„Dann sind wir alle Krippe“
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe Mitbrüder,
es ist der 4. Advent und Heilig Abend.
Als Kind sagten mir die Eltern: Wenn die vierte Kerze brennt, dann kommt das Christkind - und ich weiß noch wie enttäuscht ich war, dass die vierte Kerze angezündet wurde und man dann immer noch einige Tage, manchmal fast eine Woche auf Heilig Abend warten musste. Aber in diesem Jahr stimmt es.
Zu Ihrem und unserem Heilig-Abend-Ritual gehört der Besuch dieser ersten Weihnachtsvesper. Ich nehme an, Sie haben zuhause schon alles gerichtet, der Baum steht und ist geschmückt, der Abend gut geplant - so wie immer…
… und dazu gehört auch eine Krippe. Manche Familien haben Krippen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, andere haben sich bei der Gründung der Familie eine Krippe gekauft oder mit den Kindern selbst gebastelt.
Sie erinnert uns beim Betrachten an das, was wir eigentlich feiern:
an Weihnachten wird aus dem Hören des Wortes Gottes ein Schauen und Erkennen, ein tieferes Erkennen, wer Gott ist und wer wir selber sind.
Wir in der Abteikirche haben jedes Jahr eine andere Krippe - oft aus fernen Ländern, Afrika, Südamerika, Asien oder selbst gestaltete.
In diesem Jahr ist es eine sehr klassische, traditionelle deutsche Weihnachtskrippe – wie sie vielleicht ähnliche Figuren zuhause haben, aus Gips bemalt oder in Holz geschnitzt.
Maria kniet … Josef… ein Hirte mit seinem Sohn, Schafe… die drei Könige sind auch schon da …
Als ich diese Krippe zum ersten Mal sah, dachte ich, dass die Figuren viel zu eng stehen. Es bräuchte viel mehr Platz, viel mehr Raum.
Dann hat Pater Meinrad die Figuren einmal etwas weiter auseinander gestellt und es wurde deutlich, dass die Teilnehmer der Krippe alle irgendwie auf den Boden schauen … und nicht auf das Kind. Sie müssen so eng stehen, damit sie das Kind sehen, und dieses enge Zusammenrücken, drückt auch etwas von der Geborgenheit aus, von wirklich Zusammenstehen um die Mitte … sie drängeln sich…
Alle schauen auf das Kind, alle haben Blickkontakt mit dem Kind.
Und das kleine Kind wird nicht rot, es ist ihm auch nicht peinlich, wenn alle auf es schauen, es scheint sich eher zu freuen.
Vielen von uns ist es peinlich, wenn alle auf uns schauen, wenn wir im Mittelpunkt stehen, uns fällt dann nichts mehr ein, wir werden eher rot und kommen ins Schwitzen.
Das Kind in der Krippe, wie jedes kleine Kind, es ist einfach nur da. Es ist ganz es selber, es ist ganz unverstellt, rein, heil, heilig.
Und wenn wir kleine Kinder anschauen, dann kommt etwas zurück zu uns, es verändert unseren Blick, und oft entlockt es uns ein Lächeln, eine Freude, es öffnet unser Herz.
Nicht nur, dass die Figuren zu eng zusammenstehen, es fehlt auch das Krippenhaus wie wir es kennen, der halb verfallene Stall, das Stroh….die traute deutsche Landschaft.
Die Szene ist eingebettet in die Nabe eines Weltenrades, oder in die Mitte des Globus.
Aus der Sicht von uns Christen ist das Geschehen von Weihnachten, die Menschwerdung Gottes, die Nabe, das innerste Pünktchen, die Mitte der Welt.
Dass wir uns nicht missverstehen, wir stellen uns nicht über andere Religionen, als ob wir etwas Besseres wären – aber wir glauben, dass durch die Liebe Gottes, die in Jesus sichtbar wurde, alle Menschen angenommen und geliebt sind, jeder Einzelne.
Und deshalb sind die vielen Gesichter sehr passend, es sind alles verschiedene Gesichter, aus aller Welt, sie wiederholen sich nicht, meines und Ihres sind auch dabei.
Oder wir könnten es auch umdrehen - und vielleicht passt es so noch besser:
Wir sitzen hier und schauen von außen auf die Krippe, auf den Globus, das Weltenrad,
wir schauen auf die Bilder, aber eigentlich möchte das Kind bei uns, mitten unter uns hier sein.
Wäre es nicht noch stimmiger, wenn wir das Kind aus der Krippe nehmen und es zu Ihnen, zu uns, in unsere Mitte legen … dann sind wir alle Krippe…. gehören alle dazu: Josef, Maria, Melchior, Oliver, Frank, Petra…. sind eine lebendige Krippe.
Es ist für Gott eine große Freude bei den Menschen zu wohnen.
Oder stimmt es vielleicht noch mehr, wenn ich das Kind ganz zur mir nehme, ganz in mich hinein nehme, ich selbst zur Krippe werde und spüre: Er ist die Mitte meines Lebens, er ist in mir, er will in mir geboren werden - es ist seine Freude, bei mir zu wohnen.
Liebe Schwestern und Brüder,
Weihnachten ist nicht außen, es ist innen und es geht um das innerste Pünktchen, die Nabe, den Mittelpunkt der Welt – es geht um Dich und mich.
In diesem Sinne Ihnen und uns allen einen gesegneten Heiligen Abend und eine frohe Weihnacht! Amen.
Abt Michael Reepen OSB