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Predigten

Eigentlich ist Gott längst schon „da draußen“

Fastenpredigt von Dr. Ursula Silber in der Abtei Münsterschwarzach am 25. Februar zum Thema: „Heute Kirche sein. Macht die Türen der Kirche welt-weit!“ - Jetzt auch als Video

Schriftlesung: Offb 3, 7f.13
„An den Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: So spricht der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat, der öffnet, und niemand wird schließen, der schließt und niemand wird öffnen: Ich kenne deine Taten, siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.“ (EÜ 2016)

“An vielen Kirchentüren lese ich jetzt im Winter den Hinweis:
„Bitte geschlossen halten, Kirche wird geheizt!“
Ökologisch ist das sinnvoll. Und finanziell auch. Schließlich soll es im Raum angenehm sein, aber dazu muss die Wärme eben auch drinnen bleiben können!

„Bitte geschlossen halten“ - im übertragenen Sinn kann das aber auch bedeuten:
Zwischen „drinnen“ und „draußen“ soll eine strikte Trennung sein.
Wir wollen am liebsten unter uns bleiben.
Alles soll so bleiben, wie es ist.
Solche Einstellungen kennen Sie sicher aus verschiedenen Bereichen.
In manchen Vereinen ist das so, auch manchmal in Gruppen in der Gemeinde: Da kommt so leicht niemand hinein. Oder das Gemeindezentrum wird geschlossen gehalten, damit es schön sauber bleibt. Und es gibt auch in der Großwetterlage unserer Kirche – in Deutschland und auch in anderen Weltgegenden – diese Tendenz: „Bitte geschlossen halten!“ Bitte nichts ändern an den alten, vertraut gewordenen Abläufen, Formen, Strukturen!
Oft ist Angst hinter einer solchen Haltung zu spüren: Es könnte ja, wenn man nicht alles fest zu macht, sich alles verflüchtigen – so wie die Wärme aus einer geheizten Kirche. Und wenn man nur die Türen geschlossen hielte, könne man das alles sicher behalten und bewahren.

Denn wir leiden darunter, dass es der Kirche (oder auch dem Orden) so schlecht geht, dass wir keine Leute mehr haben, dass keiner mehr kommt oder kandidiert… Und wir hätten gern, dass es wieder aufwärts geht mit der Kirche – mit unserer Gemeinde, mit unserem Kloster. Es soll wieder so werden, wie wir es von früher in Erinnerung haben: Das Gemeindeleben blüht, die Gottesdienste sind lebendig und gut gefüllt, die Priesterseminare und Noviziate ebenso. Ein erfolgreicher, mitgliedsstarker Verein also? Ein funktionierendes System?
Wenn das an erster Stelle steht, wenn dahin alle unsere Kräfte und Gedanken (und auch Gelder) fließen, dann sollten die Alarmglocken angehen. Papst Franziskus hat dieses „Nur-auf-sich-selbst-Schauen“, das wir als Kirche manchmal haben, als „Selbstbezüglichkeit“ bezeichnet und als Krankheit diagnostiziert. Eine solche Nabelschau macht das Denken eng und klein – und auch hoffnungslos.

Und dann hören wir, was der Engel Gottes der Gemeinde in Philadelphia ausrichtet:
„Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann.“
Der Albtraum aller Kirchenpfleger und Hausmeister, Cellerare und auch der Umweltbeauftragten!
Wo kommen wir denn da hin: Eine offene Tür, die niemand mehr schließen kann!
Aber diese geöffnete Tür hat Gott selbst hingesetzt.
Eine weit geöffnete Tür – und niemand kann sie schließen.

Mich erinnert diese Tür an das Fenster, das Johannes XXIII öffnete
so wie erzählt wird, als beredte Geste auf die Frage nach dem Warum und Wozu eines Konzils. „Ecco – schaut!“ soll er gesagt haben. Frischer Wind sollte hinein in die Kirche, aber auch: Die Kirche sollte endlich den Blick nicht mehr verschließen vor dem, was draußen in der Welt so vor sich ging! Das war der große Perspektivenwechsel, den Johannes XXIII mit dem Konzil angestoßen hat: Dass Kirche und Welt eben nicht strikt getrennte, ganz unterschiedliche Bereiche sind, sondern dass wir als die Kirche immer Teil der Welt sind – und dafür verantwortlich und sogar verpflichtet, mit allen Menschen guten Willens gemeinsam diese Welt zu gestalten. Und Samen der Hoffnung in ihre Furchen zu säen. Weil es nämlich letztlich gar nicht um uns geht, sondern um etwas viel Größeres: Das Reich Gottes, die neue, andere Wirklichkeit, mit der Gott mitten unter uns schon begonnen hat! Und die nicht nur (und vielleicht gar nicht mal zuerst) die Kirche ergreifen und durchdringen soll, sondern alle Menschen – die ganze Welt!

„Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann.“
Die Tür zwischen „Drinnen“ und „Draußen“ ist längst geöffnet. Nur wir merken das manchmal nicht. Humorvoll, aber auch etwas traurig beschreibt Papst Franziskus das so:
„In der Offenbarung sagt Jesus, er stehe an der Tür und klopfe an. Ganz offensichtlich meint der Text, dass Jesus von außen an die Tür klopft, um einzutreten. Aber ich denke an die vielen Male, wo Jesus von innen anklopft, damit wir ihn herauslassen sollen. Die selbstbezogene / selbstbezügliche Kirche gibt vor, Jesus bei sich drinnen zu haben, und lässt ihn nicht hinaus!“(1)

Stellen Sie sich das mal vor: Jesus drängt es, hinauszugehen – wie er es immer getan hat, zu den Armen, zu denen, die keiner sieht und beachtet, zu den Hoffnungslosen und Abgeschriebenen, zu den Abgeschobenen… an die „existentiellen Peripherien“ (wie Papst Franziskus es nennt). Da, wo es um Leben oder Tod geht – oft seelisch und geistig, aber oft genug auch ganz praktisch und konkret. Klar, dass Jesus da hingehört, dass es ihn dorthin zieht – denn er wird doch dort gebraucht, diese Menschen brauchen ihn, brauchen die frohe Botschaft: „dass er den Armen eine gute Nachricht verkünde“ (Lk 4), dazu ist Jesus gekommen!
Und da wollen wir ihn bei uns behalten? Hinter verschlossenen Türen gar? Eine Kirche, die Jesus – und mit ihm die gute Nachricht vom Reich Gottes – einschließt und für sich behält? Nein, das ist nicht nur sehr seltsam, das wäre das Ende: Dann hätten wir nicht einmal mehr das Recht, uns „Kirche“ zu nennen = „die zum Herrn Jesus gehören“!

Aber zum Glück lässt Gott das nicht wirklich zu.
„Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann.“
Umdenken ist angesagt, anders denken, ganz neu denken.
Die Türen weit aufmachen und hinschauen, was da draußen passiert, in der Welt, die auch unsere Welt ist. Weil dort die gute Nachricht, das Evangelium, dringend gebraucht wird – weil wir dort gebraucht werden. Und auch, um zu sehen und zu staunen, wie dort an vielen Orten das Reich Gottes aufkeimt und wächst, wo wir es vielleicht gar nicht vermuten.
Und eigentlich ist Gott längst schon „da draußen“, an den Rändern, an der „existentiellen Peripherie“. Wir sind nicht dazu da, als Missionare oder kirchliche SozialarbeiterInnen Gott dorthin zu bringen, in Slums und Urwälder, in die Flüchtlingsunterkünfte und Pflegeheime, an die Ränder auch unserer Gesellschaft. Gott ist längst schon dort. Und dort können wir ihm begegnen.
Einige Beispiele möchte ich nennen, auf die ich in der letzten Zeit aufmerksam geworden bin. Sie sollen allerdings nicht den eigenen Blick aus dem Fenster oder den Schritt hinaus vor die Tür ersetzen! Sicher fällt Ihnen dazu noch viel mehr ein.

Da gibt es eine Kirche im Ruhrgebiet, deren Türen sich für immer schließen sollten (2). Die Leute im Stadtviertel wollten sich mit dem Abriss nicht abfinden – und machten daraus ein Sozialzentrum, in dem Senioren und Schüler zu Mittag essen, geflüchtete Frauen Sprach- oder Nähkurse besuchen und Menschen in schwierigen Situationen Beratung finden. Das meiste machen und organisieren die Leute vor Ort, mit dem, was sie können und was sie haben. Ein Haus der offenen Türen, ein Hoffnungsort.

Da gibt es eine junge Frau, die ein Tattoo-Studio besitzt. Sie bietet Tattoos gegen Gewalt an. Frauen, die durch schwere Misshandlungen oder auch Selbstverletzungen Narben am Körper tragen, sticht sie kostenlos Tätowierungen auf die Haut - damit sie nicht mehr an ihre Verletzungen erinnert werden, sondern mit dem Geschehenen abschließen, sich selbst wieder gern anschauen und schön finden können (3). Sie macht das, weil sie den Frauen helfen möchte, besser mit ihrer Geschichte und ihrem Körper leben zu können. Und sie hört zu – stundenlang, während das Bild auf der Haut entsteht. Ein Tattoo-Studio als Ort, an dem Heilung geschieht und sich neue Türen in die Zukunft öffnen.

Und da ist das Café Luise – nein, nicht das nette Café hier in Münsterschwarzach, sondern an einem ganz anderen Ort: einer Justizvollzugsanstalt (4). Ehrenamtliche öffnen dieses kleine Café vor und während der Besuchszeiten, damit Familienangehörige einen Ort haben, wo sie – oft nach langer Anreise – zur Ruhe kommen, sich aufwärmen, einfach warten können, bevor sie in den Knast hinein dürfen. Oder auch Fragen stellen können, wenn sie vielleicht zum ersten Mal da sind oder wenn beim Besuch Probleme aufgetaucht sind. Kaffee und Kuchen gibt es umsonst. Niemand muss reden – aber es ist immer jemand da, der zuhört. In einem Haus mit vielen geschlossenen Türen ist das Café Luise ein niederschwelliger und zugleich geschützter Raum. Einen Angehörigen im Gefängnis zu besuchen ist schwierig und belastend. Die offene Tür des Café Luise macht es für manche Menschen ein bisschen leichter.

„Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann.“
Gott gehört uns nicht, wir können ihn nicht für uns behalten. Immer bleibt Gott größer als das, was wir von ihm wissen und denken, glauben und auch manchmal erfahren können. Gott lässt sich nicht einsperren – immer ist er (oder sie) anders, unverfügbar.
Ich glaube, das ist das Gebot der Stunde: Die Türen aufmachen und Gott herauslassen aus der Enge unserer kirchlichen Selbstbezogenheit. Oder zumindest unser enges Bild von Gott.

„Siehe, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann.“
Was hindert uns eigentlich daran?
Ist es die Angst, dass alles zusammenbrechen könnte? Oder die Angst um uns selbst: dass wir verlieren könnten, was uns Geborgenheit und Sicherheit schenkt und woran unser Herz hängt?
Ich glaube, wenn Gott zu uns sagt: „Ich habe vor dir eine Tür geöffnet“ , dann meint er es gut mit uns. Und deshalb dürfen wir das Vertrauen haben: „Du führst mich hinaus ins Weite“ (Ps 18,20 ) - Gott selbst geht mit, geht voraus, führt uns dahin. Weil er nicht will, dass unser Herz und unser Leben eng und klein ist, sondern weit!
„Du musst dich nicht fürchten“ - so singen wir gleich im traditionellen Psalm des Nachtgebets, dem Psalm 91. Alle möglichen Schrecknisse werden dort aufgezählt: Mord und Todesgefahr, Pest und Pfeile, Gefahren bei Tag und Nacht, auch die finsterste Finsternis, die uns zu verschlingen droht. Aber der Psalm sagt: „Du musst dich nicht fürchten.“ Bei Gott finden wir Geborgenheit. Schutz und Schirm, Schild und Schutz, und immer eine offene Tür. Gott liebt uns. Alle. Amen."

Dr. Ursula Silber, Sailauf

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1) „En el Apocalipsis Jesús dice que está a la puerta y llama. Evidentemente el texto se refiere a que golpea desde fuera la puerta para entrar… Pero pienso en las veces en que Jesús golpea desde dentro para que le dejemos salir. La Iglesia autorreferencial pretende a Jesucristo dentro de sí y no lo deja salir.“
Manuskript der Ansprache von Kardinal Jorge Bergoglio im Vor-Konklave am 26.3.2013, veröffentlicht von Kardinal Jorge Ortega 2017: http://cafefuerte.com/csociedad/2717-manuscrito-del-papa-francisco-es-revelado-en-la-habana/  (mit Abbildung der handschriftlichen Notiz, siehe Bilder)
2) St. Peter in Duisburg: https://www.pfarrei-liebfrauen-duisburg.de/2015/02/17/hoffnung-und-hilfe-in-der-alten-kirche/ St. Jakobus in Oberhausen: https://www.caritas.de/magazin/zeitschriften/sozialcourage/archiv/jahrgang-2017/artikel/pfarrkirche-st.-jakobus-bleibt-und-wir-auch 
3) https://www.jumpradio.de/thema/helden-des-jahres-taetowiererin-peggy-miksch-100.html 
4) http://www.jva-siegburg.nrw.de/infos/Cafe_Luise/index.php