„Weg in die Fülle eines liebevollen Lebens“
Liebe Schwestern und Brüder,
die Grundfrage des heutigen Evangeliums lautet: wie kommen wir von der Erfahrung der Leere, unseres leeren Lebensbootes zu einer Erfahrung der Fülle, der Erfüllung unseres Lebens mit Segen, Freude und Frieden?
Wir alle kennen die Not, von der Petrus erzählt: … wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Was haben wir uns immer wieder abgemüht – in der Schule oder im Beruf, viel zu arbeiten, Überstunden zu machen, dass wir mithalten können – immer wieder bis an die Grenzen das zu tun, was andere von uns erwarten. Oder in unseren Beziehungen – und Partnerschaften: wenn man sich trotz aller Bemühungen einfach nicht versteht, es immer wieder nur falsch machen kann, Friede und Glück sich einfach nicht einstellen. Trotz aller Anstrengungen und Nachtschichten bleiben unsere Boote leer.
Und doch tragen wir alle eine Sehnsucht in uns, dass alles gut wird, dass wir bis zum Rand unseres Lebens angefüllt sind mit Ruhe und Gelassenheit, mit Freude, Glück und tiefem inneren und äußeren Frieden.
Und wie geht das? Hören wir auf die Stimme Jesu, dann sollen wir ein Stück vom Land wegfahren, hinausfahren auf den See bzw. wörtlich übersetzt dorthin, wo es tief ist. Dort in der Tiefe und ganz bewusst am Tag sollen wir die wichtigen Fische des Lebens fangen, und nicht unserer Gewohnheit entsprechend nachts und nur oberflächlich an der „Oberfläche“. Auch wir sollen ein wenig in Distanz zu unserem Alltag gehen, zu dem, was uns sonst beschäftigt und manche Dinge vielleicht ein klein wenig anders machen als sonst. Wir sollen nicht verkrampft an unseren bisherigen Vorstellungen und Gedanken hängen, sondern uns für neue Gewohnheiten öffnen.
So passt das Evangelium sehr gut zum augenblicklichen Fasching: auch hier ergreifen viele Menschen, die Möglichkeit mal aus ihrer gewohnten Rolle und Maske auszusteigen, dazu in Distanz zu gehen – mal auf den See zu fahren – und was neues auszuprobieren: der Schüchterne wird zum Cowboy oder zum Supermann, das graue Mäuschen zur Prinzessin oder Königin, der Unternehmer zum Clown oder Bettler, der Materialist zum geistlichen Mönch oder Yedi-Ritter.
Indem wir andere Rollen spielen, gewinnen wir Abstand zu unserer alltäglichen Rolle. Und vielleicht wird der „Stubenhocker“ plötzlich dadurch zum Drachentöter oder der Manager entdeckt plötzlich die meditative, kontemplative Seite des Mönchs in sich. Der Distanzierte entdeckt vielleicht neue Qualitäten im absichtslosen Spiel des Clowns oder eines kleinen Kindes.
Indem wir frei werden, verschiedene Rollen zu spielen, werden wir auch frei, in der Rolle und Würde eines königlichen Menschen zu leben, in die uns Gott täglich ruft.
Gott lädt uns im Evangelium ein, alle Rollen einmal durchzuspielen – bis wir letztendlich aus unseren Gräbern aufstehen (aufhören Grufties und Zombies zu spielen J - das gilt hier wie immer natürlich nur für die anderen) und zu diesen auferstandenen leuchtenden Christussen werden, als die wir berufen sind. Um mit dem Franziskanerpater Richard Rohr zu sprechen, geht es nicht darum Jesus anzubeten, sondern wir sind berufen, mit Jesus zum Christus zu werden.
Jede und jeder von uns hat schon er-füllende Momente erlebt – im Angesicht eines großen Berges, in der Weite des Meeres, mit einem liebevollen Menschen. Die Fülle – in der Weite eines liebevollen Herzens, um die es im Glauben geht, ist nicht mit Geld oder äußerem Reichtum aufzuwiegen. Es geht um die Fülle von Frieden und Liebe im Herzen, um Zufriedenheit, Dankbarkeit und überschwängliche Freude.
Jede und jeder kennt die Sehnsucht in der Fülle als die geliebt zu werden, die wir von unserem tiefsten Wesen her sind – als ein königliches Schmuckstück in Gottes Hand. Allerdings werden wir nicht oft als diese Schmuckstücke von den anderen angesehen und letztlich leben wir diesen Wert auch nicht selbst. Lassen Sie mich dazu eine kurze Geschichte erzählen: Ein Junge kam gerade mit diesem Problem zu einem Geistlichen Meister. Dieser gab ihm den Auftrag auf den Marktplatz zu gehen und für ihn seinen Ring zu verkaufen – allerdings auf keinen Fall unter dem Wert eines Goldstücks. Der Junge ging also auf den Markt und bot den Ring an. Aber keiner wollte ihm dafür ein Goldstück geben, höchstens ein paar Silberstücke – wenn überhaupt. Er kam also traurig zu seinem Lehrer zurück. Dieser schickte ihn dann zu einem Juwelier, also einem Experten. Dort angekommen zog sich der Juwelier zurück und studierte genau diesen außergewöhnlichen Ring. Als er zurückkam sagte er ihm, er könne ihm für diesen Ring höchstens 58 Goldstücke geben – mit etwas Geduld beim Verkaufen vielleicht auch 70 Goldstücke. Voller Verwunderung eilte der Junge zurück zu seinem Lehrer und erzählte ihm das alles. Daraufhin sagte ihm der Meister: „Du bist wie dieser Ring, ein Schmuckstück, kostbar und einzigartig. Und genau wie bei diesem Ring kann deinen wahren Wert nur ein Fachmann erkennen.“
Was heißt das jetzt für uns? Wir könnten ja jedem Menschen nachfolgen … Hören wir aber auf den Fachmann Jesus, der um unseren wahren göttlichen Wert weiß. Wir alle sind berufen, den Weg in die Fülle eines liebevollen Lebens zu gehen, den Weg, der uns lehrt, in der Würde einer königlichen Tochter Gottes oder eines königlichen Sohnes Gottes zu leben.
Lassen wir also unsere leeren Lebens-Boote stehen und folgen wir Jesus und den Jüngern in die Schule der Erfüllung. Folgen wir jeden Tag dem, der unsere Lebens-Boote bis zum Rand füllt, ja der unseren Körper und Leib z.B. im Gebet, im Gottesdienst, in einer herzlichen Beziehung mit seiner liebevollen Gegenwart erfüllt. Üben wir uns ein, in die Rolle der Jünger Jesu zu gehen und immer wieder diesem Ruf in ein erfülltes Leben zu folgen. Amen.
Pater Jesaja Langenbacher OSB