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Predigten

Sein Geist lebt und ruft mich

Eine wegen Corona nicht gehaltene Predigt zum Evangelium vom Ostersonntag 2021 von P. Zacharias Heyes OSB, gehalten im Konventamt* am 18.04.2021

Am ersten Tag der Woche kam Maria von Mágdala
frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab
und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war.
2Da lief sie schnell zu Simon Petrus
und dem anderen Jünger, den Jesus liebte,
und sagte zu ihnen:
Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen
und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben.
3Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus
und kamen zum Grab;
4sie liefen beide zusammen,
aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus,
kam er als Erster ans Grab.
5Er beugte sich vor
und sah die Leinenbinden liegen,
ging jedoch nicht hinein.
6Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war,
und ging in das Grab hinein.
Er sah die Leinenbinden liegen
7und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte;
es lag aber nicht bei den Leinenbinden,
sondern zusammengebunden daneben
an einer besonderen Stelle.
8Da ging auch der andere Jünger,
der als Erster an das Grab gekommen war, hinein;
er sah und glaubte.
9Denn sie hatten noch nicht die Schrift verstanden,
dass er von den Toten auferstehen müsse.
10Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück.
11Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte.
Während sie weinte,
beugte sie sich in die Grabkammer hinein.
12Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen,
den einen dort, wo der Kopf,
den anderen dort,
wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten.
13Diese sagten zu ihr: Frau, warum weinst du?
Sie antwortete ihnen:
Sie haben meinen Herrn weggenommen
und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.
14Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um
und sah Jesus dastehen,
wusste aber nicht, dass es Jesus war.
15Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du?
Wen suchst du?
Sie meinte, es sei der Gärtner,
und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast,
sag mir, wohin du ihn gelegt hast!
Dann will ich ihn holen.
16Jesus sagte zu ihr: Maria!
Da wandte sie sich um
und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbúni!, das heißt: Meister.
17Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest;
denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen.
Geh aber zu meinen Brüdern
und sag ihnen:
Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater,
zu meinem Gott und eurem Gott.
18Maria von Mágdala kam zu den Jüngern
und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen.
Und sie berichtete,
was er ihr gesagt hatte.

Liebe (Schwestern und)  Brüder!

"Sie haben meinen Herrn weggenommen!"

Mit diesen Worten kommt die ganze Trauer der Maria Magdalena zum Ausdruck.  Diese ganze Trauer der Maria Magdalena ist eine zweifache Trauer. Nicht nur, dass ihr geliebter Meister Jesus gestorben ist, sondern man hat ihn auch noch aus dem Grab weg genommen. So sagt sie als sie das leere Grab entdeckt.

Wer trauert und Abschied von einem geliebten Menschen nehmen muss, braucht die Möglichkeit, dies persönlich zu tun. Er möchte den Verstorbenen noch einmal sehen, ihn noch einmal berühren, ihm ein letztes Wort auf die Reise in die andere Welt mitgeben oder ihm einen Segen auf die Stirn zeichnen. Damit macht der Trauernde für sich selbst das Geschehene begreifbar: Ja, dieser geliebte Mensch ist nicht mehr unter den Lebenden.

Diesen wichtigen Schritt der Trauerbewältigung durch die vorgesehene Salbung kann Maria Magdalena jetzt nicht mehr vollziehen.

Das Gefühl der Maria Magdalena – "man hat weggenommen" – kennzeichnet auch unser vergangenes Jahr. Es ist das zweite Osterfest mit Corona und im mehr oder weniger harten Lockdown. Und das erste Mal, dass wir in unserer Gemeinschaft unmittellbar von Corona betroffen sind durch unsere erkrankten Mitbrüder. Und was ist uns in diesem Jahr und im Lockdown nicht alles weggenommen worden?

Ich denke hier  zunächst an unsere persönlichen Freiheiten des Einander Begegnens. Ich weiß von  Großeltern, die zurzeit ihre Enkel gar nicht mehr bis selten sehen können und sehr darunter leiden. Ich denke an Familien, die nicht mehr als Familie zusammen kommen können, weil Eltern, Kinder und deren Partner zusammen die erlaubte Zahl überschreiten. Ich denke aber auch an uns hier, die wir gerade in den letzten beiden Wochen in einem "harten Lockdown" waren (keine gemeinsamen Gottesdienste mehr, keine gemeinsamen Mahlzeiten, Kontakte meist nur über Telefon, email, Kurznachrichten).

Aber ich denke auch, dass uns unser Glaube an die Gesundheit weg genommen worden ist und der Glaube daran, dass wir alles unter Kontrolle haben können. Da kommt ein kleiner Virus und hebt die ganze Welt aus den Angeln. Jeden kann es treffen – wir haben es erlebt. Und wie schnell ist dann alles anders und das ganze Leben auf den Kopf gestellt. Und die bundesweite Inzidienz steigt, die Maßnahmen scheinen noch nicht zu greifen.

Weg genommen worden ist vielen auch ihr Vertrauen in die Politik, in die Impfstrategie der Regierung. Br. Ansgar hat in seinem öffentlichen Bericht über die Schwierigkeit im Umgang mit den lokalen politischen Behörden geschrieben.  

Ich  denke aber auch an die Kirche. Vielen Menschen ist die Möglichkeit genommen worden, Präsenzgottesdienste besuchen zu können. Bis heute. Oder sie besuchen diese nicht aus Furcht vor Ansteckung.

In dieser schwierigen Zeit fragen sich viele, wie es denn jetzt überhaupt weitergehen  wird. Und wie es mit der Kirche weitergehen wird!  Viele haben Angst!

Hinzu kommt, dass vielen neben dem Vertrauen in den Staat, in die Gesundheit gerade in den letzten Wochen auch noch das Vertrauen in die Kirche genommen worden ist. Ihnen ist der Glaube genommen worden, dass Kirche etwas mit den Menschen und ihrer Lebensrealität zu tun habe.

Nur am Rande nenne ich hier das "Nein" aus Rom für die Segnung von homosexuellen Partnerschaften, und das Gutachten zum Missbrauch in der Erzdiözese Köln, in dem deutlich wurde, dass hohe Würdenträger sich fehl verhalten haben und mehr wussten als bisher immer gesagt worden ist.

Auch Maria Magdalena ist Vertrauen und Glaube verloren gegangen. Der, dem sie geglaubt und vertraut hat, ist tot! Und sie weiß nicht, wo ihr Herr, ihr Geliebter, ihr Meister jetzt ist. Was aus ihm geworden ist. So wissen auch wir nicht, wie unser Leben sich weiter entwickelt, wie es nach Corona sein wird. Wann und ob es wieder „normal“ sein wird. Sehr wahrscheinlich wird nach Corona keiner von uns einfach in das "früher" zurückschalten. Keiner von uns weiß zum gegenwärtigen Zeitpunkt wie die Corona-Krise und die Kirchenkrise uns langfristig verändern wird.

Der so vermisste Geliebte begegnet Maria Magdalena am Grab in neuer, anderer Gestalt. Und als sie ihn erkennt, sagt er zu ihr: "Halte mich nicht fest!" Nichts – und das wissen wir eigentlich - können wir festhalten! Keine Gestalt – weder die von Politik, noch von Kirche, noch die Gestalt unseres Glaubens.

Gott ist in allem der Lebendige und der sich Wandelnde. Das ist die Mitte unseres Glaubens: die Wandlung. In jeder Messe feiern wir die Verwandlung unseres Lebens – symbolisiert in Brot und Wein – in die Gestalt Jesu Christi.

Vieles hat sich jetzt in der Pandemie und Krise schon gewandelt und ist neu geworden. Ordensgemeinschaften, die nicht mehr täglich Eucharistie feiern können und neue Gebetsformen stattdessen eingeführt haben, machen darin tiefe neue Erfahrungen der Gegenwart des Auferstandenen. Menschen, die sich in kleinen Gruppen treffen und gemeinsam im Livestream Gottesdienste mitfeiern, erleben sich auf einmal als Hausgemeinde und machen die Erfahrung, dass Gott in ihrer Mitte ist. Und das sagen uns Pastoraltheologen nicht erst seit Corona: Kleine Hausgemeinden, in denen Menschen sich treffen, von Jesus erzählen und das Brot in Erinnerung an ihn brechen und teilen, sind die Zukunft der Kirche. Sie sind die Orte, von denen Erneuerung der Kirche ausgeht – so wie es auch am Anfang gewesen ist. Dabei ist es auch schwer vorstellbar, dass bei diesen kleinen Versammlungen um den livestream, Brot und Wein nicht gesegnet sind, wenn doch auch der "urbi et orbi Segen" des Papstes durch  den Fernseher gültig ist!

Was auf jeden Fall deutlich wird, ist: Der einzelne Getaufte hat jetzt in dieser Zeit mehr Verantwortung für die Gesellschaft und Kirche. Und ist in dieser seiner Verantwortung gefragt! Jeder Getaufte ist doch in seiner Taufe gesalbt worden zum Priester, zur Priesterin. Und trägt damit die Vollmacht in sich, in der Geistkraft über seinen Lebensweg und dessen Gestaltung zu entscheiden.

Bernd Deininger, Psychologe und Theologe, hat kürzlich in der ZEIT ein Interview gegeben. Darin sagt er u.a., dass jetzt viele die Verantwortung auf "Mutti", gemeint ist die Bundeskanzlerin Angela Merkel, schieben würden. Und wenn man jetzt nicht shoppen oder ins Cafe gehen könne, rege man sich auf und verhalte sich wie ein kleines Kind, dem man das Spielzeug weg genommen hat. Er plädiert entschieden für die Verantwortung jedes Einzelnen und dafür, unserem Glauben zu vertrauen, der uns sagt, dass unser Leben – auch in der Krise - Sinn macht und Sinn hat. (vgl. DIE ZEIT, 31.03.2021, S.66)

Mir tut es gut zu spüren, wie viele jetzt die Verantwortung zu sich nehmen und ihren Lebens- und Glaubensweg selbst in die Hand nehmen. Es macht mir Hoffnung, wie viele aufgestanden sind und aufstehen, sich engagieren im Wandlungsprozess der Kirche, ihre Meinung sagen und für das Leben und die Liebe eintreten.

Und wir haben es in den letzten Wochen – gerade als unsere Brüder erkrankt sind – gespürt, wie wichtig es ist dass wir Verantwortung füreinander übernehmen, die Regeln einhalten und füreinander sorgen; und uns auch darum sorgen, dass unser Vertrauen in den lebendigen Gott nicht verloren geht; unser Vertrauen in das Leben - auch über den Tod hinaus.

Maria Magdalena wird heute zur ersten Auferstehungszeugin. Sie ist die große Liebende, die zu seinen Lebzeiten das kostbare Öl auf die Füße Jesu vergossen hat. Und  sich getraut hat, Jesus ganz nahe zu kommen und ihm ihre Liebe zu zeigen, indem sie mit ihrem Haar die Füße trocknet (vgl. Lk 7,37ff). In ihrer Liebe zu ihm ist sie zum Grab gegangen. Um noch einmal ihre Zuwendung zu zeigen. Und die Situation wandelt sich. ER zeigt ihr SEINE Zuwendung. Als ER sie beim Namen ruft, liegt darin die ganze Zuwendung des Auferstandenen. Mit diesem Ruf wird Maria Magdalena das, was sie bis heute ist - die Apostelin der Apostel. Was das bedeutet für Kirche und die Frauenfrage – dafür ist heute und nicht der richtige Ort und nicht die richtige Zeit, es zu erörtern.

Es ist aber Zeit – denke ich – zu sagen und zu erinnern: Jeder von uns hat den Auftrag Jesu, Auferstehung weiter zu sagen, Liebe weiter zu sagen, Wandlung weiter zu sagen! Auch wenn er verunsichert und manchen Angst macht, die gerne das Bisherige bewahren möchten, weil es ihnen Halt und Orientierung war: Wandel geschieht!

Das Entscheidende – vor jeder Lehre, vor jedem Dogma – ist: Ich bin, du bist Auferstehungszeuge und Auferstandener; berufen zu vollem Leben in der Liebe und in der Kraft des Geistes. Im Vertrauen auf den LEBENDIGEN! Auch wenn Kirche und Gesellschaft  so wie wir sie jetzt kennen, stirbt - um sich zu wandeln!

Wenn nicht wir, liebe Brüder -  die wir bei unserer Profess uns hier im Altarraum lang ausgestreckt auf den Boden gelegt haben, um uns ganz zu geben und die dann gehört haben: Steh auf der du schläfst von den Toten und Christus wird dein Licht sein! – sollen Zeugnis geben von der Kraft des Wandels und der Auferstehung, von der Kraft neuen Lebens!

Es geht um DEN Lebendigen. Und SEIN Geist wirkt, lebt und ruft! Dich und mich! Zur Auferstehung! Halleluja! Amen!

P. Zacharias Heyes OSB, Ostern 2021

* das Konventamt war unter Ausschluss der Öffentlichkeit