Er stürzt die Mächtigen vom Thron
Predigt von Abt Michael und Bilder der Feier vom Letzten Abendmahl am Gründonnerstag in der Abteikirche Münsterschwarzach.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wenn Sie schon seit Jahren mit uns den Gründonnerstag feiern, wissen Sie, dass ich zur Predigt mich gerne hier auf den Stuhl setze. Zum einen kommt es mir vor, als würden wir alle um den Tisch sitzen und ich bin auf gleicher Augenhöhe mit Ihnen. Zum anderen ist dieser Stuhl, auf dem ich sitze, eine Nachbildung der Kathedra Petri, des Petrus-Stuhles, der im Hochaltar von St. Peter in Rom eingebaut ist. Vor einem halben Jahr gab es neue Bilder von ihm, weil er restauriert wurde. Man kann da ganz deutlich die gestalterische Ähnlichkeit zu diesem Stuhl erkennen.
Hier bei uns ist natürlich noch eine Darstellung des heiligen Benedikt und der heiligen Mutter Felizitas drin, aber er ist insgesamt aufgebaut – so sagt es die Tradition – wie das Original des Lehrstuhls des heiligen Petrus. Es ist also ein Stuhl, von dem aus gelehrt wurde. In der Tradition der Kirche wurde daraus auch der Lehrstuhl, auf dem die Bischöfe sitzen und insbesondere der Bischof von Rom, also der Papst als Nachfolger der heiligen Petrus.
Aus diesem Lehrstuhl entwickelte sich auch der Thron, auf dem Bischöfe und Könige thronten als Ausdruck ihrer Autorität und Macht. Im Matthäusevangelium sagt Jesus über die Pharisäer: „Sie haben sich auf den Stuhl des Mose gesetzt und geben Anordnungen, aber sie handeln nicht danach“ (vgl. Mt 23,2-3). Das bedeutet: ihre Lehre ist nicht authentisch und ihre Autorität ist nicht glaubwürdig; sie haben ihre Macht missbraucht.
Im Magnifikat sagt Maria: „Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“ (Lk 1,52). In diesem Lobpsalm drückt Maria ihr freudiges Staunen über den wunderbaren Positionswechsel aus, der sich ereignet, wenn Gottes Wille geschieht. Denn Gott ist gerade den Angeschlagenen und Erniedrigten nahe und will sie heilen und emporheben.
Diese Erfahrung prägt bereits den Glauben der Menschen im Alten Testament: Gott setzt seine Macht ein, um die Gedemütigten zu entschädigen und zu erhöhen, um die Bedrückten und Betrübten zu beleben und zu erheben, um die trauernd Darniederliegenden zu trösten und ihnen aufzuhelfen (vgl. u.v.a. Ijob 5,11; Ps 34,19; Ps 51,19; Ps 145,14).
„Gott heilt, die gebrochenen Herzens sind, er verbindet ihre Wunden. […] Der Herr richtet auf die Gebeugten, er drückt die Frevler zu Boden“ (Ps 147,3.6).
Dieses Handeln Gottes hat Maria, die Mutter Jesu, selber erfahren: Sie, die Niedrige, die „Kleine“, wird erhöht, wird auf den Thron gesetzt.
Es ist eine Aussage über ihre Würde. Gott schaut nicht auf den äußeren Status, den sich ein Mensch nach den Maßstäben dieser Welt erringt, nicht auf Leistungen oder Erfolge, die er vorweisen kann, sondern auf sein Inneres, seine Seele, sein Herz. Darin liegt die Würde eines Menschen. Sie gründet darin, von Gott ewig geliebt zu sein.
In der Kunst wird dies ikonographisch in der Sedes Sapientiae, dem „Sitz der Weisheit“ oder in der Regina Coeli, der „thronenden Himmelskönigin“ dargestellt. – Gott setzt Maria auf den Thron und bestätigt damit die unbedingte Würde von uns Menschen.
.
Heute Abend verlässt Jesus seinen Thron, seine Kathedra, seinen Lehrstuhl und steigt hinab zu den Jüngern, zu ihren Füßen. Er wäscht ihnen die Füße und drückt damit seine dienende Zuwendung, seine liebende Hingabe aus, mit der er ihnen ganz nahe sein, sie berühren und heil machen will.
Indem Jesus so zu seinen Jüngern hinabsteigt, erhöht er sie, ja, er setzt sie gleichsam auf den Thron. Er lässt uns Menschen die königliche Würde spüren, die uns von Gott her zusteht: Wir dürfen auf dem Thron sitzen – wie Maria; ja, wie Er selbst!
Mit diesem Positionswechsel stellt das Evangelium eigentlich alles Gewohnte auf den Kopf. Wäre nicht die Fußwaschung und das gemeinsame Mahl die Lösung für viele Probleme der Welt von heute?
In der orthodoxen Tradition steht die Feindesliebe höher als die Nächstenliebe. Wenn jemand seinem Verräter die Füße wäscht, ist das viel mehr.
Stellen Sie sich vor, Präsident Putin steigt herab von seinem goldenen Thron und wäscht Präsident Selenskyj die Füße und Selenskyj wäscht Putin die Füße. Da sträuben einem fast die Nackenhaare.
Donald Trump wäscht einem Schwulen aus Mexiko die Füße. Und ein Flüchtling aus Südamerika wäscht Donald Trump die Füße. Und Präsident Netanyahu wäscht einem Hamas-Anhänger die Füße und ein Opfer des Gaza-Kriegs wäscht Netanyahu die Füße. Man kann es noch weiter treiben…
Liebe Schwestern und Brüder, ich weiß: diese Bilder sind kaum auszuhalten, weil wir es uns gar nicht vorstellen können, dass so etwas möglich ist. Aber wenn wir es nur mal versuchen anzudenken, es würde geschehen, dann könnten diese Menschen nicht mehr so weiter handeln wie bisher! Dann müssten sie von ihrem Thron hinuntersteigen. Dann müssten sie auf Augenhöhe miteinander Mahl halten, das Brot brechen und den Wein teilen.
Liebe Schwestern und Brüder,
Vielleicht haben wir haben uns an das Unmögliche schon gewöhnt, dass Gott herabgestiegen ist, einer von uns geworden ist, uns die Füße wäscht und Mahl mit uns hält.
Ich bin überzeugt, dass die Bilder des Gründonnerstages, die Worte und Handlungen Jesu im Abendmahlssaal, die Botschaft für den Friede in der Welt ist.
Und wir „Kleinen“, die wir jetzt hier in Münsterschwarzach vor Ort oder über den Live-Stream an diesem Geschehen des Gründonnerstags teilnehmen, wir können nur versuchen, uns in unserem kleinen Kreis zu überlegen:
Wem möchte ich die Füße waschen?
Wem möchte ich sie nicht waschen?
Was passiert, wenn ich es nur mal zulasse zu denken, dass ich es tue?
Und wer würde sich vielleicht sträuben, mir die Füße zu waschen?
Es nur mal denken… und auf meine Gefühle achten!
In diesem Jahr möchten wir die Fußwaschung so gestalten, dass die zwölf Männer und Frauen hier hochkommen. Nicht nur wegen meines operierten Knies, sondern auch und vor allem, um den genannten Positionswechsel sichtbar zu machen, ja Gottes aufrichtende Liebe erfahrbar zu machen.
So lade ich Sie und Euch ein, hierher zu kommen und sich auf den Thron zu setzen, als Zeichen Eurer Würde. Jede und jeder hat diese Würde, die uns niemand nehmen kann. Und dann wasche ich Euch auf dem Thron die Füße, als Zeichen der Liebe und der, vorbehaltlosen Annahme, die Gott uns schenkt.
Liebe Schwestern und Brüder, Sie alle dürfen sich nun innerlich auch auf den Thron setzen. Sie müssen sich nicht schämen. Das ist unsere Würde. In diesem Zeichen der dienenden Liebe, die an ihnen geschieht, liegt die Kraft in der sich die Welt verändern kann.
Amen.