"Ich werde immer für euch da sein"
Predigt von Abt Michael Reepen OSB am Gründonnerstag.
Der jugendliche Motorradfahrer, der auf einer Spritztour tödlich verunglückt ist. Die Frau, die von ihrem Mann nach 20 Ehejahren ohne Vorwarnung über Nacht verlassen wurde. Die 13 Migranten, davon sechs Kinder und sechs Frauen, die vor einer Woche beim Überqueren des Mittelmeeres ertrunken sind. Die ukrainische Mutter, die ihren im Krieg erschossenen Sohn im Garten vergräbt und aufpassen muss, dass die hungrigen Hunde den Leichnam nicht ausbuddeln.
Liebe Schwestern und Brüder!
Es gibt Situationen, die uns die Sprache verschlagen. Wo wir einfach nichts mehr sagen können, wenn wir es hören, geschweige denn, wenn wir es selber erleben. Und jeder von uns kennt solche Situationen, solche Grenzsituationen: Situationen, die uns verzweifeln lassen, Ausweglosigkeit und Ohnmacht eine bittere Enttäuschung hinterlassen, Schmerz, Trauer, aber auch Wut und Zorn.
In solchen Situationen helfen oft keine Trostworte, keine gut gemeinten Ratschläge. Sie können die Erschütterung und die Fassungslosigkeit, die Trauer und Wut, die uns überkommen, nicht angemessen erfassen und nicht lindern.
Oft ist das Einzige einfach nur die mitfühlende Verbundenheit, die Nähe und Zuneigung eines Menschen, der einfach da ist. Einfach die Präsenz eines Menschen. Der zwar nichts ändern kann, aber der das Gefühl von Gegenwart, von Präsenz, von Nähe gibt.
Als sich das Volk Israel in einer derart ausweglosen Notlage befand, dass es eigentlich nichts mehr zu verlieren hatte, bricht es mit dem Mut der Verzweiflung in einer waghalsigen Nacht-und-Nebel-Aktion auf, lässt alles hinter sich, riskiert alles.
Die einzige Sicherheit, die es hat, ist dieses Gefühl der begleitenden Nähe Gottes, dieser geheimnisvollen Gegenwart Gottes, der sich ihnen mit dem Namen vorgestellt hat: „Ich bin der, der immer für euch da ist“.
Mit diesem nackten Vertrauen brechen sie mitten in der Nacht auf. Und mit diesem Vertrauen auf den mitgehenden Gott gelang der Exodus, der Auszug aus der pharaonischen Knechtschaft.
Seither feiert das Volk Israel jährlich im Passah-Mahl diese Befreiung.
Es erinnert sich immer wieder an diese Befreiung aus der Gefangenschaft – die Bewältigung der Grenzsituation ihres Weges, den Ausbruch aus der Unterdrückung und Entfremdung, aus der todbringenden Unfreiheit.
Jesus feiert jetzt heute Abend mit seinen Jüngern dieses Passah-Mahl, das sie alle erinnert an den Auszug aus Ägypten.
Er selbst ist jetzt in einer persönlichen Grenzsituation. Er ist zutiefst erschüttert, er leidet unaussprechliche Trauer, Enttäuschung, Verlassenheit, Ohnmacht und Todesangst.
Er ist in einer ganz ähnlichen Situation wie damals das Volk Israel. Und auch er kann nur vertrauen, dass sein Vater da ist.
Aber selbst dieses Vertrauen schwindet ihm am Schluss noch dahin, wenn er am Kreuz ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Selbst das muss noch losgelassen werden, um ganz in die Arme Gottes fallen zu können – die radikale Verlassenheit.
Über den Jüngern hängt ein Schleier der Wehmut, der Verlegenheit, des Abschiedsschmerzes, des Nicht-verstehen-Könnens und auch des Nicht-wahrhaben-Wollens an diesem Abend des Gründonnerstags
Sie können die Situation nicht richtig einordnen, verstehen nicht, was denn das alles meint und versuchen, irgendwie damit umzugehen.
Jesus geht durch die Katastrophe und jeder und jede von seinen Jüngern auf seine und ihre Weise. Erst am frühen Morgen des ersten Wochentages und in Emmaus und am See erkennen und verstehen sie.
Was Jesus an diesem Abend seinen Jüngern gibt ist seine Nähe Ich werde immer für euch da sein
„Das ist mein Leib!“,
„Das ist mein Blut!“,
„Nehmt und esst – werdet eins mit mir!“,
Es gibt keine größere Nähe.
„Tut dies zu meinem Gedächtnis!“,
Und er gibt ihnen noch ein anderes Zeichen seiner Liebe und seiner Nähe: Er steht vom Mahl auf zieht das Obergewand aus, bindet sich ein Leinentuch um, gießt Wasser in eine Schüssel und beginnt ihnen die Füße zu waschen.
Die Jünger, und besonders Petrus, verstehen überhaupt nicht, was da geht.
Und Jesus sagt zu ihm: „Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.“ Es geht darum, Anteil zu haben an Jesus; Anteil an seinem Leiden und Tod und Anteil an seiner Auferstehung.
Auch wenn wir uns manchmal wünschen, dass Gott ganz aktiv einmal dreinschlägt, dem sinnlosen Leid, der Ungerechtigkeit, der Bosheit – gerade in diesem Krieg und in der Welt – ein Ende macht, zeigt Jesus heute Abend eine völlig andere Haltung. Er rüstet nicht auf. Er liefert keine Waffen. Sondern er liefert sich selbst aus. -
In diesem Mahl und im Zeichen der Fußwaschung will er uns die Kraft geben, dass auch wir so handeln wie er; immer mehr so handeln wie er – auch wenn uns das so verwirrt wie die Jünger.
Waschen wir nun einander die Füße, weil er es an uns tut und halten wir Mahl zu seinem Gedächtnis!