Unser geistliches Leben – ein Garten.
Predigt von P. Fidelis Ruppert OSB am Hochfest Allerheiligen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Allerheiligen! Alle Heiligen! Möchten Sie zu all diesen Heiligen dazugehören? Möchten Sie eine Heilige sein, ein Heiliger? Wenn jemand sagen würde: Sie sind eine Heilige, oder: Du bist ein Heiliger – kämen wir uns wahrscheinlich etwas komisch vor. Vielleicht sollte das heißen, ich sei ein komischer Heiliger, oder gar ein Schein-Heiliger. Mit dem Begriff des Heilig-Seins haben wir es nicht so leicht. Deshalb möchte ich jetzt von einer anderen Seite her ansetzen.
Als ich kürzlich in Ägypten war, hatte ich ein längeres Gespräch mit einem koptischen Mönch in einem der Wüstenklöster. Er fragte mich ganz unvermittelt, woran man erkennen könne, wie weit man fortgeschritten ist auf dem Weg zur Vollkommenheit, zur Heiligkeit, also auf welcher Stufe man steht. Wir waren uns bald einig, dass das keine hilfreiche Frage ist. Denn:
Wenn ich meine, ich wäre schon auf einer hohen Stufe des geistlichen Weges, kann mir das in den Kopf steigen.
Wenn ich meine, ich sei noch gar nicht weit gekommen, kann es mich mutlos machen. Solche Überlegungen helfen nicht weiter….
Dann brachte dieser Mönch eine andere Idee ein und sagte: In unsrer koptischen Tradition gibt es eine große Sammlung von geistlichen Schriften: Lebensbeschreibungen der frühen Mönche, Spruchsammlungen der alten Väter und Mütter, Traktate über das Gebet usw. Die Sammlung all dieser Schriften heißt bei uns offiziell „Der Garten der Mönche“. Die hier versammelten Schriften sind wie ein weitläufiger Garten, in dem man spazieren gehen und immer Neues entdecken kann.
Darin lesen wir gern, sagte er, jeder kann dort finden, was er braucht, was ihm hilft. Du liest in einer dieser Schriften und es wird dir das Herz warm, weil dir die Liebe Gottes neu aufgeht. Oder beim Lesen wird dir plötzlich klar, dass du endlich wieder an deinen Schwächen weiterarbeiten musst und du findest auch gleich einige Anregungen dazu.
Dann wieder trifft dich ein Wort so sehr, dass du gar nicht weiterlesen kannst und einfach still sitzen bleibst und staunst.
Wenn du immer wieder in diesem „Garten der Mönche“ liest und darin gleichsam spazieren gehst, kannst du gar nicht steckenbleiben in deinem geistlichen Leben. Du wirst immer wieder neu angeregt oder aber aufgeweckt und aufgescheucht, dass du nicht einschläfst und schlaff wirst. Und – so fügte er hinzu – es sei geradezu tödlich für das geistliche Leben, wenn man das Umhergehen in diesem „Garten der Mönche“ vernachlässigt.
Am Schluss unseres Gespräches ging es dann nicht mehr ums „Heiligwerden“ oder um Stufen der Vollkommenheit, sondern darum, dass unser Glaube etwas Dynamisches ist, unser Weg zu Gott eine Entdeckungsreise – manchmal auch ein Abenteuer – wo immer wieder zu kämpfen und viel zu entdecken ist.
Soweit also dieser Mönch. Im Anschluss daran frage ich mich:
Was dieser „Garten der Mönche“ für die Kopten bedeutet, ist das nicht auch eine Erfahrung, die viele von uns Mönchen und viele von Ihnen hier auch kennen? Warum kommen denn so viele Menschen zu uns und ins Gästehaus und in die Liturgie? Ist das nicht auch so ein Umhergehen und Suchen und Entdecken?
In den letzten Wochen habe ich unsere Gäste oft sagen hören: „Endlich kann man wieder kommen und neu auftanken, neue Anregungen finden – in den Kursen, in der Liturgie, im Sprechzimmer, in der Buchhandlung…..“
Ja, unser Gästehaus, unsere Liturgie, unsre Schule, unser ganzes Klostergelände sind so etwas wie ein „Garten der Mönche“, – für uns selber und für unsere Gäste – ein Gelände, in dem man herumgehen und vieles entdecken kann, was hilfreich ist, inspirierend und auch immer wieder herausfordernd.
Wenn man sich auf diesen „Garten der Mönche“ einlässt – egal ob in Ägypten oder hier bei uns –, so sind wir auf einer Entdeckungsreise, einem Erfahrungsweg, auf dem das Herz immer weiter wird – wie der heilige Benedikt sagt.
Und es wird uns dabei viel aufgehen vom Geheimnis unseres Lebens, aber auch vom Geheimnis Gottes und von der Heiligkeit unseres Gottes. Vielleicht geht es ja gar nicht um meine Heiligkeit, sondern darum, dass mir die Heiligkeit Gottes aufgeht, Seine Schönheit, Seine überwältigende Gegenwart, dass Seine Heiligkeit aufstrahlt – in mir aufstrahlt und unter uns aufstrahlt, weil immer mehr Platz frei wird für IHN und Seine Gegenwart.
Es ist der Weg in eine große innere Befreiung, in die Freiheit Gottes hinein. Am Ende unseres Gesprächs gab mir der koptische Mönch noch das Wort eines Wüstenvaters mit auf den Weg: „Lass deinen Eifer nie erlöschen, er soll brennen bis zum Ende deines Lebens. Höre niemals auf, Feuer zu Feuer hinzuzufügen, Sehnsucht zu Sehnsucht….. Du hast deinen Fuß auf heiligen Boden gesetzt, geh weiter und kehre niemals um!“
Ein aufmunterndes/aufrüttelndes Wort: immer weitergehen, immer mehr entdecken vom Feuer und von der Heiligkeit Gottes, ein endloser Weg – bis ins hohe Alter – und weit darüber hinaus…..