Sterbende begleiten – Fortbildung der Infirmerie
Es gibt sie nicht mehr, die Sterbekultur. Wo früher der Tod – nicht nur wegen hoher Sterberaten – zum Alltag gehörte, wird er heute nur allzu gerne daraus verbannt. Auch für Menschen, bei denen Krankheit und Tod zum Arbeitsalltag gehört, ist die Begleitung von Sterbenden immer eine Herausforderung. Die insgesamt neun Pflegekräfte der Abtei Münsterschwarzach haben in einer Fortbildung von der Erfahrung des Leiters des Schmerz- und Palliativzentrums in der Charité Berlin, Dr. Andreas. Kopf, profitiert. Vor allem der spirituelle Aspekt spielt dabei eine große Rolle.
Zunächst wurde allerdings der Fokus auf Chancen und Grenzen der Palliativmedizin gelegt. Dr. Kopf erläuterte typische Symptome bei Menschen in den letzten Tagen und Stunden ihres Lebens. Darüber hinaus erklärte er, wie diese medikamentös bestmöglich zu behandeln seien und welche Methoden gerade im Endstadium durchaus auch belastend sein könnten. So solle etwa der Durst eines Sterbenden nicht mit einer Infusion, sondern mit einem feuchten Tuch gestillt werden. Er benötige in diesem Moment die Flüssigkeit oft zur Anfeuchtung im trockenen Mundraum und nicht intravenös als Infusion.
Im zweiten Teil ging es um das sogenannte „Total Pain Concept“, mit dem in der Charité gearbeitet werde. Dabei werde die Multidimensionalität der Schmerzen berücksichtigt. Diese könnten nicht nur physischer Natur, sondern auch psychisch, sozial oder spirituell sein. Daher müssten Pflegende auch die anderen Faktoren beachten. Menschen, die chronische Krankheiten haben, hätten oft eine unzureichende Anpassung bzw. Bewältigung, teilweise auch mit depressiven oder ängstlichen Reaktionen. Eine ausschließlich medikamentöse oder ausschließlich psychotherapeutische Behandlung sei dahernicht immer die richtige Lösung. Dr. Kopf erläuterte, wie wichtig eine gute und vor allem frühe palliativmedizinische Begleitung sei: „Das ist die Antwort auf die aktuelle Diskussion zum assistierten Suizid.“
Medizinische Seelsorge
Im Beisein des Mönchkonvents der Abtei Münsterschwarzach war am Nachmittag die Spiritualität in der Medizin das große Thema. In Deutschland spielt diese laut Dr. Kopf keine große Rolle mehr. Er berichtete von einem Krankenhausseelsorger, der aufgrund eines auf „Krankenhaussprache“ angepassten Türschildes mit dem Titel „Seelsorgeambulanz“ wieder mehr Anfragen bekommen habe. Doch insgesamt würde die Seelsorge und Religion vermehrt aus dem Krankenhausalltag verschwinden. Dabei hätten diese Faktoren – wissenschaftlich belegt – positive Auswirkungen auf Genesung oder Krankheitsverlauf.
Ein aktives kirchliches und religiöses Leben, so Dr. Kopf weiter, wirke sich (indirekt) auf die Lebensdauer aus. Menschen, die eine intensive Glaubenspraxis haben, leben demnach länger. Auch sei der eigene Glaube unter anderem dazu in der Lage,die Schmerzempfindung zu reduzieren. In einer Studie sei das mit dem Zeigen eines Madonnenbildes getestet worden. Bei gläubigen Menschen werde bei Schmerz das Zentrum im Gehirn aktiviert, das für die Schmerzkontrolle verantwortlich sei. „Diesen Test würde ich nur zu gerne mit Ihnen durchführen“, wandte sich Dr. Kopf lachend an die Mönche.
Andere Forschungen beschäftigten sich mit den spirituellen und religiösen Bedürfnissen von Patienten. Über 60 Prozent seien auf der Suche danach und würden sich eine spezielle Begleitung neben der ärztlichen, psychologischen und sozialen wünschen. Eine sogenannte „spirituelle Intervention“ hat laut Studien von Balboni Auswirkungen auf die Gesundheit: Krebskranke Menschen, die spirituell begleitet werden, überlebten mit einer höheren Lebensqualität länger und starben beispielsweise. weniger auf Intensivstationen.
Eine Möglichkeit, diesen Patienten schon früh auch auf dieser „4. Dimension“ zu helfen, kann laut Dr. Kopf eine spirituelle Anamnese sein. Anhand von wertfreien und offenen Fragen erkenne der Sprechende seine eigenen Haltungen und ermögliche sich selbst Zugang zu spirituellen und religiösen Ressourcen. Der Behandler öffne damit eine „Tür“ für existentielle Fragen des Patienten und erfahre, wie spirituelle Bedürfnisse in die Behandlung integriert werden könnten. Ein Ergebnis wäre etwa das gezielte Aufsuchen eines Seelsorgers nach einem solchen Gespräch. Auch wenn Ärzte die spirituellen Haltungen der Patienten nicht teilten, sollten sie diese wertschätzen und entsprechend reagieren können. „Der der Behandlungsgrundsatz „bio-psycho-sozial“ sollte auf „bio-psycho-sozial-spirituell“ erweitert werden“, forderte Dr. Kopf. Ziel sei eine „medizinische Seelsorge“.
Darüber hinaus verwies er auf das viel zu selten genutzte Sakrament der Krankensalbung. Es würde heute noch oft als „letzte Ölung“ für einen Sterbenden missverstanden werden, dabei gelte es doch als stärkend in kritischen Krankheits- oder Behandlungssituationen. „Und ich habe schon erlebt, dass es Patienten danach besser ging“, erzählte Dr. Kopf. Aber auch in Ruhe sterben könnten manche danach, wie einige Mönche aus ihrer Seelsorgeerfahrung berichteten: „In dem Moment, als ich mit meinem Finger das Kreuz auf die Stirn gezeichnet habe, hat ein Mensch sein Leben ausgehaucht.“
In Ruhe sterben
Medizinisch zu erklären sind derartige Erlebnisse kaum. Auch, warum manche Menschen zum Sterben allein sein wollten. „Sie warten, bis niemand da ist. Deshalb: Lassen Sie den Sterbenden auch mal Ruhe“, riet Dr. Kopf. Diese Erfahrungen kennen die Pflegekräfte der Abtei.
Seit 2000 sind Sabine Köberlein und Raimund Dürr in der Abtei Münsterschwarzach und Pflegedienstleiter auf der Kranken- und Pflegestation. Viele Mönche haben sie in den knapp 20 Jahren begleitet. Beim Älterwerden und in deren letzten Stunden. Sie organisierten deshalb auch die Fortbildung mit dem in der Abtei bekannten Mediziner.
Die Infirmerie der Abtei Münsterschwarzach ist erst in diesem Jahr umfassend renoviert worden. Dass sich besonders um die Alten und Kranken gekümmert werden solle, formulierte der Ordensgründer Benedikt von Nursia in seiner Regel. Zwei Kapitel widmete er den schwächeren Mitbrüdern. In Münsterschwarzach leben derzeit 14 Mönche auf der Pflegestation.