P. Christoph zu erstem Bild des James-Webb-Weltraumteleskops
Im Interview mit Domradio.de zeigt sich die Klostersternwarte beeindruckt vom ersten "Deep-field"-Bild. Das Interview ist auf der Website don Domradio erschienen und wurde von Heike Sicconi geführt.
DOMRADIO.DE: Das James-Webb-Teleskop war an Weihnachten 2021 ins All gestartet. Mit welchen für Gefühlen haben Sie jetzt die Präsentation dieser ersten Aufnahme verfolgt?
P. Christoph Gerhard OSB: Wir waren sehr gespannt darauf, das Bild zu sehen. Bis dahin war es eine lange Strecke und es dauerte über ein halbes Jahr, bis es sich entfaltet hat, bis es am richtigen Ort war, bis es abgekühlt war und so weiter. Von daher waren wir schon sehr gespannt.
DOMRADIO.DE: Das Bild wirft einen Blick 13 Milliarden Jahre zurück in die frühe Geschichte des Universums, quasi in die Vergangenheit. Wie kann das sein?
P. Christoph: Das mit den 13 Milliarden Jahren ist eine schwierige Sache. Das müsste genauer analysiert werden. Das ist meines Wissens bislang noch gar nicht bestätigt oder zumindest nicht veröffentlicht worden. Was es aber mit der Vergangenheit auf sich hat, hängt mit der Lichtgeschwindigkeit zusammen. Alle Objekte, die wir sehen, sehen wir als ein Abbild dessen, was von Photonen, also Lichtteilchen, ausgesandt worden ist. Beim Mond sind das beispielsweise 380.000 Kilometer. Wenn das Licht also 300.000 Kilometer in der Sekunde zurücklegt, sehen wir den Mond, wie er vor 1,3 Sekunden war. Bei unserer Sonne sind das immerhin acht Minuten. Wir schauen praktisch immer in die Vergangenheit. Wenn man einen Galaxienhaufen sieht, der weit entfernt ist oder der vor langer Zeit sein Licht ausgesandt hat, bis es zur Erde gekommen ist, dann schauen wir Milliarden von Jahren in die Vergangenheit. Wir haben eine riesige Zeitmaschine und diese Zeitmaschine ist das Licht.
DOMRADIO.DE: Was ist auf dem Bild denn genau zu sehen?
P. Christoph: Es ist ein Galaxienhaufen und natürlich deshalb auch ausgesucht worden. Im Vordergrund steht eine Galaxie, die diesen Galaxienhaufen komplett verzerrt. Im Grunde genommen sieht man in der Mitte von diesem Bild neben dem hellen Stern rechts unterhalb eine diffuse Galaxie, die so etwas wie Gravitations-Linsen-Effekte in dieses Bild hineinbringt. Das heißt, sie verformt die Raumzeit und damit muss das Licht sozusagen um die Kurve. Das sind diese verzogenen Bilder von diesen Galaxien, die im Hintergrund stehen. Das sehen wir auf diesem Bild. Es ist zudem eine Nahinfrarot-Aufnahme. Wir sehen ein farbiges Bild, aber das würden wir natürlich mit unserem normalen Auge nicht so sehen, sondern diese Bilder sind mit Infrarotlicht, also mit Wärmestrahlung bis hin zur zehnfach längeren Wellenlänge abgebildet. Deswegen kann man auch so weit in die Vergangenheit zurückblicken.
DOMRADIO.DE: Das James-Webb-Teleskop ist bislang nicht nur das leistungsstärkste Teleskop sondern mit 10 Milliarden Dollar auch das teuerste. Warum lohnt sich das für die Forschung, so viel Geld auszugeben? Warum ist das von höchstem Interesse für die Menschheit?
P. Christoph: Es geht um die uralte Frage: Wo kommen wir her als Menschen? Und wo gehen wir hin? Das ist natürlich etwas, das wir gerne wissen und auch naturwissenschaftlich erforschen möchten. Dafür ist dieses Teleskop ein hervorragendes Arbeitsinstrument. Und wir würden natürlich gerne wissen, was da war am Anfang - zeitlich und physikalisch. Was ist da passiert und wie ist es bis zu uns gekommen? Und auch, wohin geht das Ganze? Die Naturwissenschaft möchte nicht nur die Vergangenheit erforschen, sondern möchte auch noch Voraussagen für die Zukunft treffen.
DOMRADIO.DE: Über den Anfang macht man sich auch in der Religion viele Gedanken. Sie selbst sind Ordensmann, verfolgen die neuesten Forschungsergebnisse mit Passion. Warum steht für Sie der Glaube in keinem Widerspruch dazu?
P. Christoph: In der Bibel heißt es "im Anfang" und nicht "am Anfang": "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde", sprich Gott ist der Schöpfer der Welt. Er hat diesen Anfang vor aller Zeit gesetzt. Erst mit der Physik, mit der Zeit, mit dem Urknall beginnt unsere Schöpfung. Erst dann setzen wir wieder mit der Astronomie an, "am Anfang", am zeitlichen Anfang. Dahinter können wir nicht schauen, weil die Physik da ihre Definition verliert, weil die Zeit damit anfing. Das ist der große Unterschied. Die Bibel schaut nicht als naturwissenschaftliches Buch zurück, sondern als theologisches Buch, als Buch der Glaubenserfahrungen mit diesem Gott. Das ist doch ein Glaubensbekenntnis, dass man sagt, im Anfang steht dieser Gott, der alles erschaffen hat. Zudem ist es auch eine qualitativ sehr starke Aussage. Er hat nämlich alles "gut" geschaffen. Die Schöpfungserzählung blickt jeden Tag zurück, auf das was da geschehen ist. Dabei ist klar, dass diese Tage keine zeitliche Abfolge sind, sondern im Grunde genommen ein Schöpfungsgedicht, ein Schöpfungslied auf den Schöpfer, das jeden Tag mit dem Lob abschließt, jeden Tag hat Gott alles sehr gut geschaffen.
Fotocredits: NASA, ESA, CSA, and STScI
P. Christoph schreibt auf seinem Blog www.klostersternwarte.de folgendes:
Die Vorbereitungen zu dem ersten "Deep field", wie das Bild auch von der NASA genannt wurde, liefen seit Jahrzehnten.
Immer wieder von neuen Problemen erfasst und vom Start her immer wieder verschoben und natürlich auch immer teurer wurde das Nachfolge Teleskop von "Hubble" im Weltraum: das James-Webb-Teleskop. Die Hindernisse waren äußerst zahlreich in den letzten Jahren, bis hin dazu, dass die Benennung nach einem ehemaligen Leiter der NASA mittlerweile in Astronomenkreisen hoch umstritten war. Aber am Weihnachtsfest 2021 hob das Teleskop an Bord einer Ariane-Rakete ab und flog zu seinem Ziel an einem speziellen Punkt im Weltraum, bei dem sich die Anziehungskraft der Erde und der Sonne fast aufheben.
Seither läuft es um eine spezielle Bahn, und das Teleskop durchlief in den letzten Monaten eine aufwendige Prozedur für die Kalibrierung der wissenschaftlichen Instrumente. Anfang Juli war diese so weit abgeschlossen, dass mit den ersten "richtigen" Bildern im Infrarot-Bereich begonnen werden konnte. Die Bilder sind also für das menschliche Auge so gar nicht sichtbar, da unser Sehorgan für diesen Wellenbereich gar nicht empfindlich ist. Das kurzwelligste Licht für das JWST ist für uns noch immer im roten Farbbereich. Das langwelligste Licht ist zehnmal länger in seiner Wellenlänge.
Dennoch sind wohl fast alle Astronomen auf der Welt beeindruckt von der Tiefe des Bildes. Eine unten stehende Bearbeitung des Bildes zeigt aber auch die Schwierigkeiten mit denen die Bilder zu kämpfen haben: die Artefakte der Sterne, die Streifen und selbst die Abbildung der Spiegelhalterung bei Galaxien (Stichwort: point spread function) sind alles andere als einfach zu behandeln und zu eliminieren. Da bleibt noch viel Arbeit für die NASA.