"Wir sind Bürger einer kommenden Welt. "
Predigt von P. Placidus Berger OSB am Herz-Jesu-Fest
90, 70, 65, das sind die Protagonisten unter den heute im Raum stehenden Zahlen. Heute wird nicht in erster Linie Silber und Gold gefeiert, nein, heute geht es um Jubiläen mit Diamanten in verschiedenen Farben.
Drei von uns feiern in diesem Jahr ihren 90. Geburtstag, zwei davon aber erst beim zweiten Anlauf im Herbst. Die 70jährigen Profess-Jubilare haben - sage und schreibe - 70 lange Jahre die Zumutungen der klösterlichen Gemeinschaft ausgehalten ohne an den Schwächen der Menschheit zu verzweifeln.
Die 65jährigen Jubilare haben mit Freude und Hingabe als Priester ein Berufsleben lang die Menschen in ihren geistigen Ansprüchen und Nöten begleitet, müssen aber seit der Corona-Heimsuchung feststellen, dass wir nur noch sporadisch gebraucht werden. Wir stehen schon halb auf dem Abstellgleis. Selbst die Turbulenzen nach dem Konzil mit ihren vielen Austritten waren nicht so deprimierend.
Nun liebe Zuhörer! Wir sind auch eine Gruppe, die drei Entwicklungsperioden miterlebt hat.
Das erste war das Agrarzeitalter. Das war die Zeit vor und nach den Weltkriegen. Zwar hatte schon das technische Zeitalter begonnen, aber unser Alltagsleben war doch noch stark von der Landwirtschaft geprägt. Wir mussten als Schüler noch im Wald Bucheckern als Schweinefutter sammeln und bei der Kartoffelernte mithelfen, und als Studenten dann bei der Obsternte. Die Beschaffung von Lebensmitteln war die Hauptsorge.
Das technische Zeitalter waren die Jahrzehnte nach dem Krieg. Fortschritt beherrschte damals unser Denken und brachte spürbare Verbesserungen der Lebensverhältnisse. Die Zeit war beherrscht von einem Entwicklungs-Optimismus, den man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Bis mit der ersten Energiekrise das erste große Erschrecken kam.
Und jetzt haben wir das Informations-Zeitalter das heißt, was der Mensch gelernt, und an Bildung und Ausbildung im Kopf hat, das bestimmt sein Leben. Fortbildung und Umschulung wurden wichtige Schlagworte. Niemand hätte am Anfang geglaubt, dass ausgerechnet ein solches Zeitalter zu so vielen Schul-Abbrüchen führen würde, wie wir sie jetzt haben.
Manche haben aber am Anfang schon geahnt, was auf uns zukommen würde. Ein amerikanischer Abt sagte mir damals: Das bedeutet „meetings, commissions, conferences and conferencies“. - Und ein französischer Professor (wenn ich jetzt dessen Namen nenne, werden die Stabs-Vorsänger bei uns einen andächtigen Seufzer hören lassen, also er hieß Eugene Cardine) und der sagte zu uns damals: „Es wird noch mehr langweilige Dinge bei uns geben, zum Beispiel „les conférences stupides“, diese stupiden Konferenzen, im kirchlichen Bereich, im Kulturbetrieb und nicht zuletzt in den internationalen Geschwätz-Orgien der Politiker. Recht hat er gehabt. Diese ideologische Aufforstungswelle überschwemmt uns bis heute wie ein Zunami.
Und in welchem Zeitalter befindet sich unsere Gruppe jetzt? Unsere Geister beschäftigen sich schon mit einem Zeitalter ohne Zeit. Wer da neue innere Erfahrungen macht, wem dabei eine andere Welt aufgeht, der hätte seinen Nachfahren wahnsinnig wichtige Dinge zu erzählen. Bei dem wird sich etwas entwickeln, das wir (Vorsicht, jetzt gebrauche ich einen Geheimcode!) das wir Weisheit nennen. Etwas, was den heutigen Massenmedien (diesen typischen Vertretern einer defizitären Informationskultur) völlig fremd ist. Für die klassischen Philologen unter uns sage ich nur: multa non multum.
Aber Vorsicht! Die bei älteren Mönchen so typische Akedeia oder Imbezillität ist noch lange kein Hinweis für beginnende Altersweisheit. Der führende Theologe unserer Jugendzeit, Karl Rahner, hat einmal gesagt, „Geistesträgheit ist keine Gabe des Hl. Geistes“. So Rahner. Man könnte sie allzu leicht mit Geduld verwechseln. Aber gerade das geduldige Ertragen der Altersbeschwerden ist eine der Botschaften, die wir unseren Nachfahren vererben könnten. Man braucht diese Geduld ja nicht erst im Alter, sondern das ganze Leben über - bei so vielen Schlampereien und bei der pathologischen Schwatzhaftigkeit der Mitmenschen.
Vor 2000 Jahren hat der Philosoph Seneca schon geschrieben: „Je mehr der Geist aufnimmt, desto lernfähiger wird er. Gibt es etwas Dümmeres, als nur deswegen nicht weiter lernen zu wollen, weil man schon längere Zeit des Lernens entwöhnt ist? Wie man leben soll, hat man ein Leben lang zu lernen.“ So Seneca.
Und zum Schluss will ich etwas noch Wichtigeres betrachten: Die Nähe der Transzendenz. Dieses innere freudige Brennen des Herzens, wenn wir im Credo singen: vitam venturi saeculi - Wir erwarten das Leben einer kommenden Welt. Das Leben der irdischen Welt hat ja nur Sinn, weil es die Vorbereitung auf eine kommende Welt ist. Wenn es keine kommende Welt gäbe, bräuchten wir auch keine irdische.
„Vitam venturi saeculi“ - Diese letzten Worte des großen Lateinischen Glaubensbekenntnisses sind auch unsere erlösende Lebensphilosophie: Wir sind Bürger einer kommenden Welt.
Mit diesem Bewusstsein kann man vieles ertragen, was uns die hiesige Welt noch an hässlichen Unannehmlichkeiten aufzwingt. Und so kann ich mit Dr. Martinus sagen:
Ich lebe und weiß nit wie lang
ich stirb und weiß nit wann
ich fahr und weiß nit wohin
mich wundert’s, dass ich fröhlich bin.
Amen