aufersteht, sondern dass wir uns mit aufgeschreckten Ohren des Herzens um die Ver-Bundenheit mit Gott bemühen, uns heute schon mit dem Herzen Gottes verbinden und aus dieser Erfahrung des Reichtums der Liebe all das tun, was in unseren (auch materiellen) Möglichkeiten liegt.

Dann können wir mit der Bedeutung des Namens "Lazarus" – "Gott hilft" – darauf vertrauen, dass Gott uns auch in seinen Möglichkeiten helfen wird, auch alle Gräben zu überwinden. Beginnen wir doch gleich hier und heute, indem wir unseren Nachbarn mit einem Lächeln beschenken. Amen.