Wollt auch ihr weggehen?
Liebe Schwestern und Brüder!
„Wollt auch ihr weggehen?“ fragte Jesus eben im Evangelium.
Heutzutage würde die entsprechende Frage lauten: „Wollt auch ihr aus der Kirche austreten?“
Stellen Sie sich vor, nach dem Gottesdienst hält Ihnen draußen ein Journalist das Mikrophon hin und sagt: „Warum treten Sie nicht aus der Kirche aus? Im vergangenen Jahr sind in Deutschland 700 000 Menschen aus den beiden großen Kirchen ausgetreten. 700 000!! Warum gehen Sie immer noch in die Kirche?“
Ja, was würden Sie da antworten? … Keine Angst, es wird jetzt nicht abgefragt.
Nehmen Sie einfach mal die Frage mit…. und lassen Sie sich ruhig Zeit dafür.
Vielleicht erwarten Sie eine Antwort von mir, einen Vorschlag wenigstens…?
Das hab ich nicht vor. Aber ich möchte zwei Erfahrungen erwähnen, die die Frage ein wenig vertiefen.
Vor einigen Jahren kam ein alter Bekannter zu Besuch, wir kennen uns seit dem Studium. Im Gespräch fing er an, alles Mögliche in der Kirche zu kritisieren. Schließlich sagte er wütend: „Am liebsten würde ich aus der Kirche austreten.“
Ich sagte etwas provozierend: „Dann tritt doch aus, wenn dir alles nicht passt!“
Darauf er: „Ich kann doch nicht austreten!“ „Wieso kannst du das nicht?“
Da sagte er: „Weil ich in dieser Kirche auch so viele entscheidende Erfahrungen gemacht habe, das weißt du doch. Das würde ich dann ja alles wegschieben und so tun, als ob es wertlos wäre.“
Ja, er hatte damals als Student konvertiert, weil ihn in der katholischen Kirche so viel angesprochen hat: die Liturgie, geistliche Kursangebote, inspirierende Freundschaften usw. Er war damals richtig aufgeblüht.
Im weiteren Gespräch haben wir uns dann „über damals“ unterhalten, und er hat gemerkt, dass davon immer noch vieles in ihm lebt und ihm wichtig ist.
Schließlich ging er dann wieder recht aufgeräumt weg. Die Kirchenprobleme, die ihn ärgerten, blieben natürlich bestehen. Er wird sich auch weiterhin ärgern.
Aber er hat wieder etwas von den Quellen entdeckt, aus denen er über Jahre gelebt hatte. Langsam begannen sie wieder zu fließen. Das war jetzt das Wichtigere.
Ähnlich ist es doch in jeder Beziehung, in jeder Ehe, jeder Familie, auch in jeder Klostergemeinschaft. Man hat zueinander gefunden und hält zusammen, weil man begeistert von einander war und ist. Aber irgendwann entdecken wir, was wir da auch an Negativem eingepackt haben.
Es gibt ja nichts Großartiges, das nicht auch eine schwierige, eine mühsame Seite hat. Nur wenn wir auch mit dieser leben lernen, können wir glücklich werden.
Wer z. B. mich mag, der muss auch damit leben können, dass so manches an mir schwierig oder ärgerlich für ihn ist.
Aber wenn wir uns auf dieses Negative – das immer da ist – fixieren, verblasst das Positive immer mehr, eines Tages kippt die Situation und es ist nur noch „zum Davonlaufen“. Das kann auch im Kloster so sein.
Deshalb noch eine Erinnerung aus unserer Klostererfahrung:
Im Jahre 1999 haben wir beschlossen, alle ehemaligen Mitbrüder, die ausgetreten waren, zu einem Tag der Begegnung einzuladen.
Das war nicht ganz problemlos, all jenen wieder zu begegnen, die uns einmal verlassen haben. Aber wir waren entschlossen, uns darauf einzulassen und uns im Vorfeld schon damit auseinander zu setzen.
Zur Vorbereitung hatten wir klosterintern einen Bußgottesdienst, wo wir uns u.a. auch die Frage stellten: „Bin ich bereit, allen friedlich zu begegnen, die mich durch ihr Weggehen enttäuscht haben; bei wem fällt es besonders schwer?“ usw.
Es wurde noch persönlicher: „Warum bin ich denn geblieben? Warum denn?“
Und schließlich die entscheidende Frage:
„Hat es sich gelohnt, dass ich geblieben bin? Hat es sich gelohnt….?“
Da war nicht eine äußere Karriere gemeint,
sondern ob ich durch mein Bleiben selber gewachsen und reifer geworden bin –
in meinem Menschsein, meinem Mönchsein
auch etwas reifer in meiner Beziehung zu Gott und zu den Menschen….
Wer solche Fragen positiv beantworten kann, muss nicht davonlaufen, auch wenn ihm manchmal zum Davonlaufen ist – weder im Kloster oder anderswo….
Einfach nur bleiben – das ist noch nichts Besonderes. Das könnte ja auch mit Bequemlichkeit zu tun haben.
Die Stabilität der Benediktiner meint nicht, dass man halt ein Leben lang dableibt, sondern dass hier der Ort ist, wo man Wurzeln schlägt, immer tiefere Wurzeln, und der Lebensbaum immer neue Früchte tragen kann.
Statt der anfangs gestellten Frage: „Wollt auch ihr weggehen?“, könnten Sie nun für sich – und wir hier im Kloster – lieber kreativ über das Bleiben nachdenken:
Hat sich mein Bleiben gelohnt?
Wo war ich in den letzten Jahren froh, in der Kirche, im Kloster zu sein?
Was durfte ich in den letzten Jahren neu entdecken? wo durfte ich aufleben?
Wo war mein Leben auch für andere fruchtbar – weil ich in der Kirche, im Kloster bin?
Ich bin überzeugt, dass jeder und jede hier einiges zusammenbringt.
Und das reicht dann wohl, auch weiterhin zu bleiben – obwohl es immer noch genug zum Ärgern geben kann.
Bleiben heißt also nicht sitzenbleiben – sondern weitergehen – weiterwachsen.
Wir können das auch noch biblisch vertiefen:
In den letzten Sonntagen ging es im Evangelium immer wieder darum, dass Jesus sagt, er sei unsere Speise.
Am letzten Sonntag hieß es: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm.
Letztlich geht es also nicht nur darum, in der Kirche zu bleiben,
sondern dass ER in mir bleibt und ich in IHM bleibe –
als eine ganz persönliche, intime Beziehung.
Und wie jede persönliche Beziehung ist auch diese kein Zustand, sondern eine Bewegung, eine Dynamik:
dass ER immer tiefer in mich hineinwachsen darf,
dass ich immer mehr in IHN hineinwachsen darf….
und für uns, die Älteren, füge ich hinzu:
dass wir immer mehr in IHN hinein- und hinüberwachsen können…..
in einem Hinein- und Hinüberwachsen, das keine Grenzen kennt –
nur die unendliche Weite der Liebe…..
Amen