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Predigten

Spur der Liebe und Barmherzigkeit

Predigt von Pater Anselm Grün OSB am 5. Sonntag im Jahreskreis, 7. Februar 2016, in der Abteikirche Münsterschwarzach zum Sonntagsevangelium Lukas 5,1-11

Jeder Mensch gräbt mit seinem Leben eine Spur in diese Welt ein. Viele freuen sich daran, ihre Lebensspur einzugraben. Doch viele Menschen haben das Gefühl, dass sie ihre Spur noch nicht gefunden haben. Andere haben sie wieder verloren oder sind aus der Spur geraten. Und dann fühlt sich das Leben schwer an. So wie ein Zug, der aus dem Gleis geraten ist, viel mehr Energie braucht, um weiter zu fahren. Die Frage ist, wie wir unsere Lebensspur finden.

Das heutige Evangelium zeigt, wie Petrus seine Lebensspur findet, wie er auf einmal einen neuen Sinn in seinem Leben erkennt. Es sind drei Erfahrungen, die den Petrus dahin führen, seine Lebensspur zu entdecken. Die erste Erfahrung: Er hört Jesu Predigt an. Er lässt die Worte Jesu in sein Herz fallen. Er fühlt sich von diesen Worten angesprochen. Und er kommt durch Jesu Worte in Berührung mit seiner eigenen Sehnsucht. Er spürt, dass sein Leben mehr ist als nur seine Arbeit zu verrichten. Die zweite Erfahrung: Jesus fordert ihn auf: "Fahr hinaus auf den See und werf deine Netze aus!" Petrus war ein erfahrener Fischer. Er hatte die ganze Nacht gefischt und nichts gefangen. Vielen geht es wie Petrus. Sie arbeiten viel, doch es kommt nichts dabei heraus. Ihre Arbeit ist oft vergeblich, weil sie nur aus ihrem Ego heraus arbeiten. Doch wir brauchen einen inneren Impuls. Petrus hört auf den Ruf Jesu. Er traut dieser Stimme Jesu. Jesu Stimme steht auch für unser wahres Selbst und für die inneren Impulse, die wir in der Stille von Gott her hören. Wenn wir aus unserer innersten Mitte heraus das tun, was wir tun, dann bringt es auf einmal Frucht.

Die dritte Erfahrung, die Petrus macht, ist das Wunder des reichen Fischfangs. Es ist ungewöhnlich, dass er uns seine Gefährten auf einmal soviel fangen, dass die Netze zu reißen drohten und ihr Boot fast unterging. Diese Erfahrung des Wunderbaren bewegt den Petrus, vor Jesus nieder zu fallen und zu sagen: "Herr, geh weg von mir. Ich bin ein Sünder." Petrus erkennt in der Begegnung mit Jesus seine eigene Menschlichkeit mit ihren Fehlern und Schwächen. Er begegnet sich selbst. Das geht uns auch so: Wenn wir etwas Heiliges erfahren, wenn wir fasziniert sind von etwas Großem und Heiligem, dann werden wir im Innersten berührt. Und wir erkennen unsere eigene Begrenztheit, wir erfahren uns wie Petrus als Menschen, die an sich selbst vorbeileben, die ihr Ziel verfehlen. Das meint das griechische Wort für Sünder: Ich verfehle mein Ziel. Ich lebe nicht so, wie es meinem Wesen entspricht. Das deutsche Wort Sünder kommt von "sondern". Sünder ist einer, der sich abgesondert hat von den Menschen, der sich innerlich getrennt hat von Gott und auch von seinem wahren Selbst. Er lebt seiner selbst entfremdet. Die Erfahrung Gottes, so sagen die Religionsphilosophen, hat immer zwei Aspekte: das Faszinierende und das Erschreckende: fascinosum et tremendum. Wenn mir Gott aufgeht, dann berührt mich das im Innersten. Es ist keine Angst, sondern ein Betroffensein der ganzen Existenz, eine tiefe innere Erschütterung. Ich kann nicht einfach mehr so bleiben wie bisher. Gott ist, so sagt der evangelische Theologe Paul Tillich, das, was uns unbedingt angeht. Dem inneren Anruf Gottes kann man sich nicht verweigern. Er geht uns unbedingt an.

In dieser Betroffenheit ist Petrus offen für das, was Jesus ihm zutraut: Fürchte dich nicht. Von jetzt an wirst du Menschen fangen. Menschenfänger hat heute eher einen negativen Beigeschmack. Es gibt Demagogen, die Menschen verführen oder die ihre Not ausnutzen und sie für ihre Zwecke einfangen. Doch das meint Jesus nicht: Menschen fangen heißt: sie für das Leben gewinnen und sie so zu verwandeln, dass sie für andere zur Nahrung und zum Genuß werden. Es geht darum, dass von uns etwas ausgeht, was andere nährt und was andern Lust am Leben schenkt. Ein deutsches Sprichwort heißt: Wenn du Menschen gewinnen willst, dann hänge dein Herz an die Angel. Es geht nicht, die Menschen für sich zu gewinnen, sondern indem ich ihnen mit offenem Herzen begegne, sie für ihre eigene Fruchtbarkeit zu gewinnen.

Petrus und seine Begleiter lassen ihre Boote und ihre Arbeit zurück und folgen Jesus nach. Sie haben ihre Lebensspur gefunden. Sie wissen jetzt, wofür sie leben sollen. Sie folgen ihrer inneren Stimme. In Gesprächen erfahre ich immer wieder, wie gerne die Menschen ihre Lebensspur erkennen und ihr dann folgen möchten. Aber sie hören nicht diese innere Stimme. Sie sind sich nicht klar, was sie wirklich wollen. Sie spüren eine innere Zerrissenheit. Sie sind unzufrieden, aber sie wissen nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen, was ihre Sendung ist. Auch für uns könnten die drei Erfahrungen des Petrus eine Hilfe sein, unsere Lebensspur zu finden. Wir sollten durch das Hören oder Lesen in Berührung kommen mit unserer eigenen Seele, mit dem, was unsere Seele wirklich will. Manch einer hat sich von einem Wort der Schrift so ansprechen lassen, dass er sein ganzes Leben geändert und verwandelt hat. Er hat durch das Wort der Bibel seine Spur erkannt und ist ihr konsequent gefolgt.

Und wir sollten offen sein für Menschen, die uns ansprechen, oder für die Situationen, die uns herausfordern, die uns einen Impuls geben, unser Leben neu in die Hand zu nehmen. Es gibt Situationen, die ein Ruf für uns sind. So ist es heute mit der Situation der Flüchtlinge. Viele Christen haben sich davon ansprechen lassen. Sie sind dem Anruf Jesu gefolgt und haben eine Spur der christlichen Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft in diese Welt eingegraben.

Und wir brauchen die Erfahrung von etwas, was uns im Innersten erschüttert und aufwühlt, was uns den Mut gibt, alles Hin und Her unserer Überlegungen aufzugeben und uns für einen Weg zu entscheiden. Unsere Lebensspur muss nicht unbedingt etwas Großartiges sein. Petrus folgt einfach dem nach, was ihn berührt hat. Erst nach und nach wächst er in seine Sendung hinein. Es genügt, erst einmal der inneren Stimme zu folgen, die mich einlädt, ganz im Augenblick zu sein, offen für die Begegnungen, eine Spur der Freundlichkeit und Barmherzigkeit, der Offenheit und Weite, des Friedens und der Liebe einzugraben in diese Welt. Allein durch unsere Ausstrahlung hinterlassen wir eine Spur in dieser Welt. In jeder Begegnung, in jedem Wort, in jedem freundlich Blick graben wir eine Spur ein in die Herzen der Menschen. Und vielleicht erkennen wir dann im richtigen Augenblick einen Auftrag, eine Sendung, die uns ruft, etwas Besonderes zu tun, etwas, was gerade jetzt von mir gefordert wird und wo von mir Segen ausgeht für die Menschen.

Wir feiern jetzt in der Eucharistie die Spur, die Jesus in diese Welt gegraben hat. Es ist eine Spur der Liebe und Barmherzigkeit, eine Spur, die die Welt bis heute verwandelt hat, an der keiner mehr unbeteiligt vorübergehen kann. Indem wir die Spur Jesu feiern, haben wir teil an seiner Spur, gräbt sich Jesu Spur auch in unser Herz ein, damit wir heute wie Jesus die Spur der Liebe und Barmherzigkeit in diese Welt eingraben, damit durch unsere Spuren diese Welt heller, menschlicher, wärmer und barmherziger wird. Amen.

Pater Anselm Grün OSB