Abschied ist ein schweres Wort
Liebe Schwestern und Brüder,
Abschiede sind für viele nicht leicht. Abschiede tragen etwas Endgültiges und Abgründiges in sich, Trauer und Glück liegen eng beieinander. Zum Ende eines Seminars im Gästehaus oder anderswo, z.B. nach einer Familienzusammenkunft oder dem Besuch von Freunden lassen sich verschiedene Abschiedstypen beobachten: Die einen tun so, als ob es kein Abschied wäre, andere schleichen sich einfach davon oder sagen nur kurz „Tschüss“. Wieder andere brechen sogar noch einen Konflikt vom Zaun, um es sich leichter zu machen. Das zeigt, wie schwer es für viele nach einer gemeinsamen Zeit ist, Abschied voneinander zu nehmen, mit der Ungewissheit, ob und wann man sich wieder sehen wird.
Nicht so bei Jesus. Wir sind in der Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten – Jesus ist nicht mehr unter den Jüngern und der Geist von Pfingsten ist noch nicht auf sie herabgekommen. In dieser Zeit hören wir die Abschiedsrede Jesu vor seiner Passion. Diese Rede aus dem Johannesevangelium wird seit David Chytreus im 16. Jh. das Hohepriesterliche Gebet genannt.
Es ist weniger eine Rede, als vielmehr ein Gebet, in dem Jesus noch einmal zusammenfasst, worum es ihm in seinem Wirken geht: Nämlich darum, die Herrlichkeit Gottes in dieser Welt aufleuchten zu lassen in seiner Liebe, die sich im Kreuzestod vollendet, UND uns mit hinein zu nehmen in diese Liebe.
Das drückt er aus durch die intime Vater-Sohn-Beziehung zwischen ihm und seinem Gott: „Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein.“ (V 21b) Dieses Bild von der innigen Liebe Jesu zu Gott, soll also auch ein Bild für unsere Liebe zu Gott sein.
Die Verse "Sie sollen eins sein, wie wir eins sind“ und „Alle sollen eins sein“ sind Lieblingsstellen für alle ökumenischen Bewegungen bis heute. Die Gefahr der Spaltung war ja von Anfang an gegeben, weshalb schon im Johannesevangelium die Einheit ein wichtiges Anliegen war, für das gebetet werden soll.
Aber Johannes hat mit der Bitte um Einheit nicht nur die Kirche, eine Union von Institutionen im Blick, sondern jeden einzelnen Menschen.
Wir erfahren uns oft genug als innerlich gespalten und zerrissen zwischen unseren verschiedenen Emotionen, zwischen Licht und Schatten in uns, zwischen Geist und Leib, Einsamkeit und Verbundenheit.
In seinem Leben und Sterben vereinigt Jesus diese Gegensätze. In ihm ist die Einheit zwischen Geist und Materie, zwischen Himmel und Erde verwirklicht.
Jesus zeigt uns durch sein Vorbild den Weg, wie auch wir in diese Einheit gelangen, in dem wir in unsere Abgründe hinabsteigen, sie erkennen und annehmen, um alles Dunkle, Chaotische und Kranke darin Gott anzuvertrauen. Nur wer in die Tiefe geht, findet die Melodie seines Lebens.
Das ist der Weg der Einswerdung. Wer immer mehr mit sich eins geworden ist, der wird auch mehr und mehr fähig, mit anderen Menschen eins zu werden. Und umgekehrt: Wir finden unsere Einzigartigkeit nur, in dem wir unsere innere Einheit mit anderen, mit Gott und seiner ganzen Schöpfung entdecken. Der Mensch wird am DU zum ICH, wie es der jüdische Philosoph Martin Buber ausdrückt.
Dieser Wille zur Einheit wird zur Sendung, zur Mission für jeden Christen, als ein glaubhafter Zeuge der Liebe Jesu und ein Bote des Friedens „So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt glaubt und erkennt, dass du mich gesandt hast“ (V 23/21)
„Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein.“ (V 21b) Wenn diese innige Liebe Jesu zu Gott, auch unser Herz ergreift, unsere Liebe zu Gott wird, dann werden die kleinen und großen Abschiede im Leben leichter. Der französische Denker Gabriel Marcel drückt es so aus: „Einen Menschen lieben, heißt ihm sagen, du wirst nicht sterben“.
Das meint: Wer mit der ganzen Kraft seines Herzens zur Liebe erweckt wurde, betritt einen Raum zeitloser Gegenwart, welche ihn verbindet mit der ewigen Gegenwart Gottes, in der alle und alles, was je geliebt wurde, aufgehoben und geborgen ist.
In diese Liebe nimmt uns das Johannes-Evangelium hinein. Vertrauen wir auf die Kraft der Worte Jesu. Wenn wir sein Wort meditieren, haben wir schon Anteil an Gottes Herrlichkeit und sind schon hineingenommen in Gottes Liebe. Selbst im Abschied unseres Todes wird dann nur offenbar, was bereits Wirklichkeit ist. Der Tod ist entmachtet worden. Er kann uns nicht zerstören. Er ist der endgültige Übergang in die Herrlichkeit Gottes. Ein Abschied ins wahre Leben.
In guten Abschieden verdichtet sich noch einmal die Beziehungserfahrung miteinander. Jede Begegnung gräbt sich mehr oder weniger in unsere Lebensspur hinein. Gute Abschiede sind erfüllt von Dankbarkeit und Sinnhaftigkeit. Sie setzen eine Kraft frei, geben das gute Gefühl, etwas beendet zu haben und damit die Freiheit und Aufbruchstimmung für etwas Neues.
Ohne Abschied gibt es kein Wiedersehen. Pfingsten darf kommen.
Pater Richard Maria Kuchenbuch