Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes
Predigt von P. Jesaja Langenbacher OSB am 6. Sonntag im Jahreskreis zu Mt 5, 17-37.
Liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
das war ein langes Evangelium. Und was wir da alles machen oder lassen sollen – geht das alles überhaupt? Sind wir da nicht ebenso überfordert, wie wir es im Angesicht des Durcheinanders und der augenblicklichen Orientierungslosigkeit in der Welt sind? Wie bekommen wir unser eigenes, persönliches Leben und unser Zusammenleben im nahen Umfeld und in der Welt auf die richtige Spur? Wie kommen wir in der ganzen Welt zurück in die richtige Ordnung – in die Schöpfungsordnung Gottes – wo alles gut war oder ist?
Wir merken, dass das gar nicht so einfach ist. Deshalb greifen viele Menschen auf alte Verhaltensweisen zurück, die das Leben zu vereinfach scheinen – auf "Rechts- oder Linksextremismus", auf die jeweiligen Nationalismen, Rückzug ins Privatleben, reine Konsumorientierung. Allerdings werden die vereinfachten Lebensdeutungen weder der Vielschichtigkeit der Herausforderungen gerecht noch der eigenen Sehnsucht nach erfülltem Leben.
Das Evangelium von heute stellt uns eine Lebensorientierung vor Augen, die uns in Geboten des Alten und Neuen Testamentes gegeben wurde und wird. Dabei geht es nicht darum, sie gegeneinander auszuspielen, sondern sie von ihrer Mitte und ihrem Urgrund her zu verstehen und zu erfüllen. Letztlich sollen die Gebote und Gesetze Gottes nicht nur rein äußerlich, "buchstabengetreu" erfüllt werden, wie es Jesus den Schriftgelehrten und Pharisäern vorwirft, sondern innerlich abgedeckt mit einem liebevollen Herzen. Die Vollkommenheit des rechten Handelns besteht in der Liebe.
Der heilige Augustinus sagt dazu: "Liebe, und dann tue, was Du willst. Denn aus dieser Wurzel kann nur Gutes hervorgehen." Augustinus meint hier nicht eine Liebe als ein kurzlebiges Gefühl, sondern eine Liebe, die aus einer tiefen Gott-Ver-Bund-enheit entsteht. Das ist eine Erfahrung, "wie im Himmel zu sein", sich unendlich und bedingungslos geliebt zu fühlen, wie wenn die Zeit stehen bleiben würde, alles ist gut, alles ist miteinander verbunden. In eine solche Erfahrung der grenzenlosen Dankbarkeit, der Fülle des Lebens, des Friedens und der Freude wollen uns die Gebote zurückführen, so dass wir es wahrnehmen dürfen, was der heilige Paulus den Menschen von Athen sagte: "in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir".
Das Himmelreich ist uns nahe, erfüllt und umgibt uns wie die Luft, die wir atmen.
In den einzelnen Geboten gibt uns Jesus dann Beispiele, wie wir konkret in eine solche Gott-Verbundenheit kommen können. Wie kann eine Zentrierung auf das Herz und die Liebe Gottes aussehen?
Dass wir nicht töten sollen, ist eigentlich allen klar. Jesus vertieft und deutet dieses Gebot, indem er sagt, dass wir auch darauf verzichten sollen, dem anderen auch nur zu zürnen oder ihn zu beleidigen. Jesus sagt uns: Ich möchte, dass Du den anderen leben lässt, ihn/ sie in seiner/ihrer Würde als einzigartiger Mensch im ganzen Kosmos und als Gottes Geschöpf groß sein lässt. Das ist die größere und weitergehende Gerechtigkeit.
Im zweiten Beispiel Jesu sollen wir zu unserer Versöhnung und zur Befriedung des Herzens nicht nur eine Opfergabe zum Altar bringen, die Kirchensteuer bezahlen, beichten, sondern uns vielmehr mit dem Menschen versöhnen, mit dem wir (vielleicht seit Jahren/Jahrzehnten) im Streit sind. Wir sollen ganz schnell wieder ein "Wohlgesonnener" werden, der seine Gesinnung so schnell wie möglich wieder auf das Wohl aller richtet.
Die Lehre vom Ausreißen des rechten Auges oder der rechten Hand, die zum Bösen verführen, meint hier in einer bildlichen Auslegung, dass wir uns im Handeln auf die linke Seite konzentrieren sollen – auf die Herz-Seite. Wir sollen "aus dem Herzen" handeln und mit dem Herzen schauen. Wir sollen nicht nur "als Macher" aktiv sein, alles kontrollieren und immer beschäftigt sein, sondern auch mal 5 gerade sein lassen, die Hände in den Schoß legen, sich beschenken lassen, loslassen, sich verschenken und anderen damit Leben möglich machen. Dem rechten Auge, dem kritischen Auge tut es auch mal gut, es zuzudrücken und nur das Gute im anderen zu sehen, und ihn nicht zu bewerten und zu verurteilen. Mit dem linken Auge zu schauen, dem Herz-Auge, bedeutet letztendlich zu lernen, mit den Augen Gottes zu schauen, wertschätzend und menschlich zu sein, bedingungslos und unendlich zu lieben.
Diese Stelle aus der Bergpredigt verkündigt uns das Zentrum des ganzen Evangeliums: "Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes." Wir sollen lernen, jesuanisch zu leben und so selbst zu einem von Liebe erfüllten Menschen werden, gott-ähnlich – oder etwas provokant formuliert zu einem "anderen Christus" werden.
Auf die Frage eines Journalisten an Mutter Teresa von Kalkutta, was sich ihrer Meinung nach in der Kirche ändern müsste, antwortete sie mit nur drei Worten: "Sie und ich."
Lassen wir uns doch in dieser unruhigen Zeit durch die Stabilität eines gott-verbundenen Herzens leiten. Werden wir so zu Leuchtfeuern unseren Zeit.
Wollen wir das? Euer Ja sei ein Ja. Amen.