"Meine Schafe hören auf meine Stimme"
Predigt von P. Noach Heckel OSB am 4. Ostersonntag in der Abteikirche Münsterschwarzach zu Joh 10, 27-30
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
Es ist schon einige Zeit her, da kam ein Mädchen von vielleicht 11 oder 12 Jahren zu einem Beichtgespräch. Ich war überrascht, wie sie über sich sprechen konnte, über das, was ihr schwer fällt und was ihr Freude macht. Ganz selbstverständlich hat sie auch von Jesus erzählt. Am Ende sagte das Mädchen dann noch: "P. Noach, ich möchte Jesus noch besser kennenlernen. Können Sie mir sagen, wie ich seine Stimme hören kann?"
Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie und sie folgen mir… So haben wir gerade Jesus im Evangelium gehört und ich musste sofort an dieses besondere Beichtgespräch denken.
Dieses Kind, da war ich mir damals sicher, hatte Jesus Stimme schon vernommen, sonst hätte esnicht nach ihr fragen können. "Können Sie mir sagen, wie ich Jesu Stimme hören kann?“ Als ich diese Frage gestellt bekam, schossen in Millisekunden die verschiedensten Gedanken durch meinen Kopf: "Wie war das eigentlich bei mir? Kenne ich Jesu Stimme? Und wann und wie habe ich sie eigentlich das erste Mal vernommen?"
Das ist ja nicht so, wie wenn ich zum Telefonhörer greife, eine Nummer wähle und dann meldet sich jemand auf der anderen Seite. Unsere Ohren müssen erst „hörfähig“ werden für Jesu Wort. Ich muss mich an den Klang seiner Stimme gewöhnen. Jede Stimme hat etwas Unverwechselbares, eine eigene Melodie, einen eigenen Ton. Die Stimme eines vertrauten Menschen erkennen wir unter 1000 anderen. Auch Jesu Stimme hat einen besonderen Klang, den es zu erkennen gilt unter all den vielen Stimmen, die auf uns einprasseln.
Ignatius von Loyola spricht von den Regungen des Herzens, die wir kennenlernen und beobachten sollen. In ihnen, so sagt er, vermag der Mensch auch die Stimme des Herrn zu entdecken.
Ich erinnere mich, dass ich Menschen bedurfte, die mir halfen, einen Zugang zu dieser inneren Wirklichkeit zu finden. Es waren Menschen, die selbst diese Stimme hören gelernt hatten. Sie machten mir Mut, den Regungen in meinem Herzen nachzugehen, auch das Leise und Zarte in mir ernst zu nehmen, mich darin ernst zu nehmen. Dafür werde ich diesen Menschen immer dankbar sein, dass sie mir auf diese Weise zu Geburtshelfern wurden. Nun war es umgekehrt und mir saß ein Kind gegenüber und fragt mich nach Jesus.
Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie und sie folgen mir.
Jesu Stimme ist nicht selten eine leise. Sie drängt sich nicht auf, sie dröhnt nicht und lärmt nicht. Jesus zwingt nicht und doch spricht er mit Autorität, mit Innenautorität. Sein Wort trifft, wie es im Hebräerbrief heißt: "Kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert dringt es in die Seele…" Umgekehrt ist es nur allzu leicht, sich Jesu Stimme im Herzen zu entziehen, wenn ich mich zu-dröhne, taub mache, ein Leben nur im Außen führe.
Viele, vielleicht die meisten Menschen sind sehr stark außenorientiert; ihr Leben spielt sich fast nur im Außen ab: die Beziehungen, der Beruf, die Aufgaben nehmen ganz in Beschlag… Für das, was innen passiert, dafür haben viele den Bezug verloren. Sie spüren nicht mehr, was in ihnen vor sich geht. Im Gegenteil: Gefühle, Unangenehmes wird verdrängt oder das ganze Leben wird bewusst auf das Außen verlagert, nur um nicht wahrnehmen zu müssen...
Menschen, die innerlich von sich abgeschnitten sind, erleben sich häufig auch von Gott abgeschnitten. Wenn ich mich selbst nicht kenne, kann ich auch Gott nicht erkennen. Sie müssen ihren Innenraum, die Regungen des Herzens, erst entdecken.
Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie und sie folgen mir.
Auf dem Grund der Seele, so sagen die Väter, erwartet mich der Herr, dort spricht er zu mir. Daher war dem Hl. Benedikt das Schweigen so wichtig. Erst, wenn es äußerlich ruhig geworden ist, vermag ich nach innen zu lauschen, erst dann ist der Weg nach innen offen.
Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie und sie folgen mir.
Ich weiß nicht mehr, was ich dem Mädchen damals gesagt habe, aber mir ist dieses Gespräch lange nachgegangen. Und ich bin diesem Kind sehr dankbar, dass es mich auf diese Weise auf Jesus und seine Stimme hingewiesen hat.
Denn ich bin gewiss, es hängt in unserem Leben alles daran, vertraut zu werden mit dem Klang der Stimme Jesu in unserer Seele, in unserem Leben – auf sein Wort zu lauschen und ihm zu folgen… so wie der Herr uns heute sagt:
Meine Schafe hören auf meine Stimme. Ich kenne sie und sie folgen mir.
Ich gebe ihnen ewiges Leben. Sie werden niemals zugrunde gehen und niemand wird sie meiner Hand entreißen. AMEN.