O sapientia - Zum Auftakt der O-Antiphonen
Mit dem 17. Dezember beginnen die O-Antiphonen. Zum Start hat P. Placidus Berger etwas zusammengestellt.
Eine Woche vor Weihnachten wird täglich in der Vesper jeweils eine Antiphon mit "O" beginnend gesungen. Sie sollen besonders auf Weihnachten vorbereiten und die Sehnsucht nach der Ankunft Jesu symbolosieren. Die sieben Anrufungen entstammen dem Alten Testament und beziehen sich auf Christus selbst. Sie lauten:
- O Sapientia (Weisheit)
- O Adonai (Herr)
- O radix Jesse (Wurzel Jesse)
- O Clavis David (Schlüssel Davids)
- O Oriens (Morgenstern)
- O Rex gentium (König der Völker)
- O Emmanuel (Immanuel)
Über die Weisheitsliteratur
Die Weisheitsliteratur des AT ist natürlich nicht die von Paulus in 1 Kor 18-25 gemeinte weltliche Weisheit wenn er sagt:
"Das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. Es heißt nämlich in der Schrift: Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen und die Klugheit der Klugen verschwinden."
Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloss Gott, alle die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus den Gekreuzigten.“
Es gibt also nach Paulus auch eine Weisheit Gottes und die ist genau das Gegenteil der weltlichen Weisheit, nämlich die Torheit des Kreuzes und deren Verkündigung. Interessant ist, dass er die von ihm abgelehnte Weisheit den Griechen zuordnet, wohl weil bei denen auch kritische Philosophen mitgeredet haben, welche seine Verkündigung als Torheit bezeichneten.
Die Weisheit in Israel steht in der Mitte. Einerseits eine weltliche Sammlung von Weisheits-Einsichten und Sprüchen, andrerseits bisweilen auf Jahwe bezogen.
Früher dachte man noch, die Weisheitsliteratur sei eine Spät-Erscheinung der israelischen Theologie. Nachdem nun keine so großen Heilsereignisse wie beim Auszug aus Ägypten und der Landnahme Palästinas mehr vorkamen, habe man sich im Denken mehr auf den Schöpfergott und seine zu bewundernde Natur besonnen, wozu eben auch die geistige Seite des Menschen gehört. Naturfrömmigkeit und zwischenmenschliche Beziehungen seien in den Vordergrund getreten. Dies gilt aber bestenfalls für die spätere Weisheitsliteratur, nicht für die früheren Phasen. Dazu schrieb Gerhardvon Rad: „Die Annahme, die Weisheit sei ein religiöses Phänomen des nach-exilischen Israel, erwies sich als völlig irrig. Weisheit … war ein gemein-orientalisches Phänomen, ein Kulturgut, bei dem Israel in einem hohen Maße der empfangende und nicht der gebende Teil war.“[1]
Die Bücher werden gern dem König Salomo zugeschrieben. Realistisch dabei ist lediglich, dass Weisheitslehrer vor allem am Königshof zu finden waren, wo sie auch die Ausbildung der Beamten innehatten. Eine Art Schulphilosophie, die nicht zuletzt der Charakterbildung dienen sollte. Ansonsten sind die früheren Bücher voll von volkstümlichen Spruch-Sammlungen, also vom Volk aufgelesen.
Man kann die Weisheit ohne weiteres eine Philosophie nennen, die allerdings einen nicht sehr starken Einfluss auch des Jahwe-Glaubens aufgenommen hat. Man beachte, dass das Wort "Philosoph" Freund der Weisheit bedeutet. Es kommt von philos der Freund und sophia die Weisheit. Dies zeigen auch die Einflüsse aus Weisheitslehren, d.h. der Philosophie der umgebenden Völker. Nach Von Rad spricht sich darin eine „dezidiert aufklärerische Geistigkeit aus. Die Weisheitslehrer waren sich der Ambivalenz ihrer Erkenntnisse bewusst: Alles hat seine zwei Seiten. Je nachdem von welcher Seite man es sieht, kann es als nützlich oder als gefährlich gesehen werden. Das sieht man am deutlichsten bei den Schriften der skeptischen Denker.
Im Unterschied zu den Geschichts- und prophetischen Teilen des AT stehen, nach dem ersten Eindruck, nicht Gott, sondern der Mensch und sein Verhalten im Mittelpunkt sowie Einsichten aus der Beobachtung der Natur, die auf das Ergehen des Menschen Auswirkungen haben. Gott ist dabei nicht ausgeschaltet, er kommt zusammen mit seiner Schöpfung zur Geltung. Aber die außerhalb der Weisheitsliteratur wichtigen Heilsgrößen Kultus, Bund, Gericht, Erwählung usw. treten ganz zurück… Im Zentrum steht die Frage nach dem rechten Verhalten, das im Einklang mit der Weltordnung und damit mit Gott steht… Dazu gehören Beobachtungen und Einsichten zum Alltagsleben (Landwirtschaft, Familie, Erziehung, Rolle der Frau), der Erfahrung von Freude und Leid, Leben und Tod, Reden und Schweigen, Klugheit und Torheit, Armut und Reichtum, Faulheit und Fleiß. Stillschweigende Voraussetzung solcher Einsichten ist der sog. Tun-Ergehen-Zusammenhang: Der Mensch erntet, was er gesät hat.
Man könnte die Weisheitslehrer auch als die Gelehrten und Intellektuellen betrachten. In Kohelet, das ja auch zur Weisheitsliteratur zählt, wird der Weise „der Gebildete“ genannt und Kohelet sagt: "Der Gebildete hat Augen im Kopf, der Ungebildete tappt im Dunkeln. Aber ich erkannte auch: Beide trifft ein und dasselbe Geschick"(Koh 2,14).
Buch der Weisheit
Die Entstehungszeit liegt ungefähr bei 30 v.Chr., als Octavianus (der spätere Augustus) als Militär-Befehlshaber in Ägypten war, um Ordnung zu schaffen. Dahin weisen auch die häufig angesprochenen "Könige, Gebieter der ganzen Welt und Herrscher der Erde". Obwohl diese Anrede eine literarische Fiktion ist (denn der Verfasser konnte nicht damit rechnen, dass sein Buch von diesen gelesen würde), können sie doch einen Hinweise geben auf die Zeit der Abfassung. Als konkrete historische Figuren kämen in Frage die letzten Herrscher der Ptolemäer mit Kleopatra als Abschluss, dann die römischen Feldherren Caesar und Antonius, und schließlich Octavianus. Wenn der Verfasser im 6. Kap. die „Gebieter der ganzen Welt“ anspricht und die "Herrscher der Massen", dann hat er vielleicht auch die römischen Kaiser im Auge. Denn nach Kleopatra wurde Ägypten römische Provinz. Möglicherweise wird man sagen können, dass es bereits in den Anfängen der römischen Kaiserzeit geschrieben wurde. Es war aber auf jeden Fall noch die hellenistische Zeit. Daher die hellenistischen Einflüsse.
Man stellt im Buch der Weisheit ein relatives Desinteresse am Kult fest, was auch ein Urteil über den Kult sein kann. Erwähnt werden lediglich das Dankgebet vor Sonnenaufgang und die Pascha-Liturgie. Erwähnt werden auch Gebet, Räucheropfer und Kleidung des Hohenpriesters Aaron. Im großen 13 Kapitel findet sich eine lange Verwerfung des Götzendienstes d.h. der Mysterienkulte. Es beginnt mit verschiedenen Gottesbeweisen. Dabei werden Ausdrücke verwendet, die aus der griechischen Philosophie stammen können, wie dynamis und energeia. Kindermörderische Festbräuche werden zwar verurteilt, aber andere Opfer werden nicht erwähnt. Bei der Erörterung der ägyptischen Plagen im 16. Kapitel wird auch die strafende Funktion von Tieren betrachtet, aber von Tieropfern ist keine Rede. Das alte Theologumenon über das Gott-angenehme Opfer von Tieren scheint kein Problem mehr zu sein.
Auf den hellenistischen Kulturkreis Ägyptens, speziell Alexandriens, weisen im Einzelnen die Betrachtung der Welt als eines Kosmos (13,3.5.7), das Verständnis für die von den Griechen gepflegten bildenden Künste (14,19.20), die Kenntnis der von den Griechen hochgeschätzten Wissenschaften (7,17-20); die Vertrautheit mit den gymnastischen Kämpfen der Griechen (10,12c), die Betrachtung der Welt unter dem Gesichtspunkt der Schönheit und die Betrachtung Gottes als des Urprinzips des Schönen (13,3.7), der Gebrauch von Termini aus der griechischen Philosophie wie das "alles Umfassende."
Ein besonders wichtiges Beispiel ist Weisheit 1,7, denn es wird in der Liturgie als Introitus des Pfingstfestes gebraucht: "Spiritus Domini replevit orbem terrarum et ipse qui continet omnia scientiam habet vocis - Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis und er, der alles zusammenhält, kennt jeden Laut."
Der Verfasser des Weisheitsbuches hat keine Schwierigkeit hellenistisch und biblisch zu mischen: "Auf einer phantastischen Bühne… lässt er den weisen Salomo die eigene Praxis und die in betender Geschichtsbetrachtung gewonnenen Erkenntnisse anführen. Dabei spricht Salomo in biblischen Wendungen und zugleich in rhetorischen Figuren, Begriffen und Schlagworten der hellenistischen Gegenwart."
"Das Buch der Weisheit ist eine Empfehlungs- und Werbeschrift (logos protreptikós) für die ‚Gerechtigkeit‘ (dikaiosyne). Es knüpft darin an einen Idealbegriff seiner ‚modernen‘, ägyptisch-hellenistischen Umwelt an, der viel diskutiert wurde. Kultur, Bildungsgut, Religion und Wertesystem dieser Umwelt wirkten sicher auch auf junge Juden faszinierend. ‚Gerechtigkeit‘ war aber zugleich ein theologischer Zentralbegriff der jüdischen heiligen Schriften und der überlieferten Lehre. Das Buch möchte jungen, in ihrer Tradition und Identität verunsicherten Juden zeigen, dass die ‚modernen‘ Werte sich ungetrübter und sogar umfassender schon in der eigenen Überlieferung finden."
In der Spätzeit wurde die Weisheit mit der Thora identifiziert, d.h. in der Thora offenbart sich die größte Weisheit Israels und diese ist den Weisheits-Vorstellungen der Nachbarvölker überlegen. Diese Überlegung soll den jungen Juden in der Diaspora helfen, die eigene Tradition hochzuschätzen und sich nicht allzu sehr von den hellenistischen Lehren beeindrucken zu lassen. Eine Identifizierung von Tora und Sophia findet man auch im Deuteronomium 4,5-8: "Hiermit lehre ich euch, wie es mir der Herr, mein Gott, aufgetragen hat, Gesetze und Rechtsvorschriften. Denn darin bestehen eure Weisheit und eure Bildung in den Augen der Völker. Wenn sie dieses Gesetzeswerk kennenlernen, müssen sie sagen: In der Tat, diese große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. Denn welche große Nation hätte Götter, die ihr so nah sind, wie Jahwe, unser Gott, uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen? Oder welche große Nation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, die so gerecht sind wie alles in dieser Weisung, die ich euch heute vorlege."
Zusammengestellt von P. Placidus Berger OSB