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Nachrichten

Für wen ist Gott Mensch geworden?

Predigt von Abt Michael Reepen OSB in der 1. Lateinischen Weihnachtsvesper.

Liebe Schwestern und Brüder hier in der Abteikirche und die Sie über den Live-Stream jetzt mit uns verbunden sind, liebe Mitbrüder!

Es beginnt bei uns der Heilige Abend. In Asien hat er schon begonnen und sie sind dort schon in der Heiligen Nacht und am Morgen. Wir in Europa und Afrika feiern jetzt. Und in Amerika bereiten sie den Heiligen Abend noch vor.

Das sagt, dass dieser Heilige Abend, diese Heilige Nacht, dieses Geschehen, das wir feiern, der ganzen Welt gilt: Gott ist für alle Menschen auf dem Erdkreis Mensch geworden! Gleich, welcher Hautfarbe und Kultur, gleich für Gute und für Böse.

Wir denken an die Menschen, die heute Heiligabend feiern in der Ukraine – im Krieg, mit Sirenenalarm, mit zerstörten Häusern und auseinandergerissenen Familien, die sich so nach Frieden sehnen. Wir denken an die Menschen in Russland, für die Christus genauso geboren wurde, für die Gott Mensch wurde. Wir denken an die Menschen in Palästina und Israel, im ganzen Nahen Osten. Wir denken an die Menschen im Bürgerkrieg im Sudan, die hungern, die auf der Flucht sind.

Wir denken an die Millionen von Flüchtlingen in aller Welt, die irgendwo sitzen und keine Heimat haben. Auch für sie ist Gott Mensch geworden.

Wir denken an die Soldaten an den Fronten, die kämpfen und schießen und andere Menschen töten und die ihr Land verteidigen wollen. Auch für sie ist Gott Mensch geworden.

Wir denken an die Verbrecher in den Gefängnissen – die gerecht und auch die ungerecht Verurteilten. Auch für sie ist Gott Mensch geworden.

Wir denken an die verfolgten Christen in aller Welt, die Weihnachten nicht frei feiern können. Auch für sie ist Gott Mensch geworden.

Wir denken an alle, die um ihres Glaubens und ihrer Überzeugung Willen verfolgt sind. Auch für sie ist Gott Mensch geworden.

Wir denken an die Klimaaktivisten, die sich für die gute Sache des Klima- und Umweltschutzes einsetzen und manchmal auch über das Ziel hinausschießen. Auch für sie ist Gott Mensch geworden.

Wir denken an die Opfer von Missbrauch und Gewalt in allen Bereichen unserer Gesellschaft, die seelische und körperliche Misshandlung, häusliche Gewalt, sexueller Übergriffe erleiden. Auch für sie ist Gott Mensch geworden.

Wir denken an die arg beschädigten Kirchen Jesu Christi, die einer grundsätzlichen Neu-Orientierung und geistlichen Wandlung und Erneuerung bedürfen. Auch für sie ist Gott Mensch geworden.

Und wenn wir so die ganze Welt einbezogen haben, dann dürfen wir auch an uns denken. An uns hier, an unsere Klostergemeinschaft. An Sie, liebe Schwestern und Brüder, mit Ihren Familien und Angehörigen und Freunden; mit den Menschen, die Ihnen am Herzen liegen; um die sie sich Sorgen machen  aber auch mit den Menschen, mit denen Sie im Streit liegen, wo Unversöhntheit ist. Auch für sie ist Gott Mensch geworden.

Wenn wir auf unsere Welt schauen, die heute Weihnachten feiert, dann klingen unsere Probleme hier manchmal doch relativ klein.

Das „Wort des Jahres“ 2023 in Deutschland ist das Wort „Krisenmodus“. Es heißt, unsere Gesellschaft befindet sich seit dem Jahr 2020 im Krisenmodus: im Blick auf die Corona-Pandemie, den Russland-Ukraine-Krieg, den Krieg in Israel und Palästina, die Energiekrise, die Bildungsmisere…

„Der Ausnahmezustand ist zum Dauerzustand geworden“, so Gesellschaft für Deutsche Sprache.

Und obwohl unsere Krisen nicht so sind wie viele andere, löst es doch bei vielen Menschen Gefühle der Angst und Unsicherheit und Ohnmacht aus. Deshalb ist es so wichtig und gut, dass wir heute Abend im kleinen Kreis, wo wir leben, Weihnachten feiern.

Man darf heute Abend trotz der Lage der Welt unterm Christbaum gemütlich im Familienkreis, in der Gemeinschaft sich geborgen fühlen. Man muss kein schlechtes Gewissen haben.

Man darf in „Weihnachtsstimmung“ sein trotz der Lage in der Welt. Es ist wichtig, dass wir uns immer wieder im kleinsten Kreisen geborgen fühlen dürfen – heute Abend und überhaupt. Wir kennen die Geschichten, wie Menschen im Krieg und in größter Not Weihnachten gefeiert haben, in den Schützengräben, in Armut irgendwo auf der Welt…

Wir brauchen das Gefühl der Geborgenheit, dass Menschen um uns herum sind, die uns mögen, die uns annehmen.

Wie gut zu wissen, dass Gott im Stall geboren wurde, in einfachsten Verhältnissen – auch im Krisenmodus! Und dass er da mittendrin ist! Dass dahinein seine Liebe geboren wurde und wird, überall auf der Welt.

Beim Vorbereiten dieser Predigt ist mir ein alter Weihnachtsspruch in die Hände gefallen:

„Das Kind, das uns Maria hält,
ist Gottes Sohn, der Herr der Welt,
geboren arm auf Erden.

Es kommt uns das Licht der Welt,
die uns mit Krieg und Krankheit quält,
und Not und viel Beschwerden.

Er, Christus, ist es: Trost der Welt,
der sich auf unsre Seite stellt,
auf dieser dunklen Erden.

Und wer es mit dem Kinde wagt,
der muss am Ende unverzagt
und stark und fröhlich werden“.

Liebe Schwestern und Brüder, wagen wir es mit dem Kind, dass wir in dieser Welt, auch im Krisenmodus, stark und fröhlich werden das wünsche ich uns zur Weihnacht.