Zum Hauptinhalt springen

Tiefster Ausdruck der Solidarität Gottes

Predigt von Abt Michael und Bilder der Feier vom Letzten Abendmahl am Gründonnerstag in der Abteikirche Münsterschwarzach.

Ich halte einen Atlas auf meinem Schoß –
streiche mit meinen Fingern über die Weltkarte
und frage flüsternd:
‚Wo tut es weh?‘
Der Atlas antwortet:
‚überall, überall, überall‘

Liebe Schwestern und Brüder,

dieses Gedicht von Warsan Shire, einer britischen Dichterin mit somalisch-kenianischen Wurzeln, hat uns in diesem Jahr durch die Fastenzeit begleitet.

Und jeden Tag haben wir über den Atlas gestrichen. In jeder Mittagshore haben wir unsere Finger über die Weltkarte gleiten lassen und gefragt: „Wo tut es weh?“ Wir haben unser Wochenthema aufgerufen und uns solidarisch mit den davon Betroffenen hingekniet, sind still geworden – haben uns treffen und berühren lassen.

Jeden Freitag in der Fastenzeit stellten wir uns dem neuen Wochenthema:

Krankheit – Wo tut es weh? – P. Dominikus hat uns in einer Predigt hingeführt zu kranken Menschen. Wir haben uns gefragt: Wo tut es unseren Brüdern weh?

Krieg – Flucht – Vertreibung – unsere „Arbeitsgruppe Flüchtlinge“ hat uns vom Schicksal unserer Flüchtlinge erzählt. – Wir sind froh, dass sie bei uns in der Abtei einen sicheren Raum haben.

Wir haben gehört, wie die Schöpfung ächzt und stöhnt. Haben uns von einem Bio-Landwirt berichten lassen, wie es um die Entwicklung der Landwirtschaft steht.

Sehr nah ging uns das Schicksal von Frauen in Not. Die Leiterin von SOLWODI in Bad Kissingen, einer Organisation für „Solidarität mit Frauen in Not“, berichtete von der Not, Ausbeutung und Brutalität gegen ausländische Frauen hier bei uns in Deutschland. – Wir sind erschrocken, auch über die große Zahl.

Vom „Kinder- & Jugendhospiz Sternenzelt“ in Bamberg hat uns die Leiterin von „Kinderleid“ erzählt, welches Leid Kinder und ihre Eltern und Familien haben mit unheilbaren Krankheiten und dem Tod von Kindern. – Es hat uns sehr berührt.

Und mit unseren Celleraren haben wir die immer größer werdende Kluft von Armut und Reichtum angeschaut, und gefragt wie es uns mit Armut und Reichtum geht.

Wir haben über diese Themen nicht diskutiert. Wir haben uns treffen, berühren lassen von dem, was wir gehört haben, und sind damit in die Stille, ins Gebet gegangen – solidarisch!

.

„Solidarisch“, so sagt das Synonymwörterbuch, meint: „füreinander, gemeinsam, verbunden, einstehend, verbündet, vereint, einträchtig, zusammenhaltend, übereinstimmend, eng verbunden, gleichgesinnt, geschlossen, vertrauensvoll, zuverlässig“.

Jesus blieb mit seinen Jüngerinnen und Jüngern nicht nur im vertrauten Kreis. Sondern sie gingen immer wieder hinaus zu den Menschen und ließ sich von ihrem Schmerz, ihrem „da wo es weh tut“ berühren, betreffen.

„Was willst Du, dass ich dir tue?“, fragt Jesus den Blinden (Mk 10,51). „Wo tut es weh?“ Das ist echtes Interesse am Wohl des Anderen und der Wille, ernsthaft dazu beizutragen, dass es dem Anderen gut geht. Beim Evangelisten Lukas heißt es öfter im Griechischen „esplanchnìstä“: es ging Jesus „an die Eingeweide“; im Deutschen sagen wir dazu: „es ging ihm an die Nieren“.

Jesus wusste, was die Menschen bewegt, er ließ es sich an die Nieren gehen, war solidarisch, war eins mit ihnen.  Der tiefste Ausdruck dieser Solidarität Gottes mit dem Menschen ist das Kreuz. Am Kreuz wurde Jesus solidarisch mit dem Leid aller Menschen.

Es gibt kein Leid und keinen Schmerz in der Welt, den er nicht selber ertragen und erlitten hätte.

Auf unserem Fastentuch hinter mir sehen wir, wie Jesus sich ganz hinunter lässt, wie seine Liebe, sein Herzblut hinunterströmt über die ganze Welt; über jedes Leid und jeden Schmerz. Und dieses Liebes-Blut strömt auch zu uns, zu mir.

Er fragt mich: Michael, wo tut es weh? Silke, Josua, wo tut es weh? Er will mit seiner Liebe auch meine Wunden heilen. 

Heute am Gründonnerstag strömt diese Liebe, sein Liebes-Blut hinab zu unseren Füßen, zu meinen Füßen – da, wo mein Schatten, mein Dunkel, mein Schmutz, meine Unerlöstheit ist.

Er sagt zu mir: Ich bin ganz solidarisch mit Dir, Du bist zutiefst angenommen, zutiefst geliebt, so wie Du bist.

„Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir“ (Joh 13,8), sagt Jesus zu Petrus, der sich weigern will, sich die Füße waschen zu lassen. Darauf sagt Petrus: „Dann nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt“ (Joh 13,9) – und Jesus: „Wer vom Bad kommt, ist ganz rein und braucht sich nur noch die Füße zu waschen“ (Joh 13,10). 

Durch unsere Taufe sind wir gewaschen, sind wir ganz rein und haben Anteil an ihm, an seiner solidarischen Liebe. Diese sollen wir weitergeben, indem wir einander die Füße waschen. Füße waschen meint solidarisch sein.