„Ich – wer bin ich?“
In den Feuilletons tobt derzeit ein Kampf um die richtige „Identitätspolitik“: Es geht dabei um Anti-Rassismus, geschlechtliche Orientierung, Diskriminierung, auch Klassenbewusstsein. Der neue „Ruf in die Zeit“ hat sich des Themas angenommen: Wer oder was bestimmt, wer ich bin?
Es geht in der Juli-Ausgabe des Münsterschwarzacher Magazins nicht um einen x-ten Debattenbeitrag, sondern um alternative Perspektiven: Woher weiß ich überhaupt, was mein wahres Selbst ist? Was ist, wenn nicht der Mensch selber, sondern Gott sagt, wie ich gemeint bin?
Christian Temu, Abt von Ndanda in Tansania, geht der Frage nach, wer die Identität des Menschen bestimmt. Mit Anmerkungen zu Kant, mit einem kritischen Blick auf die Kolonialgeschichte, auch der christlichen Missionare. Und mit Dankbarkeit für die christliche Botschaft, die die Menschen zu einem „Volk Gottes in Afrika“ hat werden lassen.
Die Identitätskrise junger Menschen in Europa nimmt P. Anselm Grün OSB in den Blick. Auf die aktuellen Probleme der Selbstoptimierung und der damit einhergehenden Erschöpfung antwortet er mit einem Rückgriff auf die Weisheit der Wüstenväter: „Ich – wer bin ich?“, soll der Mensch sich laut Altvater Joseph beständig fragen. Und: „Richte niemand!“, fügt Abbas Joseph an. Stimmigkeit des Lebens ergibt sich dann aus innerer Ruhe und dem Verzicht, ständig andere zu bewerten.
Wie das in der Praxis eines Ordens aussieht, beschreibt P. Frank Möhler OSB, Novizenmeister in Münsterschwarzach. Seine Aufgabe ist es, junge Menschen zu ihrer wahren Identität zu führen – sei sie im Ordensleben gegeben oder außerhalb. Das bedeutet: Man muss sich auf einen Weg machen, bei dem es „ums Ganze geht“. Sich selbst zu finden, ist dabei ein lebenslanger Prozess. Die wirkliche Antwort weiß Gott, so zitiert P. Frank den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer.
Ruth Seubert, Physikerin, Psychologin, Theologin, geht dieser Antwort Gottes genauer nach. Der Mensch erfährt sie, indem er auf Gottes Wort hört, sich von Gott „durchtönen“ lässt. Die Antwort kann sehr schmerzhaft sein, so Seubert. Sie kann auch Freiheiten infrage stellen.
Für die westliche Kultur steht bei der Frage: „Wer bin ich?“ stark die einzelne Person im Vordergrund. Der chinesische Priester Jing Baolu untersucht, welchen Stellenwert die Person in der traditionellen Kultur Chinas innehat und wie der christliche Glaube die moderne Gesellschaft in China inspirieren kann.
„Wer bin ich?“ „Ein ganzer Omnibus von Ich-Zuständen!“, sagt Dr. Corinna Paeth, Leiterin des Münsterschwarzacher Recollectio-Hauses, im Interview. Wir entwickeln im Lauf unseres Lebens die verschiedensten Ich-Zustände, stellt die Psychotherapeutin fest. Macht das haltlos? Nicht unbedingt. „Denn Gott ist ja bei der Entwicklung neuer Ich-Zustände lebenslang dabei!“
Was aktuell in Debatten über Rassismus, Identitätspolitik und kulturelle Aneignung schiefläuft, hat die Philosophin Dr. Dr. Katharina Ceming in ihrem Buch „Grenzwertig“ beschrieben. Es ist im Münsterschwarzacher Vier-Türme-Verlag erschienen. Verlagsleiter Br. Ansgar Stüfe stellt das Buch in der Juli-Ausgabe des „Ruf in die Zeit“ vor.
In Beiträgen über Gastfreundschaft für Schülergruppen und das Egbert-Gymnasium wird dargestellt, wie jungen Menschen Unterstützung auf ihrem Weg zum wahren Selbst angeboten wird. Schule ist hier Lernort und Schutzraum für eine Entwicklung zum „Schmetterling, der seine Flügel entfaltet“. Nachrichten aus der Abtei und ihrem Umfeld ergänzen die Beiträge.
Beim Münsterschwarzacher Hilfsprojekt geht es diesmal um die Sanierung von Patientenzimmern im St. Benedict Hospital in Ndanda in Tansania. Mit einfachen Mitteln versuchen die Verantwortlichen dort, aus Krankensälen mit über 30 Patienten neue Stationen zu gestalten, die mehr Privatsphäre ermöglichen und medizinische Abläufe verbessern.
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Der „Ruf in die Zeit“ erscheint vier Mal im Jahr und vertieft aktuelle Themen. Zugleich informiert das Magazin über Hilfsprojekte der Missionsbenediktiner sowie über Neues aus der Abtei Münsterschwarzach. Der „Ruf in die Zeit“ wird an Freunde und Spender verteilt. Im Internet ist er als Pdf abrufbar. Die nächste Ausgabe erscheint im Oktober 2023.