„Völliges Neuland“ wird zur zweiten Heimat
„Wir wollten nicht nur beten, sondern aktiv etwas für Menschen auf der Flucht tun.“ So beschreibt Bruder Thomas Morus Bertram OSB die einhellige Stimmung unter den Mönchen im Advent 2014. Wenige Tage vor Weihnachten standen dann fünf Syrer, drei Iraner und ein Iraker vor der Klosterpforte. Geflohen aus Krieg, Terror und Verfolgung.
Mittlerweile hat sich die Lage grundlegend geändert. Die ersten Asylbewerber haben ihre Anerkennung und die Unterkunft in der Abtei schon wieder verlassen. Dazwischen lagen zahllose Behördengänge, Anträge, Arztbesuche, Verständigungsprobleme, Einkäufe, gemeinsame Aktionen, Feiern und Begegnungen.
Zwei bis dahin nicht mehr genutzte Appartements über der Schulküche boten die Gelegenheit, Menschen aus Krisengebieten auf dem Abteigelände unter zu bringen. Insgesamt stehen dort 22 Betten zur Verfügung, zwei Küchen und Sanitärräume gibt es auch. Zunächst galt es das Leben der Flüchtlinge zu organisieren. Wer putzt, wer räumt auf und wer kocht? Wie kann man die Sprache des Gastlandes lernen? Und vor allem: Wie bekomme ich in Deutschland Asyl? „Das war alles völliges Neuland für die Flüchtlinge“, erklärt Br. Thomas Morus und ergänzt fröhlich: „Aber vieles für uns auch“.
Zum Glück stand die neu gegründete siebenköpfige Arbeitsgruppe, die AG Flü, quasi „Gewehr bei Fuß“. Ihr gehören Br. David, Br. Abraham, Pater Adam, Br. Thaddäus, Br. Remigius, Br. Melchior sowie Br. Thomas Morus an. Sie kümmern sich um alle Fragen der Flüchtlinge, halfen Anträge auszufüllen oder gingen mit aufs Sozial- oder Ausländeramt. Gleichzeitig sorgen sie aber auch dafür, dass die Menschen aus Syrien, Iran und Irak etwas über Deutschland sowie die Abtei erfahren. So wurden Filmabende organisiert, gemeinsam Fasching gefeiert, der Schwimmteich gesäubert, Begegnungen mit dem Jugendkurs, der Pfarrei oder Schülern organisiert oder gemeinsam mit den Mönchen gegrillt. Zudem gab es Ausflüge in die Umgebung wie z.B. nach Würzburg. Auch ein gegenseitiges Kennenlernen der Religionen (die Flüchtlinge sind überwiegend Moslems) stand auf dem Programm, als Mönche und Flüchtlinge gemeinsam die Moschee in Kitzingen besuchten.
Daneben gab es das zu bewältigen, was vor einer Anerkennung steht. Anträge ausfüllen, die teilweise sogar für einen Deutschen nicht leicht zu verstehen sind, Behörden wie das Sozial- oder Ausländeramt aufsuchen, zu Ärzten gehen oder beim Jobcenter vorstellig werden. Da sind die Mitarbeiter der AG Flü froh, dass sie viel Unterstützung auch von rund einem Dutzend Ehrenamtlicher erhalten. Ihre Aufgaben sind vielfältig und reichen vom Deutschunterricht bis zur Essenbegleitung und Freizeitgestaltung.
Freudensprünge gibt es immer dann in der Unterkunft, wenn ein Brief vom Bundesamt für Flüchtlinge aus Berlin eingeht. „Das ist ein absolutes Highlight nach Monaten des bangen Wartens“, berichtet Br. Thomas Morus. In dem Brief findet sich die Anerkennung als Flüchtling, die zunächst für drei Jahre gilt. Dann heißt es schnell sein, denn innerhalb von acht Wochen sollen sie die Unterkunft verlassen und eine eigene Wohnung und Arbeit haben.
Seit Juli sind zusätzlich sechs junge Afghanen in der Abtei untergebracht. Die Jugendlichen sind zwischen 13 und 17 Jahre alt und ohne Begleitung Ihrer Eltern hier angekommen. Sie wohnen jetzt dort, wo bisher die Flüchtlinge gelebt haben, die bereits ihre Anerkennung haben.
Nach Ansicht von Br. Thomas Morus erleben wir gerade eine Art „Völkerwanderung“, deren ganzes Ausmaß bislang noch nicht zu erkennen ist. „Was wir derzeit sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs“, betont er. Insgesamt sind derzeit 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Tendenz steigend. Und: Europa ist für viele Flüchtlinge das bevorzugte Ziel. So kann man davon ausgehen, dass die Unterkunft für Flüchtlinge in der Abtei auch die nächsten Jahre gut belegt sein wird.