Das eigentliche Brot des Lebens
Predigt von P. Placidus Berger OSB am 18. Sonntag im Jahreskreis.
Schon wieder geht’s um wunderbare Brotvermehrung, wie sie uns am letzten Sonntag vorgelesen wurde. Heute kommt eine nachgeschobene Erklärung aus dem Mund Jesu selbst. Es ist ein altes Thema in der Bibel, so daß wir allein in den Psalmen dauernd Texte lesen müssen, die uns sagen, dass der Schöpfer ein fürsorglicher Vater sei, der für hinreichende Ernährung aller lebenden Wesen sorgt. Ich erinnere mich noch an den Text des lateinischen Tischgebets, in dem wir früher jeden Tag singen mussten „imples omne animal benedictione“, „Du erfüllst jedes Lebewesen mit Segen“. Gemeint ist nach dem Kontext im Psalm natürlich der Segen auf Speis und Trank, und nicht nur für Menschen, sondern sogar für alle Tiere. Wer einen Geschmack davon haben will, der lese nur einmal Psalm 104.
Wenn man dauernd mit solchen realitätsfernen Texten konfrontiert wird, dann fragt man sich früher oder später „Ja haben denn die biblischen Schriftsteller in einer Art theologischem Delirium geschrieben? Denn im Gegensatz dazu bringen uns die Massenmedien dauernd Berichte von Hungerkatastrophen und unterernährten Kindern, die massenhaft und elend sterben müssen. Ja, selbst über verendete Kühe in einem von der Sonne verbrannten Gebet bekommen wir immer wieder Bilder in den Nachrichten vorgesetzt.
Das muss jeden Philosophen, Theologen und Prediger in einen intellektuellen Notstand versetzen. Kann das denn wirklich Gottes Offenbarung sein? Denn die ganze Menschheitsgeschichte widerspricht diesen biblischen Aussagen.
Rein bibeltheologisch müsste man jetzt sagen „Ja-es könnte“. Wenn etwas nur sporadisch in der Bibel gesagt wird, dann muss es nicht gleich göttliche Offenbarung sein. Wenn es sich aber wie ein roter Faden durch die gesamte Bibel hindurchzieht (AT und NT), dann wäre es ein Indiz für göttliche Offenbarung. Und das Thema „Gott sorgt für die Ernährung seines Volkes“ zieht sich über die ganze Bibel hin. Wie reimt sich das aber zusammen mit den häufigen Hunger-Katastrophen?
Die Theologen haben denn auch mehrere Fluchtwege ersonnen, um aus diesem Dilemma herauszukommen. Einige davon will ich erklären.
1. Fluchtweg: Ein altes lateinisches Sprichwort sagt „fama crescit eundo“ eine Nachricht wächst mit dem mündlichen Weitererzählen. Dabei werden von Generation zu Generation immer mehr hübsche Nettigkeiten hinzugefügt. Am Schluss kommt das heraus, was uns am letzten Sonntag vorgelesen wurde.
2. Fluchtweg: absichtliche Text-Redaktion, deutlicher gesagt Verschlimmbesserung. Einigen biblischen Ideologen haben die ursprünglichen Texte nicht gefallen, und daher haben sie die Texte so abgeändert, dass eine großartige Geschichte herauskam, die zwar auf einfache Gemüter einen Mords-Eindruck macht, aber für nachdenkliche Geister unglaubwürdig wirkt. Die Wissenschaft spricht in diesem Fall von Text-Verschmutzungen.
3. Fluchtweg: Spiritualisierung. Man sucht in einem irdischen Text einen überirdischen, angeblich höheren Sinn. Einzelne Figuren werden dann allegorisch, d.h. symbolisch oder mythisch verwendet. Dabei wird der Text um ein oder mehrere Stockwerke nach oben katapultiert. Diese Deutung hat immerhin den Vorteil, dass der Zuhörer einigermaßen feststellen kann, ob die Deutung mit der Realität übereinstimmt oder nicht. Diese märchenhafte Darstellung wird gern in der religiösen Kunst verwendet.
4. Fluchtweg: Eschatologische Deutung: das heißt, man sagt der Text finde seine Erfüllung erst am Ende der Welt oder nachher. Damit kann man phantastische Weltbilder aufbauen, so dass manche frommen Seelen leicht ins Schwärmen kommen. Aber es kann auch der Fluchtweg schlechthin sein, denn man flieht damit aus der irdischen Wirklichkeit. Es ist auch die billigste Form der Deutung, denn man kann weder nachweisen dass sie stimmt, noch kann man beweisen, dass sie nicht stimmt. Bei dieser Deutung kommt es entscheidend auf die bibel-theologische Autorität der Person an, die sie vorträgt.
Welche Deutung gibt uns nun Jesus im heutigen Evangelium? Jesus sagt, es sei ein Zeichen gewesen, das sie aber nicht erkannt haben. Das Wort Wunder nimmt er nicht in den Mund. Und dann: Müht euch um die Speise, die bleibt für das ewige Leben. Das entspricht eindeutig dem 3. und 4. Beispiel, das ich eben oben gebracht habe. Und er setzt sogar noch eins drauf und sagt: Ich bin das Brot des Lebens. Manche häufige Messbesucher werden dabei vielleicht gleich an das eucharistische Brot denken. Aber Jesus dürfte zu diesem Zeitpunkt eher seine Verkündigung, also seine Worte gemeint haben. Denn man sagt mit Recht, Jesu Worte seien eine Speise für die hungernden Seelen.
Hilft uns das weiter? Nicht hundertprozentig, aber es ist eine Art Trost für unsere Seelen. Warum lässt die Kirche dann aber Jahr für Jahr solche Texte immer wieder vorlesen? - Antwort: Damit wir uns über die Wirkungsgeschichte dieser Texte in der Kirchengeschichte klar werden.
Solche Texte haben in der Kirche von Anfang an und bis auf heute das Bewusstsein gestärkt „Wir dürfen unsere Hunger leidenden Mitchristen nicht im Stich lassen, wir müssen für sie sorgen“. Und diese Sorge hat zwei tausend Jahre lang unser soziales Verhalten den hungernden Menschen gegenüber geprägt.
Ja, dieses Bewusstsein haben heutzutage sogar unsere Kinder, soweit man sie noch katholisch nennen kann. Ich spreche von den Sternsingern. Bei ihnen blüht das Bewusstsein „Wir müssen mithelfen, um hungernde, kranke und mittellose Kinder in der ganzen Welt zu unterstützen“. Was diese unsere Kinder leisten ist phantastisch. Keine andere private oder staatliche Kinderorganisation in der ganzen Welt kann da mithalten. Diese Kinder sind ein Glanzpunkt unserer Kirche. Und ihre gläubige Einsatzbereitschaft wurde durch Texte wie das heutige Evangelium und ähnliche geweckt.
Aber der hl. Augustinus gibt uns noch einen anderen wichtigen Gesichtspunkt zum heutigen Evangelium zu bedenken. Er sagt: Denkt nicht so sehr an diese Berichte von wunderbarer Brotvermehrung, sondern daran, dass Gott jedes Jahr ein noch viel größeres Wunder wirkt, indem er immer wieder unvorstellbare Mengen von Nahrungsmitteln aus der Erde sprossen und uns ernten lässt, um Mensch und Tier zu ernähren. Dies sind jährliche Wunder, die man nachprüfen kann. Man braucht dazu keine Spiritualisierung und keine Eschatologie. Dieses Argument des hl. Augustinus ist überzeugender als ein Schriftstück von vor 2000 Jahren, bei dem man die Zuverlässigkeit des Zeugen nicht nachprüfen kann.
Was Jesus tat, war in diesem Zusammenhang nur ein „Zeichen“, wie er selbst sagte. Und was muss unsere immerwährende Reaktion darauf sein? Dankbarkeit für die Gaben und Bereitschaft das Zeichen Jesu auf unsere Weise und mit unseren Kräften immer erneut Wirklichkeit werden zu lassen.
Amen