Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen
Liebe Schwestern und Brüder,
seit ich weiß, dass ich heute hier über die 4. Strophe des Liedes von Dieter Trautwein „Komm, Herr, segne uns“ predigen soll und ich mir dieses Lied im Gotteslob angeschaut und dann auch vorgesungen habe, geht es mir wie ein Ohrwurm nicht mehr aus dem Kopf. Ein Lied, das in uns zu summen beginnt und zugleich den Text transportiert. „Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen / sondern überall uns zu dir bekennen. / Nie sind wir allein, stets sind wir die Deinen / Lachen oder Weinen wird gesegnet sein.“
Der Text scheint zunächst schlicht und einfach zu sein. Er geht genauso ins Ohr wie die Melodie. Wenn man aber genau hinschaut, gewinnt er Tiefe und es kann einem viel zu diesen Zeilen einfallen.
„Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen.“
Da fällt mir die berühmte Szene aus dem Johannes-Evangelium ein, bei der Jesus während des Abendmahls in einer langen Abschiedsrede zu seinen Jüngern spricht und diese mit dem Gebet zum Vater beschließt. Er vertraut die Seinen seinem Abba-Vater an, dem „geliebten Papa“, wie man das wörtlich übersetzen müsste, und er bittet darum, dass seine JüngerInnen durch alle Generationen „eins sein“ sollen: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,21).
Es ist sozusagen Jesu letzter Wille auf Erden, sein Testament, die Einheit der Seinen und wenn er jetzt – schon in Todesahnung – zum Vater betet, hat diese Bitte größtes Gewicht. Man könnte das Neue Testament, das wir ja sehr bewusst „Testament“ nennen, auf diese Bitte konzentrieren. Die Welt soll glauben, d.h. sie soll Gott und seiner Botschaft vertrauen lernen, aufgrund der Einheit der JüngerInnen Jesu.
Was haben wir Christen eigentlich daraus gemacht?
Wenn wir den Rückblick in die letzten Jahrhunderte wagen, angefangen von der Kirchenspaltung zwischen Ost- und Westkirche mit den Folgen von Kirchenbann, gegenseitiger Verurteilung und einer hasserfüllten Zerstörung Konstantinopels im Zuge des vierten Kreuzzugs im 12. Jh.; wenn wir an die Spaltung der westlichen Christenheit in der Folge der Reformation mit den kriegerischen Auseinandersetzungen des Schmalkaldischen Krieges und des dramatischen Dreißigjährigen Krieges erinnern; wenn wir uns die Ausweisungen und Vertreibungen und die späteren theologischen Verurteilungen und wechselseitigen Ausgrenzungen bis weit ins 20. Jh. hinein vor Augen führen, dann müsste es uns bis heute regelrecht schlecht werden. Christen haben sich aneinander versündigt, haben einander gehasst, erschlagen und ermordet. Es sind Vergehen gegen die Menschlichkeit, aber auch gegen den Geist Jesu und sein Testament, eins zu sein, wie Jesus mit dem Vater eins ist (vgl. Joh 17,22). Das wäre unser Auftrag gewesen!
Auf diesen zerreißenden uns spaltenden Vorgehensweisen lag sicher kein Segen. „Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen“, müssten man angesichts dieser Schande umformulieren: „Komm, Herr, segne uns, dass wir Wunden heilen und uns miteinander verbinden!“
Gottlob wirkt zuweilen der Hl. Geist sehr spürbar. Mit seiner „Graswurzelrevolution“ hat er die Kirchen von innen her neu erfüllt, sodass sie erkannten: Es braucht eine neue Einheit, es braucht das Aufeinander-zu, es brauchte die ökumenische Bewegung. Seit 1910, seit der Weltmissions-Konferenz in Edinburgh, versuchte man es zwischen den evangelischen Kirchen weltweit. Auch orthodoxe und katholische Christen ließen sich von diesem ökumenischen Geist „anstecken“. Seit dem II. Vatikanischen Konzil und seinem Ökumene-Dekret stand auch für die katholische Kirche eindeutig fest, dass „unter der Einwirkung der Gnade des Hl. Geistes eine sich von Tag zu Tag ausbreitende Bewegung zur Wiederherstellung der Einheit aller Christen entstanden“ ist (UR 1). So das Konzil wörtlich.
Seither sind immer mehr Kirchen ins Boot der Ökumene gestiegen. In der kath. Kirche gehört die Ökumene seither zu den „Wesensaufgaben“ und die Dialoge mit nahezu allen christlichen Kirchen laufen seit 50 Jahren sehr gut.
„Komm, Herr, segne uns“, damit wir uns „überall…zu dir bekennen.“ Diese Textzeile entspricht der Ökumene der Gegenwart.
Wir haben es gelernt, mühsam gelernt, aber auch erfolgreich, dass die Dialoge mehr und mehr zu Zeugnissen des gemeinsamen Bekenntnisses wurden. Ich kann hier nicht die verschiedensten Dialogpapiere vorstellen, aber das vorläufige Zwischenergebnis ist klar und im letzten Dokument zwischen dem Lutherischen Weltbund und dem Vatikan so betitelt „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“. Das ist eine Zielvorgabe!
Man hat darin 2013 ein „gemeinsames Reformationsgedenken“ vereinbart, das in diesem Gedenkjahr an vielen Orten als gemeinsames „Christus-Fest“ gefeiert wird. Papst Franziskus hat mit Bischof Younan, dem Präsidenten des Luth. Weltbundes, das gemeinsame Gedenken im schwedischen Lund mit einem feierlichen ökumenischen Gottesdienst eröffnet. Vor 14 Tagen haben der EKD-Ratsvorsitzende Landesbischof Bedford-Strohm und Kard. Marx ein Gleiches getan. Kard. Marx sagte dabei: „Das Reformationsgedenken soll ein neuer Anfang sein für einen Weg, der uns als Kirchen nicht mehr voneinander trennt, sondern zusammenführt.“
In Kitzingen folgten einen Tag später Bischof Friedhelm und Regionalbischöfin Bornowski diesem Aufruf. Es geht um Versöhnung, um ein gemeinsames Erinnern, damit frühere Wunden endgültig heilen, und um den Dank für den gelungenen Dialog der letzten 50 Jahre. Mit der geistgewirkten Kraft der Versöhnung können wir sehr gut Christus gemeinsam bekennen. Er selbst segnet uns zu diesem Bekenntnis.
Ich habe den Eindruck, dass wir besonders in diesem Jahr überall spüren können, dass wir auf diesem guten Weg nicht allein sind: „Nie sind wir allein, stets sind wir die Deinen.“ Im gemeinsamen Bekenntnis unseres Glaubens an den dreieinen Gott erfahren wir, dass die göttliche Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist sich auf uns überträgt.
In seinen Abschiedsreden bei Johannes verheißt Jesus den Hl. Geist für die Seinen: „Der Beistand … den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe“ (Joh 14,26). Zurzeit erinnert er uns an die Einheit, dass wir nicht allein sind, wenn wir die Seinen sind. Gottes Geist geht unsere Wege mit, wenn wir gemeinsam voranschreiten.
Das ist eine Erfahrung der letzten 50 Jahre.Der Dialog entsteht beim Gehen, die gemeinsamen Vereinbarungen auch, genauso wie die Ökumene des Lebens in der Praxis. Wir erleben, dass die göttliche Gemeinschaft sich bei uns fortsetzen kann.
Deshalb ist auch unsere Emotionalität gefordert. Ich erlebe persönlich in meinem Dienst als Ökumenereferent der Diözese Würzburg immer wieder sehr viel Herzlichkeit und Wohlwollen bei den ökumenischen Begegnungen. Viele Theologen, Kirchenräte, BischöfInnen und andere sind mir zu Freunden geworden. Es ist ein Weg der Freundschaft – konkret der Freundschaft in Christus – der uns trägt und uns anspornt, weiter voran zu gehen.
Mein erster evang.-luth. Kollege, mit dem ich eng zusammenarbeitete, sagte mir als ich noch neu im Amt war: „Petro, Ökumene ist mindestens zu 50% Beziehungsarbeit.“ Wenn man das weiß, kann man das gut umsetzen. Und da gehört dann auch das „Lachen oder Weinen“ dazu, das sich Öffnen füreinander – es ist gesegnet.
Die Einheit der Kirche, liebe Schwestern und Brüder, ist keine Utopie. Sie wächst auf verschiedenen Ebenen: Durch die theologischen Dialoge, durch die freundschaftlichen Begegnungen, durch miteinander gelebte Nächstenliebe, vor allem aber im Gebet, denn das Gebet um Einheit, die „geistliche Ökumene“, so sagt es das Konzil, ist „die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung“ (UR 8).
Unser Lied ist ein gesungenes Gebet, es bittet um den Segen und fordert uns zugleich auf, ernst zu machen, Ökumene zu leben – in allen Lebenslagen. Der Satz von Frére Roger, dem Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé, der im Gotteslob unter dem Liedtext abgedruckt ist, passt da 100%ig dazu:
„Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast. Und wenn es noch so wenig ist. Aber lebe es.“
Evangelium leben – das geht, wenn es in diese Welt hineinwirken will, heutzutage nur noch ökumenisch.
„Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen“, sondern immer mehr zusammenwachsen in deinem Namen. Amen.
Petro Müller