Wenn das Weizenkorn nicht stirbt….
Schwestern und Brüder!
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ So haben wir’s eben gehört.
Das ist zunächst mal eine Binsenweisheit.
Das Korn wächst sich aus in Halm und Ähre, und das ursprüngliche Korn ist verschwunden. Es hat sich ganz verausgabt und wie von selbst aufgelöst,
und hat dadurch vielfache Frucht produziert.
Was muss in der Natur nicht alles sterben, damit neues Leben entsteht!
Die gewaltige Fruchtbarkeit des Regenwaldes kommt z. B. daher, dass unablässig unzählige Pflanzen und Tiere sterben und verwesen, und sich dadurch eine dicke, fruchtbare Humusschicht bildet.
Das „Stirb und Werde“ ist ein Lebensgesetz. Wir erleben es jetzt bald wieder, wenn die anscheinend leblose Natur in gewaltigen Schüben neu aufbricht,
nachdem im Herbst die ganze Blätter- und Blütenpracht dahinstarb und gleichzeitig im Sterben neuen Humus produzierte.
Wenn Jesus hier das Wort vom Weizenkorn in den Mund nimmt, dann verkündet er nicht einfach nur ein Lebensgesetz, sondern er redet von sich selber. Er deutet den Sinn seines Lebens und seines Sterbens.
Und während er darüber spricht, packt es ihn zuinnerst: „Jetzt ist meine Seele erschüttert“, sagte er vorhin im Evangelium; der Gedanke an den Tod wühlt ihn zuinnerst auf. Wer stirbt denn schon gern!
Aber dann sagt er weiter:
„Was soll ich jetzt sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich doch in diese Stunde gekommen.“
Er könnte wollen, dass das alles nicht geschieht, aber es geht jetzt nicht darum auszuweichen, sondern hindurch zu gehen, auch wenn es ihn noch so hart ankommt. Im Garten von Gethsemani wird sich diese Szene wiederholen.
Und in der Lesung aus dem Hebräerbrief hat es vorhin geheißen:
„Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt.“ Erst durch Leiden, hat er so richtig gelernt, was Gehorsam ist;
was Gehorsam wirklich bedeutet, wenn es wehtut, wenn er wirklich etwas kostet – in extremer Situation. Und Jesus hat seine Lektion gelernt.
Zwei Kapitel bevor Jesus vom Weizenkorn spricht, kommt er schon einmal auf dieses Thema zu sprechen und drückt sich noch deutlicher aus:
„Ich gebe mein Leben hin; niemand entreißt es mir, ich gebe es hin aus freiem Willen.“ (Joh 10,17f)
Er tut es nicht aus Pflicht, sondern in aller Freiheit, „niemand entreißt es mir, ich gebe es hin aus freiem Willen, man muss mich nicht dazu zwingen.“
Er könnte auch sagen:
„Ich bin so frei – und gehorche.
Ich bin so frei – und gebe alles hin, mich ganz…in aller Freiheit.“
Das klingt fast atemberaubend – in aller Freiheit, alles geben…..
Aber kommt uns das nicht auch ein wenig bekannt vor?
Haben wir das nicht – in kleinerem Format – auch schon so ähnlich erlebt?
Da schiebt uns das Leben – oder ein Vorgesetzter – vor eine Situation, die wir uns absolut nicht aussuchen würden. Aber die Herausforderung steht fordernd vor uns.
Nach innerem Kampf können wir allmählich ja sagen, von innen heraus, mit innerer Freiheit –
so nach dem Motto:
Wenn ich schon muss, dann will ich auch, dann mach ich was draus.
Und dann kann wirklich neues Leben aufbrechen:
Wenn das Weizenkorn stirbt, wenn ich mein Ego lassen kann –
wird viel Fruchtbarkeit möglich ….in aller Freiheit.
Mir fällt dazu so manches aus meinem Leben ein. Ihnen vielleicht auch, aus Ihrer beruflichen oder familiären Situation,
oder bei uns hier im Kloster gibt es genug solcher Situationen im Lebenslauf, wo man einfach muss – und dann geht es auch…..und bringt Frucht….
Jeder und jede kann da mal für sich selber nachsinnen…..
Als ich so über das Geheimnis des Weizenkorns nachgedacht habe, kam mir etwas in den Sinn, was ich kurz vorher gelesen hatte. Ich möchte es hier kurz berichten:
Ein syrischer Franziskaner, der Pfarrer in Aleppo ist, berichtet in einem Buch sehr eindrucksvoll über das Leben und den Glauben der Christen in dieser vom Krieg geschundenen Stadt. Eines Sonntags wurde eine Gasflasche auf die Kirche abgeworfen, die bei ihrer Explosion die Kuppel zerstörte, unter welcher der Priester gerade die heilige Kommunion austeilte. Es brach Panik aus, als die Trümmer auf die Leute fielen. Der Priester unterbrach die Austeilung der Kommunion, um Verletzten zu helfen. Dann berichtet er: „Zurück in der Sakristei sah ich, dass Blut auf die Hostien gespritzt war – das Blut der verletzten Gläubigen. Dieser Anblick hat mich viel betroffener gemacht als der Anblick meiner Kirche voller Schutt, Staub und Glassplitter. Diese Hostien, die sich mit dem Blut der Gläubigen vermischt hatten, waren ein unverkennbares Zeichen der Gegenwart des Herrn, der mit uns in Gemeinschaft ist. Es kam mir vor, als erstrahlten sie in einem Licht, das Trost und Frieden bringt!“
Etwas später berichtet er dann: „Bei der Messe für die Kinder am 1. November haben wir ein großes Stück der explodierten Gasflasche, das wir auf dem Kirchendach gefunden haben, mit Blumen geschmückt und als eine der Gaben zum Altar getragen.
Das Sinnbild des Hasses und des Todes wurde gleichsam „getauft“, und wurde so zum Zeichen der Liebe, die vergibt und Leben schenkt.
Sie schicken uns den Tod, und wir geben ihnen das Leben zurück.
Sie schleudern uns Hass entgegen, und wir vergelten es ihnen mit Liebe.“
(Aus: Ibrahim Alsabagh, Hoffnung in der Hölle. Als Franziskaner in Aleppo. S. 28 und 30.)
„Sie schicken uns den Tod, und wir geben ihnen das Leben zurück.
Sie schleudern uns Hass entgegen, und wir vergelten es ihnen mit Liebe.“
Das Geheimnis des Weizenkorns….
Diese Menschen in Aleppo leben ihren Glauben – in ständiger Todesnähe,
sie leben eine kreative Liebe –wo sie ständig von tödlichem Hass umgeben sind.
Es ist wie ein tägliches Sterben, aus dem ständig neues Leben entsteht
im Glauben – und in aller Freiheit
sterben – um zu leben…..
Das Geheimnis des Weizenkorns…
Pater Fidelis Ruppert