Ich – ein heiliges Zufallsprodukt.
Predigt von P. Fidelis Ruppert OSB am 2. Sonntag nach Weihnacht 2021 (Eph 1,3-6, 15-18)
Schwestern und Brüder!
In der Lesung haben wir gehört: "Gott hat uns erwählt vor der Grundlegung der Welt,….. Er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne und Töchter zu werden."
Ein gewaltige Aussage! Schon vor Erschaffung der Welt sind wir als Söhne und Töchter Gottes gerufen und geliebt.
Man könnte dieses Thema aber auch noch andersherum betrachten: Ich habe mal gelesen, wenn man über sein Leben nachdenkt, solle man mit dem Zeitpunkt „ein Jahr vor meiner Geburt“ beginnen. Erst habe ich gedacht, ich hätte mich verlesen. Aber da stand wirklich "ein Jahr vor meiner Geburt".
Langsam dämmerte mir, was der Autor bezwecken wollte:
Ein Jahr vor meiner Geburt – was war da? Nichts, einfach Nichts, nichts, was auf mich hindeutet. Sogar noch wenige Minuten und Sekunden vor meiner Zeugung hat nichts darauf hingewiesen, dass so ein Typ, genau wie ich, da entstehen würde. Obwohl meine Eltern noch ein weiteres Kind wollten und das Ihre dazu taten, war es reiner Zufall, dass aus den zigtausenden von Samenfäden, sich ausgerechnet das zusammenfügte, aus dem genau ich, mein Typ entstanden ist; es hätte auch ein Kind ganz anderer Art entstehen können, z.B. ein Mädchen oder ein ganz anderer Junge.
Dann gäbe es mich nicht – und niemand würde mich heute vermissen. peinlich!! So wie ich bin, bin ich also ein Zufallsprodukt, – biologisch gesprochen – und das gilt auch für Sie, für jede und jeden von uns.
Eigentlich ist das nichts Neues, wenn man sich ein wenig in der Biologie auskennt. Aber als ich das in Ruhe auf mich wirken ließ, war ich doch sehr gerührt. Da deutet nichts auf meinen Typ hin, und plötzlich gibt es mich, genau mich – wie aus heiterem Himmel. – Ja, eben biologisch gesprochen.
Die Heilige Schrift hat da noch einen anderen Blick. Wir haben eingangs gehört: "Er hat uns aus Liebe im Voraus – vor Grundlegung der Welt – dazu bestimmt, seine Söhne und Töchter zu werden."
In Gottes Augen war ich schon lange vorher geplant, genau ich: geplant, geliebt, gewollt. – Man könnte auch sagen: wir alle sind Wunschkinder Gottes.
Der Psalm 139 beschreibt etwas von dieser Liebe, von diesem persönlichen Interesse Gottes an mir – von Anfang an. Es heißt da z.B.:
Du hast mein Innerstes gebildet,
hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter……
Dir waren meine Glieder nicht verborgen,
als ich gestaltet wurde im Geheimen…..
Deine Augen sahen, wie ich entstand.
Da hat Einer zugeschaut, wie ich entstand, wie meine Glieder sich langsam gebildet haben. Er war rührend-liebevoll an mir interessiert. Sobald Gott ins Spiel kommt, gibt es keinen Zufall mehr, da werden wir sofort Teil der Geschichte Gottes mit den Menschen – von Ewigkeit her und auch durch die Jahrhunderte hindurch. Im geistigen Bereich sind wir nicht isolierte Zufallsprodukte, sondern vernetzt und verbunden über Jahrhunderte hinweg.
Wenn wir Weihnacht feiern, da verbindet sich mein Leben mit der Geburt Jesu. Ich fühle mich über die Jahrhunderte hinweg mit diesem Jesus verbunden. Von ihm geht ein Lebensstrom aus, der mein Leben erfasst und erfüllt. Und als Mönch habe ich eine geistige Verbundenheit, eine Verwandtschaft mit dem heiligen Benedikt oder mit den Mönchen der ägyptischen Wüste.Wenn ich in Ägypten in der Höhle des Antonius stehe, dann ist das Gegenwart, fühlt sich an wie Heimat – und das über mehr als sechzehnhundert Jahre hinweg.
Da geht es nicht nur um Vergangenheit, sondern um lebendige Gegenwart; da fließt eine Quelle der Kraft aus dem Erfahrungsschatz lebendiger Tradition. Die Beispiele ließen sich vermehren, aus meiner Erfahrung und aus der Lebenswelt von Ihnen allen.
Wir biologische Zufallsprodukte sind in geistiger Weise weit vernetzt in unserer Welt und weit zurück mit Ereignissen in der Vergangenheit, eingebettet in einen gewaltigen Strom von Tradition und Leben. Diese Verankerung in der Tradition kann ein starker Halt sein – gerade in Zeiten der Krise und der Unsicherheit.
Das ist aber noch nicht alles. Wir sind ebenso in eine gewaltige Zukunft eingebettet. Am Ende der heutigen Lesung heißt es dann:
Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt.
Es sollen uns die Augen aufgehen, dass wir das Erbe erkennen, das noch aussteht: die Hoffnung auf den Reichtum göttlicher Herrlichkeit.
Der heilige Benedikt formuliert das so: Wir sollen "das ewige Leben mit allem geistlichen Verlangen ersehnen." Dieses Wort war mir früher oft etwas unangenehm, es war noch zu weit weg.
Je älter ich werde, desto wertvoller wird mir dieses Wort: "Das ewige Leben mit allem geistlichen Verlangen ersehnen."
Obwohl meine leibliche Entstehung viel mit Zufall zu tun hat, reicht der geistige Horizont meines Lebens bis in die Anfänge des Christentums zurück und noch weit darüber hinaus, und zugleich öffnet sich auch noch weit eine unendliche Zukunft, die wir „mit allem geistlichen Verlangen ersehnen“ können und sollen.
Wir biologische Zufallsprodukte sind gleichzeitig auch heilige, geheiligte Zufallsprodukte – mit einer ungeheuren Verheißung, die mehr und mehr auf uns zukommt – die überfließende Verheißung göttlicher Herrlichkeit. Amen