Weihnachten. Zu Hause.
Predigt von Abt Michael Reepen OSB an Weihnachten 2024.
Liebe Schwestern und Brüder hier in der Abteikirche und die Sie über den Live-Stream jetzt mit uns verbunden sind, liebe Mitbrüder!
Der Heilige Abend ist für viele Menschen mit Gefühlen verbunden, die mit Heimat zu tun haben, mit „zu Hause sein“. Viele erinnern sich an Weihnachten an Zeiten in der Herkunftsfamilie, bei den Eltern und Geschwistern oder wo auch sonst ihr Zuhause war. Für viele Menschen ist es Brauch, dass sich zu Weihnachten die Familien treffen, sie bei den Eltern oder Großeltern zusammenkommen oder diese eingeladen werden.
Für manche ist dies eine angespannte Situation, vor der sie schon Wochen im Vorhinein zurückschrecken, weil sie Angst vor wieder aufbrechenden Konflikten haben oder einfach genervt sind von dem emotionalen Stress, der Weihnachten für sie mit sich bringt. Die vielen unfreiwillig alleinlebenden Menschen erleben an Weihnachten eine besondere Konfrontation mit einer Einsamkeit, an der sie während der übrigen Zeit des Jahres nicht oder zumindest weniger leiden.
Allen gemeinsam ist die tiefe Sehnsucht nach echter Beheimatung, nach einem stabilen Geborgensein im wirklich Guten.
Zu Beginn dieses Advents war ich weit weg von meinem Zuhause, hier im Kloster. Im Rahmen meiner Verpflichtungen für die Kongregation besuchte ich eine unserer klösterlichen Gemeinschaften in Inkamana, in Südafrika. Es war dort Sommer und gar keine adventliche Stimmung wie hier in Deutschland.
Dort las ich in einem Buch von Arno Geiger, das ich mitgenommen hatte: „Der alte König in seinem Exil“. Darin beschreibt der Autor die fortschreitende Alzheimererkrankung seines Vaters. Immer wieder sagt der demente Vater: „Ich will nach Hause“. Er steht plötzlich auf – mitten im Gespräch – und sagt: „Ich gehe jetzt nach Hause“. Eigentlich war er ja schon zu Hause, doch er hat es manchmal nicht mehr erkannt. Es kam immer wieder der tief in ihm liegende Wunsch auf, loszugehen, nach Hause zu gehen und anzukommen.
Wir kennen das auch von unseren dementen Brüdern, auch von manchem unserer sehr alten Brüder, dass plötzlich eine Sehnsucht aufbricht, nach Hause zu gehen. Manchmal sagen Brüder kurz vor ihrem Sterben: „Ich will nach Hause, wir gehen jetzt nach Hause“. In unserer Klostergemeinschaft war unser Motto für den Advent aus dem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ von Novalis: „Wohin gehen wir? – Immer nach Hause!“
Dieser Satz hat unsere Gemeinschaft durch den Advent begleitet. Und auch mich in der fremden afrikanischen Ferne.
Es ist eigenartig mit diesem Nachhausegehen. Es scheint tief in uns diese Sehnsucht zu sein einmal zuhause anzukommen. Einmal wirklich zuhause sein zu dürfen. Auch der heilige Benedikt beschreibt das Leben und Glauben eines Mönches als einen Weg, bei dem wir am Ende wirklich ankommen werden: in unserem wahren und unverlierbaren Zuhause, bei Gott.
Vielleicht fühlen wir uns in dieser Welt deshalb oft so fremd, weil wir tief in uns spüren: „unsere wahre Heimat ist im Himmel“ wie der Apostel sagt, (vgl. Phil 3,20), das ewige Heil in der friedvollen Gemeinschaft mit Gott und untereinander. Das letzte Wort der Benediktsregel lautet „pervenies“: „Du wirst ankommen“ (RB 73,9). Es ist die feste Zusage, wir werden ankommen bei Gott in seiner Liebe, die alle Angst beruhigt und alle Sehnsucht stillt. (vgl. RB 7,67)
Wie wichtig und tröstlich ist diese Zusagen gerade in der heutigen Welt.
Gott kennt die Heimatlosigkeit. In seinem Sohn Jesus Christus hat er sie selber erfahren. Sein Geburtsort ist die Unbehaustheit einer notdürftig zur Wiege umfunktionierten Futterkrippe in einem fremden Stall. Doch Maria und Josef machen ihn mit ihrer Zuneigung und Fürsorge zu einem Zuhause.
Denn entscheidend für das Gefühl des Zuhauseseins ist die Geborgenheit in der Liebe. Zuhause ist, wo ich mich angenommen fühle, wo Menschen mir das Gefühl geben: es ist gut und richtig, dass es mich gibt – so, wie ich bin. Im Kreis geliebter Menschen leuchtet die Gegenwart Gottes auf, der mich unbedingt und umfassend annimmt und bei dem ich mich rundum wohl und sicher fühlen kann, - weil er mich grenzenlos, ewig liebt.
Diese Erfahrung kann in einem kleinen Stall in Bethlehem sein. Sie kann überall auf der Welt sein. Denn Gott, das feiern wir heute, gibt uns diese Geborgenheit – egal, wo wir sind. Wo Gott ist, da ist Geborgenheit. Und wenn Gott sagt: „Ich bin immer bei euch; ich bin immer und überall gegenwärtig“ (vgl. u.v.a. Ex 3,14; RB 19,1)
Und wenn wir uns diese Nähe Gottes immer wieder vergegenwärtigen, uns betend und vertrauend in sie hineingeben, dann üben wir ein, uns zu beheimaten in unserem wahren und unverlierbaren Zuhause.
Und wenn wir gerade vielleicht nicht umgeben sind von geliebten Menschen, die uns diese Gegenwart Gottes spürbar vermitteln können, die uns in den Arm nehmen, mit denen wir heute Abend und die nächsten Tage feiern können – bei Gott sind wir zutiefst angenommen und daheim, denn „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit“ so wie sie ist…
Die letzten Worte Jesu am Kreuz drücken dieses Vertrauen und diese Geborgenheit ein für alle Mal aus: „Vater in deine Hände empfehle ich meinen Geist“.
Mögen wir, liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder, dies an Weihnachten fühlen können: dass wir zu Hause sind.
So wünsche ich Ihnen und uns allen eine gesegnete geborgene Weihnacht zu Hause.
Amen.