Zum Hauptinhalt springen

Predigten

Nicht von dieser Welt?

Predigt von P. Anselm Grün OSB am 7. Ostersonntag.

Heute fragen sich viele Christen: Wer bin ich als Christ? Was macht meine christliche Identität aus? Wer bin ich in einer Welt, die sich immer mehr vom Christentum abwendet? Auf diese Fragen will uns das heutige Evangelium eine Antwort geben. Und diese Antwort klingt auf den ersten Blick für viele fremd. Jesus sagt, dass wir Christen nicht von dieser Welt sind. Das klingt nach Weltfremdheit. Aber es ist eine Zusage der Freiheit. Wir definieren uns nicht von der Welt, von weltlichen Maßstäben. Wir haben unser Wesen von Gott her. Wir lassen uns nicht von den Maßstäben dieser Welt bestimmen, also nicht von Erfolg und Anerkennung, von Besitz und Reichtum. Wir definieren uns von Gott. Das macht uns innerlich frei. Wir haben es nicht nötig, den Trend zur Selbstoptimierung mitzumachen, unter dem heute soviele Menschen leiden und der – so sagen die Psychologen – zum erschöpften Selbst und zu einer inneren Leere führt. Wenn wir uns von Gott her definieren, dann sind wir frei gegenüber den Erwartungen und Ansprüchen der Menschen. Dann sind wir auch frei von ihrer Meinung über uns. Und wir sind frei von dem Druck, uns ständig darstellen, uns beweisen, uns rechtfertigen zu müssen.

Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk, der sich Atheist nennt, ist dennoch begeistert von der Weltfremdheit der Wüstenmönche. Er meint, sie entspreche dem, was der griechische Philosoph Platon als das Wesen des Menschen beschrieben hat. Die Weltverfallenheit macht den Menschen blind. Die Weltfremdheit, die innere Freiheit gegenüber der Welt gehöre zum Wesen des Menschen. Sie bedeutet, die Welt von einer anderen Warte aus zu sehen. Das bringt Neues in sie hinein. Platon spricht von „paroikia“, vom Umsiedeln des Menschen in eine andere, göttliche Welt. Sloterdijk nennt die Mönche Umsiedlungskünstler. Ihre ganze Askese hatte das Ziel, aus dieser Welt sich in eine andere Welt umzusiedeln, so wie Paulus sagt: Unsere Heimat ist im Himmel. Das hat sie innerlich frei gemacht und sie haben die Welt mehr beeinflusst und verwandelt als alle, die sich der Welt nur angepasst haben.

Weil wir nicht aus der Welt sind, wird uns die Welt hassen, so wie sie Jesus gehasst hat. Jesus hat die Menschen fasziniert, weil er eine andere Sprache gesprochen und die Menschen aufgerichtet hat. Aber viele haben ihn auch gehasst, weil er etwas Anderes in ihre abgeschlossene Welt hinein gebracht hat. Wir spüren diesen Hass heute immer wieder, wenn Menschen allergisch auf christliche Gedanken reagieren. Eine Religionslehrerin erzählte mir, sie könne in der Verwandtschaft nicht erzählen, dass sie Religion unterrichte und in die Kirche gehe. Der Hass, mit dem ihre Verwandtschaft sie verfolgt, zeigt letztlich, dass Jesus – und dass wir Christen, wenn wir Jesus folgen – in den Menschen etwas anrühren, was ihrer tiefsten Sehnsucht entspricht. Aber sie haben sich von dieser Sehnsucht so sehr abgewandt, um ganz in der Welt aufzugehen und ihren Maßstäben zu entsprechen, dass sie jede Erinnerung an ihre innerste Sehnsucht als Angriff auf ihr Selbstverständnis verstehen und daher bekämpfen müssen. Nicht aus der Welt sein darf natürlich nicht bedeuten, dass wir uns über die Menschen stellen, dass wir uns als etwas Besonderes fühlen. Aber es darf auch nicht dazu führen, dass wir uns der Welt anpassen, damit wir beliebt sind. Wir sollten vielmehr die Hoffnung haben, dass die, die so sehr das Christliche hassen, irgendwann doch spüren, dass es ihrer tiefsten Sehnsucht entspricht.

Das Nicht-aus-der Welt-Sein soll nach den Worten Jesu aber nicht zu einer traurigen Stimmung, zur Weltverachtung oder zum Pessimismus führen. Vielmehr spricht Jesus von der Freude, die von seinen Worten ausgeht und die wir in Fülle haben sollen. Die Worte Jesu, die er damals zu den Jüngern sprach und die er heute zu uns spricht, sind Ausdruck von Freude. Und sie vermitteln die Freude, die Jesu Bewusstsein prägt, damit sie auch unser Bewusstsein bestimmt. Wir dürfen uns freuen auch an der Schönheit der Welt. Wir dürfen uns freuen an der Liebe, die wir von unseren Müttern erfahren haben, deren wir heute am Muttertag gedenken. Wir dürfen uns freuen an der Liebe, die Jesus in unser Leben gebracht hat.

Jesus sendet uns in die Welt hinein, damit wir in dieser Welt Zeugnis ablegen von dem, was nicht von dieser Welt ist. Unsere Aufgabe ist, diese Welt zu gestalten, sie mit dem Geist Jesu zu durchdringen. Jesus selbst sagt von sich, dass er zum Vater geht. Die Eucharistiefeier – so sagt das II. Vatikanische Konzil – ist Paschamysterium. Das klingt schön, aber kaum einer weiß, was es bedeuten soll. Pascha, so sagt Augutinus, bedeutet transitus = Hinübergehen. Wir gehen mit Jesus jetzt schon hinüber in eine andere Welt, damit wir uns dieser Welt gegenüber frei fühlen und aus dieser Freiheit heraus diese Welt gestalten können, ohne Angst vor Enttäuschung oder Misserfolgen. Das Gelingen unseres Lebens hängt nicht davon ab, ob wir mit unserem Tun Erfolg haben, sondern davon, dass wir in dieser Welt aus einer anderen Wirklichkeit heraus leben, aus der Wirklichkeit Gottes heraus. Dann atmet unser Leben Freiheit und Freude. Und wir fühlen uns nicht mehr zerrissen, sondern eins mit uns selbst, eins mit Gott und eins mit den Menschen in dieser Welt.

Aber dieses Einssein bedeutet keine Abhängigkeit, sondern eine innere Verbundenheit mit allen Menschen. Jesus will, dass wir in dieser Verbundenheit mit allen Menschen seine Freude und seine Liebe ausstrahlen, damit durch uns diese Welt verwandelt wird. Jesus sendet uns in diese Welt, so wie der Vater ihn in diese Welt gesandt hat, damit er vom Vater Zeugnis ablegt, damit er Gottes Herrlichkeit und Schönheit in dieser Welt aufleuchten lässt. So haben auch wir den Auftrag, diese Welt mit dem Geist Jesu zu durchdringen und zu erleuchten. Die Freiheit von der Welt führt zu einer neuen Verantwortung für diese Welt, dass wir in dieser Welt von einer anderen Welt Zeugnis ablegen, von der Welt Gottes, die unserer Welt ihren eigentlichen Sinn verleiht. Und diese Freiheit von der Welt führt zu einer neuen Verbundenheit mit der Welt, mit allen Menschen, für die wir zu Zeugen einer anderen, einer göttlichen Welt werden, oder psychologisch gesprochen, zu Zeugen eines neuen Bewusstseins, eines Bewusstseins, das dem wahren Wesen des Menschen entspricht.

In jeder Eucharistiefeier gehen wir aus dieser Welt hinüber in die Welt Gottes. Wir fliehen nicht aus dieser Welt, sondern wir gehen in diese Welt hinein mit dem Bewusstsein, dass wir aus einer anderen Welt kommen, aus der Welt Gottes. So bringen wir in diese Welt einen neuen Geschmack, den Geschmack der Freiheit von den Maßstäben dieser Welt, den Geist der Freude an all dem, was Gott uns in der Welt von seiner Schönheit zeigt, und den Geist einer Liebe, die nie versiegt, weil sie göttlich ist. Amen.