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So geht es nicht weiter!

Predigt – Predigt von Abt Michael Reepen OSB in der 1. Weihnachtsvesper Liebe Schwestern und Brüder,liebe Mitbrüder, diese erste Weihnachtsvesper mit uns Mönchen gehört für viele von Ihnen einfach dazu, so beginnt Weihnachten bei Ihnen und bei uns. Jedes Jahr der gleiche Ablauf: wie es nach dem Gottesdienst zuhause weitergeht, was es zu Essen gibt, wie die Feier am Christbaum ist, mit Bescherung…. Es muss uns irgendwie gut tun, denn sonst würden wir es ja nicht jedes Jahr wieder so machen. In den festen Ritualen in den alten Bräuchen fühlt sich die Seele wohl. Es ist so ganz anders als der Satz, den wir das ganze Jahr über immer wieder hören: „So kann es nicht weitergehen - kein ,Weiter so’“. Alle politischen Parteien nehmen diesen Satz für sich in Anspruch: „So kann es nicht weiter gehen“ - in Deutschland, in der Welt, mit der Umwelt, mit der Wirtschaft, aber auch in der Kirche ist er zu hören: „So kann es nicht weiter gehen…“ Grundsätzliche Veränderungen stehen an, aber wie das gehen soll und was nicht weitergehen kann, da gehen die Meinungen oft weit auseinander. Da liegt großes Spaltungspotential in unserer Gesellschaft, in Kirche und Welt. Das reicht auch manchmal hinein bis in die Familien und ins Kloster. Alles ruft nach den Lösungen, nach Erlösung, nach dem Erlöser und immer mehr, besonders die Rechten rufen nach dem Führer, nach einem, der sagt, wo es langgeht.  Das Ganze weckt in vielen Menschen Aggressionen: Ärger, Wut, Zorn … Wir sehen es in Frankreich, wie die Leute auf die Straße gehen und auch bei uns gibt es immer wieder Ausbrüche von Aggression und Wut mit heftigen Beleidigungen in den neuen Medien bis zu konkreter Gewalt.So kann es doch nicht weitergehen. Ohnmacht stellt sich ein, dass ich ohne Macht bin, dass ich viele Dinge nicht ändern kann. Wie gehen wir um, mit Dingen, die wir nicht ändern können, die uns ratlos und hilflos machen im Großen und im Kleinen? Die uns aus dem Gleichgewicht bringen? Ich kann mir nur eingestehen, dass es so ist, ich bin dieser Situation gegenüber ohnmächtig. Ich kann nur den jeweils nächsten Schritt tun, auf Sicht fahren - und hören, hinhören, zu verstehen suchen, was da vor sich geht, was das meint, was der meint, ein tieferes Hören und Schauen um zu verstehen.
Anfang Advent kam ich in ein kleines Kirchlein aus dem 14. Jahrhundert. Darin war ein geschnitzter gotischer Altar. In der Mitte des Altares war eine Kreuzigungsszene. Auf den beiden Flügeln rechts und links waren Weihnachtszenen dargestellt.Links oben die Verkündigung, wie Maria im Buch liest und der Engel ihr die Botschaft bringt; darunter die Krippenszene, Maria kniet mit ausgebreiteten Armen, Josef steht dabei mit der Lampe, Ochs und Esel beugen sich vor und zwei Engel halten ein Tuch. Auf dem rechten Flügel die Beschneidung Jesu im Tempel und auf der Darstellung darunter sitzt interessanterweise Maria auf einem Thron und hält den drei Königen ihr Kind hin. Weihnachtsmotive wie sie uns vertraut sind, wie wir sie gut kennen, - gut kennen, ja vielleicht zu gut kennen…. Und plötzlich erschrecke ich, erst bei längerem Hinsehen fällt mir auf: Oh Gott, da fehlt ja das Kind auf dem Tuch vor Maria und Josef und Ochs und Esel. Da fehlt das Kind und es fällt gar nicht auf, keiner merkt es! Es läuft alles seinen Gang…. Bestimmt fällt es vielen Kirchenbesuchern gar nicht auf, dass da das Kind fehlt. Das Drumherum gibt uns den Anschein, dass alles in Ordnung ist, wir alles im Griff haben, wir so beschäftigt sind mit dem Gewohnten: alles gut zu organisieren, alles zu wissen und zu können…. Und merken plötzlich da ist eine Leere, da fehlt etwas, so kann es nicht weiter gehen bei mir und in der Welt, wir finden aus uns heraus nicht die Lösung, geschweige denn Erlösung.Vielleicht ist das unser Problem, dass wir die Mitte verloren haben, aus der Mitte gefallen sind oder sie zumindest verrutscht ist, dass wir den vergessen haben, um den sich alles dreht, Durch die Adventszeit hat uns hier in der Abteikirche beim Adventsgesteck ein Sklavenboot aus Ost Afrika begleitet, es steht immer noch da. Mir kommt es manchmal so vor als sitzen wir, unsere Gesellschaft, die Welt, die Kirche in dem Sklavenboot, angekettet wie die Sklaven damals, angetrieben: immer mehr, immer schneller, immer besser - da steht sogar einer mit einem Prügel bereit zuzuschlagen, brutale Macht auszuüben. Terror, subtilen Terror, Mobbing. Heute Abend steht noch ein anderes Boot da. Die Sklaven sind immer noch auf ihrem Platz, sie konnten nicht fliehen, mussten die Ohnmacht aushalten, aber plötzlich und unerwartet sind die Ketten weggefallen, sie halten sich fest an einem Seil, haben wieder Haltung und Würde, und in der Mitte des Bootes liegt ein neugeborenes Kind mit den Eltern Maria und Josef. ER legt sich mitten ins Sklavenboot, in unsere Mitte, in meine Mitte, in die Mitte der Welt. Welche Fesseln fallen da ab, welche neuen Möglichkeiten tauchen da auf - wenn wir ihn in die Mitte lassen, ihn als unseren Führer und Erlöser annehmen – dann geht es nicht mehr so weiter wie bisher, dann ändert sich alles. Dann ist Weihnachten.