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Predigten

Mensch, erkenne Deine Würde

Predigt von Pater Noach Heckel OSB an Mariä Himmelfahrt in der Abteikirche

Liebe Schwestern und Brüder,

als Ruth Cohn,Jüdin und eine bedeutende Vertreterin der humanistischen Psychologie, vom Dogmavon der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel hörte, sagte sie:

„Da hat Euer Papst etwas wirklich Gescheites gesagt! Ich habe immer gewusst, dass Geist und Materie bei Gott zusammengehören“.

Für Ruth Cohn wares ein ganz nachvollziehbares Ereignis, dass sich alle Materie in Gott sammeln muss und es war ihr, obwohl sie keine Christin war, Hoffnung für den eigenen Tod.

„Ich habe immer gewusst, dass Geist und Materie, dass Seele und Leib bei Gott zusammen gehören“.

Aber in dem Fest, das wir heute feiern, geht es nicht nur um die Hoffnung auf eine gute Zukunft, es geht um das Jetzt, es geht um das Menschsein überhaupt, um die Würde des Menschen, die darin gründet, dass wir mit Leib und Seele bei Gott zu Hause sind.

„Mensch erkenne Deine Würde!“ – so ruft Papst Leo in einer Weihnachtspredigt.

„Mensch erkenne Deine Würde!“, so erinnert uns das Fest von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel.

Papst Pius XII.hat 1950 mit diesem Mariendogma eine Antwort gegeben auf die Entwürdigung des Menschen: Eine Antwort auf die Verrohung und Verachtung des Menschen im zweiten Weltkrieg, der gerade einmal 5 Jahre vorbei war. Eine Antwort aufd en Holocaust, auf den Zynismus mit dem Menschen andere Menschen gequält und vernichtet haben. Eine Antwort auf den Daseinsekel des damals herrschenden Existentialismus, als sich der Mensch – gleich einem Tier – in die Welt geworfen erfuhr, fremd und heimatlos.

60 Jahre später hat die Frage nach der Würde nichts an Aktualität verloren. Die Entwürdigung des Menschen beginnt schleichend an den Rändern des Lebens, dort wo der Mensch besonders wehrlos, hilflos, bedürftig ist, wo er keine Lobby hat, wo er sich nicht wehren kann.

Die Methoden der Entwürdigung sind andere geworden: feinsinniger, fast schon unsichtbar, aber um so effektiver. Romano Guardini spricht davon, dass sich der (un-)menschliche Instinkt der Tiefe mit Ratio und Technik verbunden hat, Unmenschlichkeit und Maschine bilden eine unselige und todbringende Einheit.

Aber es gibt auch die kleinen Entwürdigungen, die wir einander Tag für Tag zufügen: Wenn ich mich bediene am anderen, an seiner Nützlichkeit, seiner Funktion, wenn ich Menschen gebrauche wie eine Sache für meine Zwecke, wenn ich nicht die Person im anderen sehen mit all ihren Facetten, mit allem, was zu ihr gehört, was sie zutiefst ausmacht.

Oder die Entwürdigung, die wir uns selbst zufügen, wenn ich an mir vorbeilebe, mich leben lasse, oder wenn ich mich vom Leben zurückziehe, mich selbst isoliere, wenn ich aufgehört habe, mich zu sehnen, mich auszustrecken, wenn ich mich abgefunden, wenn ich resigniert habe.

„Mensch, erkenne Deine Würde!“

„Mensch erkenne, wer Du wirklich bist!“, so sagt uns das heutige Fest.

Ein Fest, das zutiefst Zustimmung ausdrückt: Zustimmung zur Person, zur Ganzheit und Würde des Menschen. Zustimmung zum Leib – ein Leib, der für Sinnlichkeit und Vitalität steht, für die ganze Fülle des Lebens; ein Leib, der eine Himmelfahrt vor sich hat.

„Ich habe immer gewusst, dass Geist und Materie, dass Seele und Leib bei Gott zusammen gehören“, sagte Ruth Cohn.

Nicht Trennung oder innere Entfremdung ist unser Los – Gott liebt den ganzen Menschen, Seele und Leib. Gott liebt den Leib, der gezeichnet ist von Mühsal und Arbeit, von unserer rastlosen Sehnsucht, die Spuren hinterlassen hat. Jede einzelne Falte in unserem Gesicht hat bei Ihm ihr Zuhause, meine ganze Geschichte. AMEN

Pater Noach Heckel OSB