Kantorenwechsel in der Abtei Münsterschwarzach
Nach 14 Jahren übergibt Br. Jeremia Schwachhöfer OSB die Leitung der Choralschola an Br. Joel Schmidt OSB.
Fünfmal pro Tag. Sieben Tage die Woche. Zu jedem Gottesdienst, jeder Messe, fast jeder Gebetszeit singt der erste Kantor entweder allein oder mit der Choralschola vor. Er hat die Verantwortung für die komplette musikalische Gestaltung der Liturgie in der Abteikirche: Er sucht Stücke aus, bestimmt, ob und wer von den insgesamt elf Mitbrüdern der Schola singt, verteilt Noten, steht in Absprache mit den Organisten und übt mit der Schola für das Konventamt und zusätzlich für besondere Gottesdienste. Hinzu kommen Übungsstunden mit den Novizen und dem Konvent. Eine halbe Stunde pro Woche am Samstag für den Konvent, eine dreiviertel Stunde Choralsingen mit den Novizen. Ein beträchtliches zeitliches Pensum. Und dennoch hätte sich Br. Jeremia gewünscht, noch mehr Zeit für das Üben aufzuwenden.
Doch die Kantorenarbeit musste er immer neben seinem Beruf als Mathematik- und Religionslehrer am klostereigenen Egbert-Gymnasium bewältigen. Schon als Br. Jeremia 2014 Mitglied der Schulleitung wurde und seine Aufgaben nach und nach wuchsen, zeichnete sich ab, dass der Zeitaufwand auf Dauer nicht mehr zu schaffen war. Seit 2019 ist er stellvertretender Schulleiter am klostereigenen Egbert-Gymnasium. Das ist auch ohne Corona und die damit einhergehenden Zusatzaufgaben herausfordernd. Und die 2018 begonnene Generalsanierung des Egbert-Gymnasiums erfordert ebenfalls einen hohen Einsatz.
Mit Br. Joel, der seit Anfang des Jahres nach Studienzeit an der Hochschule Sant'Anselmo in Rom wieder fest zurück in Münsterschwarzach ist, tritt ein erfahrener Nachfolger den Dienst des ersten Kantors an. Vor seinem Ordenseintritt studierte er Musik mit den Hauptfächern Gesang und Ensembleleitung. "Von daher war es naheliegend, dass ich dieses Amt irgendwann übernehmen könnte. Der Zeitpunkt jetzt kam dann durch die immer höhere Arbeitsbelastung von Br. Jeremia im Schuldienst und meine Rückkehr in die Abtei." Von Februar bis Pfingsten hatten die beiden eine Übergangsphase bis zur endgültigen Übergabe. Besonders dankbar ist Br. Joel für die Unterstützung Br. Jeremias: "Momentan muss ich noch viel lernen und bin froh, dass ich mit ihm einen kompetenten und erfahrenen Ansprechpartner habe."
Br. Jeremia wünscht sich für seinen Nachfolger vor allem die Unterstützung des Konvents – und natürlich Freude an der Aufgabe. Die hat Br. Joel bereits jetzt: "Ich bin dankbar, dass ich eine Aufgabe bekommen habe, die meinen Fähigkeiten und meinen Interessen entspricht." Als Liturgiewissenschaftler promoviert er parallel an der Hochschule Sant'Anselmo und forscht über die Theologie des Gregorianischen Chorals. "So sind Theorie und Praxis gerade bei mir zu einer schönen Einheit zusammengewachsen."
Die Theorie und Praxis sollen auch die Kurse im Münsterschwarzacher Gästehaus zum Gregorianischen Choral vermitteln. Dieser hat in der Abtei ganz besondere Tradition – nicht nur weil hier seit über 1.200. Jahren Benediktiner leben. 1970 war das Jahr, als die Mönche zum ersten Mal gemeinsam deutsches Chorgebet sangen. Das Benediktinische Antiphonale, das Gesangbuch für das deutsche Stundengebet, entstand im gleichen Jahr unter maßgeblicher Führung von Godehard Joppich (damals noch Mönch der Abtei) und P. Rhabanus Erbacher OSB. Ein Meilenstein in der Liturgiegeschichte und auch eine Revolution. Bis dato beteten nämlich Brüder und Patres (Mönche mit Priesterweihe) getrennt. Heute längst überholt. Denn wäre es nach wie vor so, könnten weder Br. Jeremia noch Br. Joel Kantoren sein – und auch einige andere Mitglieder der Schola und somit tragende Stimmen würden fehlen.
Was man heute mitbringen muss, um in der Schola zu singen? Interesse, Eignung, Talent – und natürlich auch die Bereitschaft, Zeit in das Üben und das Lernen des Gregorianischen Chorals aufzuwenden. "Das merkt man aber ziemlich schnell im Noviziatsunterricht", erklärt Br. Jeremia. "Man sieht, ob jemand singen kann oder nicht und dann wird der Mitbruder angesprochen, ob er in der Schola singen möchte." Br. Joel ergänzt: "Eine schnelle Auffassungsgabe ist auch wichtig. Derjenige muss schon die Fähigkeit haben, vom Blatt zu singen, Noten zu lesen – und gerade beim gregorianischen Notenbild ist das durch die Quadratnotation und die adiastematische, also agogisch-rhythmische[,] Schrift, herausfordernd. Das muss man erst erfassen und auch lernen." Die Singstunden für Novizen und Postulanten gebe es zwar, aber für den Gesang in der Schola sei mehr notwendig.
Dieses "Mehr" drückt sich auch in einem guten Gehör aus. Wenn wenige Kantoren singen, geht es auch darum, aufeinander zu hören und selbst ein gutes Gefühl für die Intonation zu haben. "Der erste Kantor ist auch die Führungsstimme und die muss absolut sicher sein. Und Br. Jeremia ist bombensicher", sagt Br. Joel. "Ich kann mich gar nicht erinnern, dass er mal einen falschen Ton gesungen hätte." Zudem müsse der Kantor auch auf die Tagesform der Mitbrüder achten. Das große Ziel: ein einheitlicher, homogener Klang.
Ein Anspruch, der erst einmal erfüllt werden muss. Platz für Nervosität ist da für Br. Jeremia nicht mehr gewesen. "Und wenn doch einmal irgendetwas schief gelaufen ist, dann habe ich mich auch nicht geärgert. Außer es ist aus Nachlässigkeit passiert." Auch eine Einstellung, die Br. Joel von seinem Vorgänger übernommen hat. "Für mich ist der gregorianische Choral gesungenes Gebet und gesungenes Schriftwort. Mit dieser Haltung geht man da rein. Es ist ja nichts konzertant-performatives. Für mich muss die Seele da heraus sprechen."
Sein Wunsch für die Zukunft: die Qualität und den Stellenwert des Gesangs in der Abtei weiterhin so zu erhalten. "Dafür will ich mich einsetzen und hoffe natürlich, dass die Mitbrüder auch nach wie vor Interesse am Singen haben." Eine Herausforderung ist dabei auch die Größe der Abteikirche. "Da braucht es eine gewisse Qualität, damit unser responsorialer Gesang auch wirklich trägt. Und diesen Anspruch habe ich."