Abt Notker Wolf verstorben
Trauer um ehemaligen Abtprimas und Erzabt der Mutterabtei St. Ottilien
Aus unserer Mutterabtei St. Ottilien hat uns heute die überraschende Todesnachricht von Abt Notker Wolf erreicht. Er verstarb auf der Rückreise von Rom überraschend. Abt Notker Wolf OSB wurde am 21. Juni 1940 in Grönenbach geboren und hatte am 17. September 1962 seine Profess abgelegt. Er war Erzabt von St. Ottilien zwischen 1977 und 2000 und Abtprimas der Benediktiner in den Jahren 2000 - 2016.
Mit Notker verbinde ich besonders ein Erlebnis aus meiner Novizenzeit. Er war zu Gast in Münsterschwarzach und hat mir, nachdem ich ihn gesiezt hatte, direkt das 'Du' angeboten. 'Wir sind Brüder', sagte er damals zu mir. Außerdem habe ich ihn immer als eine den Menschen sehr zugewandte Persönlichkeit erlebt. Sein großes Anliegen in der Zeit als Abtprimas waren immer die Gemeinschaften, um die er sich viel gekümmert hat. Er ist, so kann man es sagen, gestorben, wie er gelebt hat: Auf der Reise, immer unterwegs.
Wir bitten Sie, sich mit uns im Gebet für ihn zu verbinden. Möge er eingehen in die ewige Herrlichkeit Gottes.
Abt Michael und Konvent von Münsterschwarzach
Bild: Br. Cassian Jakobs/St. Ottilien
Erzabt em. und Abtprimas em. Dr. Notker (Werner) Wolf OSB Missionsbenediktiner von Sankt Ottilien 21. Juni 1940 – 2. April 2024
Unerwartet verstarb Abt Notker Wolf am späten Abend des 2. Aprils im Flughafenhotel von Frankfurt am Main. Er hatte seit Ostermontag eine Pilgerreise auf den Spuren des heiligen Benedikt in Italien begleitet. Als er sich zunehmend unwohl fühlte, trat er vorzeitig den Heimflug nach St. Ottilien an. Bei der in Frankfurt notwendigen Übernachtung verstarb er in seinem Zimmer an einem Herzinfarkt. Nur wenige Wochen zuvor war ihm sein Kursgenosse und langjähriger Prior P. Claudius Bals in die Ewigkeit vorausgegangen.
Seinen Lebensweg hat er selbst und auch andere in verschiedenen Veröffentlichungen beschrieben, vor allem in einer 2010 erschienenen Biografie. Danach stammt die Familie aus dem Moselraum und geriet in den Kriegsjahren ins Allgäu, nach Grönenbach (Landkreis Unterallgäu, Diözese Augsburg), wo Werner am 21. Juni 1940 als erster Sohn des Schneiders und Fabrikarbeiters Josef Wolf und seiner Frau Katharina, geb. Haas, zur Welt kam. Die Kindheit war von Entbehrungen und mangelnder Ernährung geprägt, so dass der Junge im Wachstum zurückblieb und lebenslang Magenbeschwerden zurückbehalten sollte. Den Vater lernte er erst nach dessen Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft 1947 kennen. Eine Tochter kam 1952 zur Welt.
Der Volksschule in Grönenbach folgte 1951 die Oberrealschule in Memmingen. Dem kränklichen, aber hochbegabten Jungen fiel das Lernen ausgesprochen leicht, vor allem in Musik und Sprachen tat er sich hervor. Eine Lebenswende ergab sich für ihn nach der Lektüre der Ottilianer Klosterzeitschrift „Missionsblätter“, an die er zufällig gerät. Die Beschreibungen hochherziger Missionarsleben in exotischen Ländern begeisterten ihn, und er konnte die Eltern überzeugen, ihn 1955 im Missionsseminar St. Ottilien anzumelden.
Die Gemeinschaft des Missionsseminars mit ihrer selbstverständlichen Kameradschaft, einer weitherzigen humanistischen Ausbildung, mit Theaterspiel und Musik sollte den Jungen sehr prägen. Nach einem Einserabitur im Sommer 1961 unternahm er mit einem Mitseminaristen noch eine Wallfahrt nach La Salette und Ars, bevor er ins Noviziat der Erzabtei einzog. Dabei erhielt er den Namen des St. Galler Klostergelehrten und Dichters Notker der Stammler, dessen musikalische Tätigkeit den Klosterkandidaten anzog.
Weitere klösterliche Stationen waren die zeitliche Profess (17. September 1962) und die feierlichen Gelübde (10. Oktober 1965). Ab dem Wintersemester 1962 besuchte er das Philosophiestudium in Sant’Anselmo. Seine römische Studienzeit fiel mit der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils zusammen, das ihn nach seiner Aussage im Bereich von Liturgie, Kirchen- und Missionsverständnis tief prägte. Ab dem Wintersemester 1965 wechselte er zum Theologiestudium nach München, bei dem der Student schon im Hinblick auf seine Promotion zahlreiche Kurse in Philosophie und in verschiedenen naturwissenschaftlichen Fächern belegte. Die Priesterweihe fand – damals durchaus üblich – noch während des Theologiestudiums am 1. September 1968 statt. Nach dem Abschluss an der Münchener Universität im Jahr 1970 begann Pater Notker eine Promotion im Bereich Naturphilosophie in Sant’Anselmo (Betreuung durch Prof. Dr. Zeno Bucher OSB, für dessen Nachfolge er wohl gedacht war) und gleichzeitig auch schon eine Unterrichtstätigkeit in diesem Fachbereich sowie in Wissenschaftstheorie und Grenzfragen.
In diesen Jahren tauchte er auch tief in die Stadtwelt Roms ein, so dass er das ihm sehr vertraute Italienisch mit dem weichen römischen Akzent sprechen sollte. Die Promotion über das „zyklische Weltbild der Stoa“ erfolgte 1974. In Sant’Anselmo leitete er auch die Schola. Die von ihr herausgegebene Einspielung „Jubilate Deo“ sollte er später mit seinem Abtsmotto aufgreifen.
Eine Lebenswende ergab sich im Spätsommer 1977: In einer Kettenfolge von Ereignissen wurde beim Äbtekongress überraschend Abtprimas Rembert Weakland zum Erzbischof von Milwaukee ernannt, worauf der Ottilianer Erzabt Viktor Josef Dammertz zum Nachfolger gewählt wurde. Der Konvent der Erzabtei wählte daraufhin am 10. Oktober 1977 den römischen Professor Notker Wolf zum neuen Erzabt. Glücklicherweise begleitete der neue Abtprimas Viktor seinen Nachfolger noch beim Generalkapitel 1977, dessen Berichte und Einblicke dem neuen Klosterleiter sehr halfen, um in das noch ganz unbekannte Gebiet der Kongregationsleitung eingeführt zu werden. Ein weiterer Glücksfall war, dass der neue Obere von der Hausleitung dank des sehr kompetenen Priors Paulus Hörger (1910-1996) weitgehend entlastet war. Zur Erzabtei zählten damals juristisch etwa 380 Mönche (von ungefähr 1100 Missionsbenediktinern insgesamt), davon etwa die Hälfte in der Auslandsmission. Der Amtsstil des neuen Klosterleiters wurde als „rapidissimo“ (sehr schnell) beschrieben, was allerdings aufgrund der hohen Intelligenz, einer großzügigen und vertrauensvollen Bereitschaft zur Delegation, einem ausgeprägt mitbrüderlichen Stil und einen menschenfreundlichen Humor nicht als belastend empfunden wurde.
Dank einer weitgehenden Freistellung von innerklösterlichen Aufgaben konnte der Erzabt alljährlich mehrere Auslandsreisen zu den Häusern der Kongregation unternehmen. Auch dank des dynamischen Amtsstils des neuen Erzabtes ergaben sich dabei eine Vielzahl von Akzentverschiebungen, die der Kongregation notwendige Weiterentwicklungen ermöglichten. Dazu zählten der Wechsel von klassischer europäischer Mission zu einheimischen Ortskirchen, die damit verbundene Umstellung der Missionsklöster auf die Übernahme diözesaner Sonderaufgaben, der Übergang vorrangig europäischer in lokale Gemeinschaften, die Begleitung oder Integration einheimischer Gemeinschaften wie in Indien oder im Togo, Neugründungen wie in den Philippinen mit einem vorrangig monastischen Ansatz oder auch die Öffnung für den interreligiösen Dialog. Gerade dieser lag Erzabt Notker am Herzen, so dass er den bis heute währenden Austausch zwischen christlichen und buddhistischen Klöstern ermutigte und dafür viele Male buddhistische Klöster in Japan besuchte.
Zu einem besonderen Anliegen wurde Erzabt Notker der Austausch mit der chinesischen Kirche. Nach der Ausweisung der europäischen Missionare seitens der chinesischen Regierung im Jahr 1952 war der Kontakt mit den dort aufgebauten Pfarreien abgebrochen. Nach einer ersten verhaltenen Öffnung Chinas unternahm Erzabt Notker 1985 eine Reise in die ehemalige Diözese Yenki/Yenji im chinesischen Nordosten. Auf abenteuerlichen Wegen konnten die verbliebenen Christen erreicht werden, die vielfach schwere Schicksale hinter sich hatten. Die Erzabtei begann daraufhin eine Reihe von Hilfsprojekten für die ehemaligen Missionsgebiete (heute Diözese Jilin), wozu unter anderem der Neubau des Priesterseminars, der Bau eines Krankenhauses, Bauten von Kirchen, Schulen und Kindergärten, Sozialprojekte, Weiterbildung der örtlichen Priester und Ordensleute und vieles mehr erwuchsen. Vor allem aber wurden die menschlichen Kontakte verstärkt durch zahlreiche Einladungen nach Deutschland und Gegenbesuche in China. Besonders vertrauensbildend waren dabei mehrere größere chinesische Bischofsdelegationen in Deutschland. Auch in den ehemaligen Missionsgebieten Nordkoreas gelang ein sozialer Einsatz durch den Bau eines Krankenhauses in der Nähe des ehemaligen Bistumssitzes Wonsan.
In St. Ottilien begleitete Erzabt Notker eine Reihe von Erneuerungsprozessen wie die Schließung nicht mehr haltbarer Außenstationen und Betriebe, verstärkte Einbindung von Laienkräften, liturgische Erneuerungen oder die große Kirchenerneuerung, wobei jeweils die Gemeinschaft umfassend einbezogen wurde, so dass es wenig Konflikte gab. Vor allem aber führte er Stiländerungen herbei, die einen eher hierarchischen Stil in horizontale Umgangsformen überführten. Dabei zeigte er sich nicht berührungsscheu und trat auch als „rockender Erzabt“ mit E-Gitarre bei Auftritten der früheren Schülerband „Feedback“ auf. Ebenso beherrschte er aber das klassische Repertoire, das er über Jahrzehnte hinweg am Benediktusfest bei der Weiherserenade auf der Querflöte präsentierte.
Schon beim römischen Äbtekongress 1996 war Erzabt Notker als Abtprimas im Gespräch, was von ihm zurückgewiesen wurde, indem er vor allem auf die laufenden und sehr komplexen Projekte in China verwies. Als sich aber im Jahr 2000 wieder die Frage nach einem neuen Abtprimas stellte, konnte Erzabt Notker eine Annahme nicht mehr zurückweisen und stellte sich am 7. September zur Verfügung. Als Abtprimas setzte er seine gewohnte und von ihm auch gerne durchgeführte Reisetätigkeit weiter fort.
Bei seinen Klosterbesuchen kam ihm neben seinen Sprachkenntnissen (er sprach neben Deutsch fließend Englisch, Italienisch, Französisch und konnte sich in mehreren anderen Sprachen ausdrücken) vor allem die Fähigkeit zugute, dass er sich auf jede Situation und jeden Menschen einlassen konnte und dabei eine starke Präsenz und echtes Engagement zeigte. In Sant’Anselmo stand unter anderem ein großes Renovierungs- und Modernisierungsprogramm an, wozu unter anderem Raumsanierungen, neue Fenster, ein leistungsfähiges Internetsystem, Umbauten der Hochschule und vieles mehr gehörten, wofür eine Vielzahl von Abstimmungen und Gremienarbeit in der Hochschule und mit dem Orden, dem Vatikan und den römischen Behörden nötig war. Am 13. Oktober 2012 wurde er beim Äbtekongress für eine weitere Amtsperiode von vier Jahren bestätigt. Beim folgenden Generalkapitel konnte er dann am 9. September 2016 sein Amt in die Hände seines Nachfolgers Gregory Polan weitergeben.
Vor seiner Rückkehr ins Kloster schenkte ihm die benediktinische Konföderation noch eine Weltreise, damit der weitgereiste Abt die Orte, die er meist nur im Schnelltempo berührt hatte, mit etwas mehr Muße besuchen konnte. Anschließend kehrte er nach St. Ottilien zurück, das er mit großer Überzeugung immer „meine Heimat“ nannte. Auch wenn er nun von allen Verpflichtungen freigestellt war, engagierte er sich noch im Kloster im Bereich der Zukunftsplanung, Spendenakquise, öffentlichen Auftritten und fand immer wieder ein treffendes Wort bei Konventsdiskussionen. Vor allem aber nahm er ein beeindruckendes und manchmal geradezu unfassbares Pensum von Vorträgen, Radiosendungen, Fernsehauftritten, Einkehrtagen, Exerzitien, Festgottesdiensten und Veranstaltungen aller Art auf sich, die ihn kreuz und quer durch Deutschland und die gesamte Welt führten.
Dank einer eisernen Disziplin und einem hohen Selbstanspruch von Verfügbarkeit für die Mitmenschen bewältigte er dieses Programm, auch wenn er damit manchmal Raubbau an seiner Gesundheit trieb. Andererseits inspirierten und erfreuten ihn die Begegnungen mit anderen Menschen, so dass sein Mammutprogramm auch für ihn immer ein Lebenselexier war. Den hohen Anspruch an sich selbst formulierte er in seinen sozialkritischen und geistlichen Schriften, worin dem Einzelnen viel Freiheit, aber auch viel Verantwortung zugetraut oder zugemutet wird. Ein Ruhepunkt blieb für ihn auch immer das Stundengebet, das er gerne und treu besuchte, und das Gemeinschaftsleben, das ihm offensichtlich Freude bereitete.
Eine besondere Erwähnung verdient die literarische Tätigkeit. Diese beschränkte sich über Jahrzehnte auf gelegentliche wissenschaftliche Abhandlungen und geistliche Impulse. Dies sollte sich nach der Wahl zum Abtprimas mit seinem etwas weniger dichten Pflichtprogramm ändern. Der Hamburger Rowohlt-Verlag lud ihn im Jahr 2005 zu einer Buchproduktion ein, woraus das im folgenden Jahr erschienene Werk „Worauf warten wir?“ entstand, das provokante Thesen zur gesellschaftlichen Situation in Deutschland aufstellte und Abtprimas Notker zum Bestsellerautor avancieren ließ. Seitdem veröffentlichte Abt Notker jährlich mehrere Titel oder verfasste Impulstexte für Zeitschriften, die teilweise hohe Auflagen erreichten und ihm viel Sympathiewerte in der Öffentlichkeit einbrachten, da er seine reiche Lebens- und Glaubenserfahrungen gut verständlich und in Klartext vermittelte.
Unter den gut 30 Ehrungen und Preisen, die Abt Notker erhielt, seien nur der Bayerische Verdienstorden (1986), das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (2007) und die Bayerische Staatsmedaille für Soziale Verdienste (2021) sowie zwei Ehrendoktorate und mehrere Ehrenbürgerschaften (u.a. Norcia und Grönenbach) erwähnt.
Wir sind dankbar für die vielen Samenkörner, die unser Mitbruder im Laufe seines Lebens ausstreuen konnte, und beten darum, dass seine letzte große Reise ihn zu dem geführt hat, den er ein Leben lang verkündet hat!
Requiem mit Beerdigung am Samstag, den 6. April 2024, 10.30 Uhr, in der Abteikirche von Sankt Ottilien
Erzabt Wolfgang Öxler und Konvent der Erzabtei Sankt Ottilien
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