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Meine Seele hat Muskelkater - Zeit, was für sich zu tun!

Erfahrungsbericht einer Teilnehmerin nach einem Kurs im Recollectiohaus

„Wenn du im Trüben fischst, und es tropft in dein Gemüt,
wenn alle Geheimnisse verraten sind und du dich verloren fühlst...“
(Herbert Grönemeyer)

... Zeit, was für sich zu tun!

Bei Minustemperaturen und Schnee stapfe ich im Januar zu meinem Auto und denke:“ Bitte, lass jetzt nicht die Batterie verreckt sein.“ Das Auto springt an – „verreckt“ ist (schon längst) meine eigene Batterie. 12 Wochen Auszeit, die Aussicht darauf hatte mich in den letzten Wochen aufrecht gehalten. Nun trete ich die Reise an mit dem Gedanken „Ich habe ja nichts zu verlieren“ (...typischer Fall von falsch gedacht!).

Im Recollectio - Haus angekommen, begegne ich den anderen KursteilnehmerInnen zunächst im Treppenhaus, denn wir alle haben reichlich Gepäck und – auch das stellt sich bald heraus - jede/r auch „Ballast“ mitgebracht.

In den ersten Tagen heißt es : Kennenlernen – KursteilnehmerInnen, Team, Programm, Haus, Abteigelände und Umgebung. Gesprächsgruppen sind eingeteilt, Dienste werden verteilt. Und ganz allmählich fange ich an zu begreifen: Ich habe jetzt 12 Wochen Zeit, mich zu erholen, mich zu sammeln, zu mir zu kommen. Für mich ist das Schwerstarbeit, denn längst habe ich mich im Gerödel des Alltags verloren: zu viel Arbeit, Ärger und Kummer hatten mir so zugesetzt, dass ich aufgehört hatte, darauf zu achten, wie es mir ging. Ich hatte versucht zu funktionieren – und war nach Feierabend zu nichts mehr zu gebrauchen. Jetzt erscheint mir mein Leben als ein verworrenes, verknotetes Knäuel von Fäden, das es zu entwirren gilt – und wenn ich mich auch anfangs dazu nicht in der Lage fühle, so bin ich zumindest willens, es anzugehen. Hier in Münsterschwarzach – „zwischen den Welten“ (meiner Vergangenheit und meiner noch ungewissen Zukunft) finde ich dazu die Not-wendige Hilfe.

„Ich bin froh, hier zu sein“ – sage ich in den kommenden Wochen mehrfach, denn was ich lernen, erfahren, erfühlen darf übersteigt meine Erwartungen.
Auszeit – das klingt so nach „Mach mal Pause“, aber im Recollectio-Haus wird sie zum Selbsterfahrungskurs, zu einer Reise nach Innen und in die Tiefe.
Und aus anfänglichem „Lieber von Hartz IV leben als so weiterzumachen“ wird am Ende eine klare Entscheidung für den Beruf und den dazu gut gefüllten „Werkzeugkasten“. Die Batterien sind schon wieder ganz gut aufgefüllt, und ich habe gelernt, wo die „Stromfresser“ in meinem Leben waren und sind, was zu Energieverlust geführt hat und auch weiterhin führen kann. Wieder zuhause weiß ich: Nun gilt es, das Erfahrene zu bewahren, Erkenntnisse umzusetzen, die Saat aufgehen zu lassen. Jetzt geht es erst richtig los!

Es wäre wahrscheinlich einfacher nachzuvollziehen, wenn ich detailliert erzählen könnte, was mich wieder aufgerichtet hat. (Im Folgenden berichte ich noch von einzelnen Angeboten/ Erfahrungen im Reco – Haus). Aber letztendlich ist es wohl das Gesamtpaket, welches das Team den KursteilnehmerInnen zur Verfügung stellt und die eigene Bereitschaft, das Angebotene anzunehmen. Ich hatte in Münsterschwarzach eine sehr gute Zeit und sehe guten Mutes allem Kommenden entgegen– Reco-Team und Gott sei Dank!

 

In Bewegung kommen

Die Zeit des „Schlapp auf der Couch Hängens“ ist mit Beginn des Kurses zu Ende. Bei frostigen Temperaturen stapfe ich müde durch den Schnee, später – schon etwas flotter – durch Matsch und Pfützen. Ich laufe – fast täglich – im Regen, bei Wind, im Sonnenschein, erlebe bewusst den Winter und die Veränderungen zum Frühling hin. Ich laufe mir den Kopf leer oder bedenke aufgekommene Fragen, ich laufe betend, weinend, staunend, schmunzelnd... ich komme in Bewegung.
In der schönen Münsterschwarzacher Umgebung bin ich meistens alleine unterwegs, aber auch durch die – und in der Gruppe komme ich auf Trab.

„Morgens um 7...“ / Leibarbeit

Als Morgenmuffel muss ich mir anfangs die Leibarbeit (morgens um 7 Uhr) schönreden. Nach einiger Zeit merke ich, dass es mir gut tut, den Tag bewusster anzugehen und zu ergründen, wie ich mich in meiner Haut fühle. Körperwahrnehmung – auch das war mir ja zum Fremdwort geworden. Schwester Christiane gibt Einblicke in verschiedene Techniken: Feldenkrais, Fußreflexzonen-Massage, DO-IN. Jetzt gebe ich dem Morgenmuffel in mir keine Chance mehr, den Tag tranfunzelig zu beginnen.


„Über die Runden kommen“ / Moderates Lauftraining

Mittwochs, 16:15 Uhr – mit lockeren Sprüchen von Dr. Ruthard Ott begleitet, beginnt das Aufwärmen fürs Lauftraining. Ein paar Dehnübungen noch, und dann geht es ab auf die Bahn „...wir wollen doch, dass Sie gut über die Runden kommen“... und das funktioniert von Woche zu Woche besser. Wir trainieren nicht für Olympia sondern genießen die kleinen Erfolge. Und gute Gespräche mit Mittrainierenden sind ein sehr willkommener Nebeneffekt.


„Den Kopf ausschalten“/ Freies Tanzen

„Wenn ich bei mir bleibe, können andere mich nicht verunsichern“ – ein Gedanke aus einem Gespräch wird jetzt – beim Freien Tanzen mit Pater Meinrad – auf die Bewährungsprobe gestellt. Was ich als Jugendliche bei jeder Féte selbstverständlich getan habe, fällt mir jetzt erst einmal schwer: Mich auf die Tanzfläche begeben, wo „alle mich sehen können“. Kann man die Unbefangenheit der Jugendzeit nicht wiederfinden? Kann man – zumindest halbwegs - auch wenn Gelenkigkeit und Kondition zu wünschen übrig lassen. Der Kopf wird frei, ich kann mich der Musik überlassen, ich komme ins Schwitzen und bin nach einer Stunde angenehm erschöpft.


Leibhaftig erfahren/ Meditativer Tanz

Ruhe finden, Schritt für Schritt gemeinsam im Glauben unterwegs sein, gehalten werden und andere halten, sich sicher führen lassen, wenn es mal holprig wird, sich um eine gemeinsame Mitte bewegen ...worüber unsereins so gern mal redet, das ist hier leibhaftig zu erfahren. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen. Oder doch: Bisher hielt ich meditativen Tanz für „Frauensache“... jetzt weiß ich es besser

„Hier und jetzt“ / Aikido

Das Wort kannte ich vom Vorgespräch, es kam mir aber sehr „japanisch“ vor. 12 Wochen darf ich mitüben – und ich schätze, wenn ich dies noch zwanzig Jahre trainieren würde, hätte ich manche Bewegungsabläufe einigermaßen verinnerlicht. Aber den Spaß mal beiseite, den wir dabei auch haben: Das, was uns Herr Kern – und später auch Bruder Linus – vermittelt, sind nicht nur äußere Bewegungsabläufe, sondern innere Haltungen: Aufrecht stehen, standfest sein, gewaltfrei, sich aus dem Kraftfeld eines Angreifers herausbewegen, hier und jetzt reagieren, die eigene Kraft kennen lernen und einsetzen können - das unterstützt vieles von dem, was ich lernen will.

Für jede/n was dabei

Schwimmbäder in der Umgebung, Turnhalle, Reiten, Fitness-Raum, Box-Raum
bieten weitere Möglichkeiten, sich auszutoben. Einige KursteilnehmerInnen nutzen die Turnhalle zum Badminton – Spielen, andere trainieren an den Geräten im Fitness-Raum, einige haben Reitstunden.
Ich nutze das warme Wasser im Solebad Gerolshofen - nicht für zusätzliches Training, sondern um mich einfach mal treiben zu lassen und mir zwischendurch von den Massagestrahlen den Rücken massieren zu lassen. Zuhause ist ein Thermalbad in gut erreichbarer Nähe – aber ich habe es noch nie besucht. Na, das lässt sich doch ändern!


Autogenes Training

Was Verspannung ist, habe ich seit Monaten schmerzhaft unter dem linken Schulterblatt zu spüren bekommen – und im Nacken sitzt sie mir auch. Jetzt habe ich Gelegenheit, unter Anleitung von Dr. Ilse Müller das Entspannen zu lernen und bekomme mit dem Autogenen Training eine alltagstaugliche Methode an die Hand: Kurze Entspannung zwischendurch – das ist auch mal zwischen zwei Terminen praktikabel. Die Muskeln entspannt, das Herz schlägt ruhiger, der Atem strömt... okay, das Sonnengeflecht ist noch immer nicht strömend warm, aber ich arbeite dran! Wenigstens weiß ich jetzt schon mal, was und wo das ist.


Laub fegen

In Woche 5 bis 8 gehe ich an zwei bis drei Nachmittagen zum Laubfegen in die Außenanlagen (andere helfen im Fair-Handel, in der Druckerei, in der Zimmerei, in der Gärtnerei oder im Reitstall).
Die Arbeit an der kalten, frischen Luft tut mir gut. Ich komme ins Schwitzen, spüre meine Knochen und habe Schwielen an den Händen. Nach zwei Stunden kann ich sehen, was ich geschafft habe – ist doch zur Abwechslung auch mal schön! Und als ich die Beete an der Klostermauer vom Laub befreie, entdecke ich darunter zahlreiche grüne Triebe – es wird Frühling. „So ist das hier“, denke ich, „das eigene Leben vom Laub befreien, damit etwas Neues wachsen kann.“


„Meine Seele hat Muskelkater“

sage ich schmunzelnd beim Einzelgespräch, meine es aber ernst. Es ist anstrengend für mich, mit mir selbst in Berührung zu kommen. Spirituelle und psychotherapeutische Einzelbegleitung, Kleingruppe, Kreativgruppe, Gesprächs – und Übungseinheiten... ständig stoße ich auf Verdrängtes, Verschüttetes, Unbedachtes. Ich lerne persönliche Verhaltensmuster kennen, wage zögerlich, wunde Punkte zu berühren, bislang „unerlaubte“ Gedanken zu denken, Gefühle zuzulassen. Die „Großschnauze“ in mir wird oft ganz kleinlaut, der Hals sitzt zu, ich sinke im Sessel in mir zusammen. Aber letztendlich ist jede Erkenntnis, all das, was wieder ans Licht darf, wohltuend und befreiend. Unschöne Erlebnisse, Konflikte, Unverarbeitetes bleiben auf der Strecke, - Wut verabschiedet sich, Verletzungen fangen an zu heilen. Und nicht jede Erkenntnis ist schmerzhaft – ich lerne ja auch meine Stärken besser kennen und entwickle ein Gespür für das, was mir gut tut.
Dabei spüre ich auch während der ganzen Zeit, wie gut die BegleiterInnen es mit uns meinen, und die liebevolle Atmosphäre, die das Team vermittelt, tut ihr Übriges, damit ich mich wieder wohl in meiner Haut fühlen kann. Der Stein (Riesen-Felsbrocken) in meiner Brust bröckelt von Tag zu Tag mehr – von wegen „Ich hab ja nichts zu verlieren“... Ich werde mich vielleicht nie leicht damit tun, mein „Herz auf der Zunge zu tragen“, aber dass ich ein Gespür für mich entwickelt habe, mich ein bisschen besser mitteilen kann und es zunehmend wage, alle Gedanken und Gefühle als zu mir gehörend zu akzeptieren – dafür bin ich sehr dankbar. Es nicht zu tun, hatte mich „fertig“ gemacht, es zu tun ist wie Dünger (stinkt mir manchmal, aber wirkt) fürs Weiterwachsen.


Un-Stimmigkeit

Hätte ich in den Wochen vor der Auszeit einen Wunsch frei gehabt, so hätte ich mir den Gewinn der 3000 € - Sofortrente der Aktion Mensch gewünscht – und damit die Möglichkeit, die Brocken zu schmeißen. So wie ich mich fühle, kann und will ich nicht im Beruf bleiben – es ist nicht mehr stimmig, die Begeisterung auf der Strecke geblieben. Erschwerend hinzu kommen meine jüngsten Erfahrungen mit Vorgesetzten ... Wut, Frust, Verletzungen. Ich bin alles andere als „Feuer und Flamme“, aber zumindest kokelt noch ein kleiner Rest vor sich hin. Mein Gottvertrauen ist nicht erschüttert, aber ich habe mich darin eingekuschelt wie in die Decke beim Mittagsschlaf: Nichts sehen, nichts hören, nichts tun! Je länger ich im Recollectio-Haus bin, je wacher, ausgeruhter ich werde, desto mehr spüre ich, wie meine müde Seele wieder lebendiger wird, zu sich findet und zu Gott. Spürbar geht es auf Ostern/ Auferstehung zu: Hurra, ich lebe doch! Ach so: Brocken schmeißen??
Nein, danke!

 

Nicht alleine

Unser Kurs besteht aus 18 Personen – neun Frauen und neun Männer, - nicht irgendwelche, sondern ganz besondere: „Der beste Kurs der Welt“  (behaupte ich jetzt so, wie alle Eltern das beste Kind der Welt haben). Jedenfalls empfinde ich die Atmosphäre, die unter uns entsteht als wohltuend – und das Zusammensein mit der Gruppe verbindet untereinander ohne einzuengen. Es ist eine
Er-Lebensgemeinschaft auf Zeit, sie gibt Gelegenheit zum Austausch, zu guten Gesprächen, zum Spielen und Feiern – und vor allem in den gemeinsamen Gottesdiensten spüre ich intensiv wie selten, was Kommunion bedeutet.
Da gibt es auch Spannungen, aber ich kann in aller Ruhe ermessen, was mich nervt und warum – und wen ich nerve und warum. Ich lerne bewusster mit Distanz und Nähe umzugehen. Es bleibt ein ungelöstes Rätsel, aber es scheint, als treffe ich immer im richtigen Moment auf die richtige Person, fast so, als hätte ich sie herbei gerufen. Gute Begegnungen gibt es manchmal auch da, wo ich es nicht vermutet hätte: In der Waschküche zum Beispiel. Wir lachen viel und teilen Freude und Leid. Freundschaften entstehen und einige überstehen auch die Reco – Zeit, hoffe ich zumindest. Darüber hinaus wird mir bewusst: So liebe Leute kenne ich auch zu Hause viele – warum habe ich das zuletzt nicht mehr wahrgenommen bzw. zu schätzen gewusst? So komme ich auch diesbezüglich wieder in Bewegung und schreibe zunächst viele Briefe. Und jetzt – nach dem Kurs - wieder allein? Nein! Ich habe nämlich „den besten Freundeskreis der Welt“


Alles easy ??

Als der Kurs sich dem Ende zuneigt, werden Ängste in mir wach: In den kommenden Wochen sind einige Hürden zu nehmen, der Alltag wird mich bald wiederhaben und ich bin ja noch „die Alte“. Aber ich kenne mich jetzt besser und weiß mir zu helfen – bzw. mir helfen zu lassen. Außerdem bin ich lebendiger geworden und sicherer.
Jetzt befinde ich mich in der „Woche 5 nach Münsterschwarzach“ – und habe schon einige gute Vorsätze in die Tat umgesetzt. Es ist nicht „alles easy“ – aber das muss es auch nicht sein. „Es ist wie es ist“ – um mit Pater Meinrads Worten zu sprechen – und ich komme damit klar, - versuche zu ergründen, was mich blockiert und zu genießen, was mir geschenkt ist.
Und wenn meine Kochkünste auch nicht annähernd an die Klosterküche heranreichen – mein Leben hält nicht nur Tütensuppen bereit und ab und zu gibt es auch bei mir Schokoladenpudding.


Teilnehmerin am 58. Kurs/ 2009