Die Sehnsucht nach Geist
Predigt von P. Placidus Berger OSB am 14. Sonntag im Jahreskreis zu Röm 8,9.11-13.
Ein gewaltiger Aufruf vom heiligen Paulus zu einem Leben nach dem Geist war unsere Lesung heute. Aber wo sollen wir denn einen so starken Geist herbekommen? Zur Zeit des Lebens Jesu war das leichter. Seine eindrucksvollen Predigten und seine Wunder haben einen solchen Eindruck gemacht, dass seine Zuhörer die Kraft des Geistes spürten. Aber was motiviert denn uns heutzutage dazu?
Die Zeit des historischen Jesus ist vorbei. Wir leben jetzt in der Zeit nach Himmelfahrt und Pfingsten, manche Theologen nennen es auch die Zeit des Heiligen Geistes. Und das heißt: Keine massenhaften Krankenheilungen mehr, keine wunderbare Brotvermehrung, keine Verwandlung von Wasser in Wein auf einer Hochzeitsparty, keine Totenerweckungen, ja nicht einmal so gewaltige Prediger wie Pater Leppig, Kardinal Döpfner oder Pater Mario von Galli. Wo sollen wir denn Geist herbekommen?
Es gibt zwar eine Art Sehnsucht nach Geist, die sich in Worten versteckt wie Suche nach Werten (wobei geistige oder jedenfalls seelische Werte gemeint sind), oder die Suche nach Spiritualität in Meditation oder Kontemplation, Suche nach sinnerfüllter Gemeinschaft. Viel Suche, weniger Erfahrung.
In der ersten Zeit nach dem Pfingstereignis gab es noch deutliche Offenbarungen des Geistes. Wir lesen in der Apostelgeschichte, dass häufig während der Predigt der Heilige Geist plötzlich über die Zuhörer kam. In den Schriften des Paulus wird öfters von geisterfüllten Charismen geredet, die man hören und sehen konnte. Paulus sah darin geradezu einen Beweis für die Geistigkeit des Christentums. Wir stümperhaften Epigonen haben dafür lediglich den nichtssagenden Ausdruck, das sei ein "Unterpfand" des Geistes, wobei niemand weiß, was ein Unterpfand ist. Unsere Schüler verstehen vielleicht den Ausdruck "Flaschenpfand" oder wer BWL studiert hat, weiß was ein Pfandbrief ist, aber Unterpfand? Wohin hat sich denn da die theologische Sprache verirrt?
Es würde deutlich mehr ausdrücken, wenn wir ganz einfach den hebräischen bzw. griechischen Ausdruck in der Bibel wörtlich übersetzt nehmen würden. Dort heißt das Wort für Geist nämlich ursprünglich "Hauch", Hauch aus dem Mund oder leichter Windhauch. Wenn man manchmal bei einer Situation das Gefühl hat, man würde wie von einer geheimnisvollen anderen Welt angehaucht, dann kommt das vom Hl. Geist.
Die Apostel selbst haben uns gezeigt, dass selbst die anfänglichen Geist-Erweise aufhören, und andere Konditionen eintreten müssen. Schon bei den ersten Schwierigkeiten, die sie hatten, haben sie nichtmehr damit gerechnet, dass der Geist noch einmal wie am Pfingsttag auf sie herabkommt, sondern haben angefangen erst einmal selbst zu denken und zu planen. Sie haben drei Konzilien einberufen und die Zukunft beraten. Im 2. Konzil (Apg 6) ging es darum soziale Ungerechtigkeiten bei der Witwenfürsorge zu beheben. Sie haben daher durch Volksentscheid eine Kommission von sieben Mannsbildern eingesetzt, welcher die Organisation dieser Fürsorge übertragen wurde. Man höre und staune: Sie haben ein neues Amt in der Kirche eingesetzt, ein Amt, das nicht von Jesus eingesetzt wurde, sondern von der Kirche. Und was die Kirche selbst eingesetzt hat, kann sie auch selber modifizieren. Später nannte man dieses Amt Diakone.
Wir haben dieses Amt heute noch, und es bedürfte längst einer Erweiterung seiner Kompetenzen. Der Papst hat sogar auch eine Kommission eingesetzt zur Prüfung dieses Anliegens. Aber was hat die Kommission getan? Sie haben die typisch römische Beamten-Antwort gegeben:
- das ist nicht im Kirchenrecht vorgesehen
- eine Änderungsmöglichkeit lässt sich aus der Bibel nicht beweisen
- so was hat es noch nie gegeben
- und da könnt‘ ja jeder kommen. Punkt!
Sie haben etwaigen Einfluss des Heiligen Geistes desavouiert, weil sie vor dem Heiligen Geist mehr Angst hatten wie vor dem Corona-Virus."Wie geistlos!", kann ich da nur sagen. Der große Theologe Karl Rahner hat einmal gesagt: "Gedankenlosigkeit ist keine Gabe des Heiligen Geistes."
Ein anderes Beispiel sehen wir im 15. Kapitel der Apostelgeschichte. Da ging es um eine epochemachende Entscheidung. Soll der ganze Wust von Gesetzen im AT beibehalten werden, oder schaffen wir ihn jetzt ab. Und sie beschlossen die Abschaffung. Das war mutig und gewaltig! Damit begann eine neue Epoche in der frühen Kirchengeschichte. Wie sich das gehört, verfassten sie ein Protokoll und ließen es durch vier Kuriere an die auswärtigen Christengemeinden überbringen. Und nun hört und staunt, was die Apostel gleich am Anfang des Briefes sagten: "Der Heilige Geist und wir haben beschlossen" (Apg 15,28). Das ist ein Wort! Wäre heute so stark unvorstellbar, aber dennoch hält die Kirche auch heute daran fest, dass Konzilsbeschlüsse vom Heiligen Geist mitgetragen werden.
An diesen Beispielen sieht man, wie der Hl. Geist heute wirkt. Auch beim letzten Konzil hat man so einen Hauch gespürt. Es war die Rede von einem Durchgang des Geistes durch die Kirche.
Allerdings haben viele Bischöfe, als sie wieder nach Hause kamen, diesen Höhenflug des Geistes nicht aufrechterhalten können. Der damalige Erzbischof von Köln, Kardinal Frings, hat zusammen mit seinem jugendlichen Sekretär namens Josef Ratzinger schon in der ersten Sitzung des Konzils Furore gemacht, indem er sagte, die von den vatikanischen Büro-Hengsten ausgearbeiteten Vorlagen taugten keinen Schuss Pulver und so konnte er die Mehrheit der Bischöfe überzeugen, neue Kommissionen für neue Vorlagen einzusetzen. Damit haben die beiden dem Konzil eine völlig neue Richtung gegeben, ich würde sagen, mit spürbarer Hilfe des Heiligen Geistes. Als Kardinal Frings aber wieder zuhause in Köln war, zeigte er sich wieder ziemlich ängstlich. Die Leute fragten ihn, ob er denn seinen Schwung von Rom verloren habe. Seine Antwort war: "In Rom da hat mich der Heilige Geist erwischt, aber hier in Köln erwischt mich nichts mehr."
Liebe Zuhörer, ein Geist, der uns heute Kraft geben kann, kommt weniger aus alten Wunder-Erzählungen, alttestamentlichen Mythologien und Ideologien. Theologie darf nicht dazu verwendet werden, alte Geschichten wissenschaftlich aufzuwärmen, sondern sie muss den real existierenden Glauben, und das heißt auch den heutzutage real existierenden und wirkenden Hl. Geist ins Bewusstsein bringen. Wir leben aus der Geistes-Erfahrung von heute, nicht aus der vor Tausenden von Jahren.
Amen.