Darf ein Mönch genießen?
Das europäische Juniorat der Missionsbenediktiner von St. Ottilien hat sich zu einer Werkwoche getroffen. P. Maurus beschäftigte sich dabei mit dem Genuss im Kloster - und stellte sieben Regeln des Genusses auf.
Junge Mönche aus den europäischen Klöstern der Kongregation der Missionsbenediktiner von St. Ottilien haben sich eine Woche mit dem Thema "In Balance sein" in der Abtei Münsterschwarzach auseindergesetzt. Dabei lernten sie unter anderem die Region um das unterfränkische Kloster kennen. In der mainfränkischen Weinregion stand am letzten Tag eine Weinprobe auf dem Programm, die durch P. Maurus Schniertshauer OSB in den geistlichen Kontext der Benediktsregel und der Bibel gesetzt wurde.
"Askese oder Genuss?" hieß der Titel seines Vortrags, der vor allem mit der "Muße" des Mönchs in den Fokus rückte. Eine wichtige Frage dabei: "Ist Muße in den Augen der Mönche ein Laster?" Im Laufe der Geschichte habe es eine Überbewertung von Arbeit gegeben, erklärte P. Maurus. Doch die wahre Muße sei eine Tugend. Wirkliches Genießen bedeute nicht, kurzfristige Bedürfnisse zu befriedigen oder immer neuen Wünschen hinterherzulaufen, sondern bedeute vor allem das Schaffen von Unverzwecktheit. Vor diesem Hintergrund formulierte P. Maurus sieben Regeln des Genusses:
1. Genuss stellt sich dort ein, wo man ihn nicht direkt intendiert oder herbeizwingen will
In einem gewissen Sinn gilt für den Genuss dasselbe wie für das Glück. Er gleicht einem Hasen, der dem, der atemlos hinter ihm herjagt, immer wieder entwischt. Genuss wird nicht erjagt, Genuss ist auch nicht das Ergebnis krampfhafter Arbeit und Anstrengung, vielmehr gilt für den echten Genuss das biblische Sprichwort: „Der Herr gibt es den Seinen im Schlaf“. D.h. wirklicher Genuss wird am ehesten einem absichtslosen und geöffneten Herzen zuteil.
2. Genuss braucht Zeit und Muße
Genießen-Können ist eine Kunst. Und wie jede wahre Kunst setzt sie Zeit und Muße voraus. Nicht die vielen Impressionen und Sensationen, die in pausenloser Hetzjagd an all den Sinnesfenstern des menschlichen Geistes vorbeirauschen, gewähren Genuss, sondern echte Genussfähigkeit setzt wahre und ungeteilte Aufmerksamkeit voraus. Entscheidend ist nicht, wie viel freie Zeit einem zur Verfügung steht, sondern entscheidend ist die Freiheit des Herzens (Muße).
3. Genuss ist Glück in der Beschränkung
Wer alles genießen will, wird tatsächlich nichts wirklich genießen können! Dort wo das Verlangen nach Genuss inflationär wird, folgt meist nicht das große Glück, sondern der Kater oder der Katzenjammer. Der Wechsel von Fasten- und Festzeiten, wie ihn die Tradition der Kirche kennt, ist eine auch heute noch durchaus beherzigenswerte Einrichtung, die vor dem Umschlag des Genusses in Sucht oder in ein verzweifeltes Genießen-Wollen, das die Öde und Leere des eigenen Lebens doch nicht zu überdecken vermag, bewahrt. Das Wort der Heiligen Theresa von Avila: „Wenn Fasten, dann Fasten; wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn“, ist ein auch noch für heute gültiger Leitfaden.
4. Genuss geht nicht nebenbei
Genießen braucht die ungeteilte Aufmerksamkeit. Man muss sich auf eine Sache ungeteilt konzentrieren, um sie wirklich genießen und verkosten zu können. In diesem Sinne sind die Mahnungen der Mönchsväter gegen die Zerstreuung, und ihre Einladung wirklich mit allen Sinnen bei dem zu sein, was man gerade liest, betet, redet oder hört, eine auch für unsere Tage noch gültige Wegweisung. Wer zum Beispiel beim Musik hören nebenbei Zeitung liest, genießt keines von beiden wirklich.
5. Zu Genuss gehört Fest und Feier
Eine echte Fest- und Feierkultur, jenseits von billiger Party und besinnungslosem Komasaufen, ist der Boden, auf dem wahrer Lebensgenuss wachsen kann. Eine solche Fest- und Feierkultur hat es in den Klöstern immer gegeben. Die barocke Lebensfreude unter weiß-blauem Himmel, ist diesbezüglich bis heute sprichwörtlich, wenn auch nicht vor der Gefahr gefeit, ins Billige und Klamaukhafte verzerrt zu werden. Diese Feierkultur in heutigen Formen zum Ausdruck zu bringen, ist eine wichtige Aufgabe. In diesem Zusammenhang sollte nicht übersehen werden, dass diese Kultur der Lebensfreude und Lebenslust gerade auch aus den kultischen Formen des Gottesdienstes gespeist wurde. Eine so verstandene Feierkultur hat ihre Wurzeln in der Bejahung Gottes, als des Sinngrundes der Welt und in der liebenden Übereinstimmung mit ihm.
6. Genuss braucht Räume und Zeiten, die nicht verzweckt sind
Wer das Leben kosten will, darf dem Gesetz von Arbeit und Leistung nicht die alleinige Herrschaft über sein Leben einräumen. Er muss immer wieder damit beginnen, frei zu werden für sich selbst und für den tieferen Grund seines Selbst, nämlich für Gott. In der Tradition des Mönchtums sind diese nicht verzweckten Zeiten und Räume das Gebet und die geistliche Lesung (lectio divina). Lebensgenuss beginnt darum mit dem Schaffen unverzweckter und sozusagen „nutzloser“ Freiräume, die für sich selbst stehen und ihren Wert aus sich selbst schöpfen. Solche Freiräume kann man sich auch mitten in einem ganz normalen Alltag schaffen.
7. Genuss ist keine Sünde
Auch wenn es in einer vordergründigen kirchlichen Moralverkündigung manchmal so geklungen haben mag, als ob der Typ des Genießers ein Typus des Sünders sei, in Wirklichkeit war die große kirchliche Theologie nie der Meinung, echte Lebensfreude und wahre Lebenslust seien eine Sünde. Viel eher ist es nämlich so: Das Leben nicht als gute Gabe Gottes zu schätzen, und es mit der Freude und der Lust, die darin einbeschlossen liegt, gering zu achten, ist kein Zeichen von echter katholischer Frömmigkeit. Man muss vor der Lebensfreude und vor dem Genuss der guten Schöpfungsgaben also nicht fliehen, wie der Teufel vor dem Weihwasser, sondern man darf sie, dort wo sie einem geschenkt werden, dankbar als gute Gabe aus der Hand Gottes annehmen. Wovor man sich allerdings hüten sollte, ist die süchtige und unersättliche Suche nach Vergnügen und Genuss, denn sie wirkt auf Dauer genauso zerstörerisch, wie die irrige Vorstellung, nur das mache wirklich Spaß und Vergnügen, was von Gott verboten und Sünde ist. Tatsächlich ist es nämlich nüchtern und bei Licht betrachtet viel eher so: Sünde ist in Wahrheit kein echter Genuss! Und wahrer Genuss ist im Normalfall eher unschuldig und keine Sünde!