"Wir ahnen nicht, wir verstehen nicht"
Predigt von Abt Michael Reepen OSB in der Osternacht.
Liebe Schwestern und Brüder!
Wie emotional nahe sind uns doch diese drei Frauen: Maria von Magdala, Johanna, und Maria, die Mutter des Jakobus. Sie haben schlimme Tage erlebt: die Verurteilung, den Kreuzweg, den Tod ihres Freundes, ihres Meisters, ihres Herrn. Wie nah sind sie doch vielen Menschen, die heute dieses Leid erleben! Wie nah sind sie den Menschen, die am Grabe stehen!
Wie nah sind sie auch uns!
Mit dem Tod ihres Freundes haben sie nicht gerechnet. Sie haben gehofft, dass er Israel erlösen wird, dass er das Heil bringt.
Auch wir haben nicht wirklich mit dem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine gerechnet. Auch wir haben nicht damit gerechnet, dass so ein Virus die ganze Welt krank machen kann und nicht in den Griff zu bekommen ist - bis heute. Auch wir wussten schon längst von der Umweltzerstörung und dem Klimawandel, aber haben einfach so weitergelebt. Wir hatten das Ausmaß und den Umgang mit dem Mißbrauch in der Kirche nie für möglich gehalten.
Und plötzlich ist das Unvermeidbare, das Schlimme da.
Und in dieser Situation tun die Frauen das, was einfach jetzt dran ist, was üblich ist: Sie kaufen Salben, wohlriechende Salben, und gehen in aller Frühe zum Grab, wo ihre Hoffnung, ihre Sehnsucht begraben ist. Sie ahnen nicht, was sie erwartet und sie verstehen auch zunächst nicht, was sie sehen.
Wie wir auch: Wir ahnen nicht, wir verstehen nicht.
Wie können wir Ostern 2022 feiern?
Und da sehen sie, dass der Stein vom Grab weggewälzt war; dass das Grab offen war. Sie gehen hinein und finden den Leichnam Jesu nicht. Der nächste Schock. Es macht sie ratlos, wie wenn die Schläge nicht aufhören wollen.
Aber da taucht Licht auf: Zwei Männer in leuchtenden Gewändern, zwei Engel stehen da. In dieser Dunkelheit in der sie stecken erschrecken sie vor dem Licht. Deshalb schauen sie zu Boden, weil sie geblendet sind von dem Licht mitten in der tiefsten Dunkelheit, mitten im tiefsten Grab.
Und die Männer sagen zu ihnen: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“
Der Totgeglaubte – lebt! Er ist auferstanden.
Und die Engel erinnern sie, „was er euch gesagt hat“: „Erinnert euch doch – ihr wisst es doch! Er hat es euch doch gesagt, dass er auferstehen wird nach drei Tagen!“ Aber sie haben’s bisher nicht geglaubt.
„Erinnert euch seiner Worte: „Der Menschensohn muss in die Hände sündiger Menschen ausgeliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen.“– Erinnert euch!
Aber wie können wir Ostern 2022 feiern?
Liebe Schwestern und Brüder!
Auch wir Mönche erinnern uns; wir erinnern uns an Ostern vor einem Jahr, 2021.
Alles war für die Osternacht bereitet, wir haben geprobt, die Kirche war geschmückt – und dann kam der erste Corona-Fall. Und wir waren noch nicht geimpft, es war noch die erste Variante, wir waren alle geschockt: wir mussten die Gottesdienste absagen, die Kirche schließen, das Kloster abriegeln und in Quarantäne gehen, das alles am Karsamstagnachmittag.
Und Ostern?
Irgendwann am Abende wurde uns klar: Wir können nicht einfach nicht Ostern feiern nur wegen dieses Virus!
Dann haben wir untereinander abgemacht: Wir treffen uns am frühen Morgen um 5 Uhr in der Kirche – ganz verteilt auf die große Kirche, damit wir uns gegenseitig nicht anstecken – und haben eine viel bescheidenere Liturgie als heute Abend gefeiert, auf das Wesentliche reduziert, und das „Halleluja“ war nur ganz zaghaft unter den Masken.
Wir wussten gar nicht, wie uns geschieht. Aber in dieser ganz schlichten Osternacht haben wir alle gespürt: Der Auferstandene ist in unserer Mitte. Er ist bei uns!
Das hat uns die Kraft und Zuversicht gegeben, dass wir auch die Corona-Situation überwinden werden. Dass wir da durchkommen.
Als Gemeinschaft sind wir sehr dankbar - und das haben wir später ausgedrückt in einer Dankwallfahrt nach Vierzehnheilgen . Gestärkt durch diese Erfahrung konnten wir auch relativ gelassen durch die Omikron-Welle der letzten Woche gehen, die uns fast alle erfasst hat.
Mitten im Schock, mitten im Leid gibt es doch immer wieder Ostererfahrungen, da bricht der Auferstandene doch immer wieder durch, zeigt er seine Nähe, ist er da!
Schmerzensmann in Dinklage
Und noch etwas hab’ ich entdeckt: Im Osterpaket, das wir in den Coronazeiten gepackt haben, gab es eine Postkarte vom „Tanzenden Schmerzensmann“ aus dem Kloster der Benediktinerinnen in Dinklage: eine Schnitzarbeit aus dem 14. Jahrhundert.
Der Schmerzensmann, der Auferstandene hebt die Hände, zeigt die Wunden und beginnt ganz zaghaft zu tanzen, setzt den rechten Fuß vor– wie wenn er das Leben wieder neu in sich spürt, jenseits der Schmerzen und der Wunden. Tanzen – trotz allem! – „Du wandelst in Tanz meine Klage“ beten wir im Psalm:
Auf der Kartenrückseite steht ein Text von Madeleine Delbrêl: „Je mehr man stirbt, desto mehr tanzt man“. Gerade im Gegensatz, im total Anderen, löst sich das scheinbar Leblose auf im Tanz. Mechthild von Magdeburg sagt: „Ich tanze, Herr, wenn du mich führst. Soll ich sehr springen, musst du anfangen zu singen. Dann springe ich […] über alle menschlichen Sinne“. – Der Ostertanz!
Die Frauen vom Grab waren zunächst noch gelähmt, unbewegt wie der Schmerzensmann aber dann kommen sie immer mehr ins Laufen, ins Tanzen und ins Singen und tragen die Botschaft zu den Aposteln.
Und das wünsch’ ich uns auch: dass wir – trotz allem – mit dem „Schmerzensmann“ tanzen und singen und „Halleluja“ singen gegen alles Andere und die Frohe Botschaft in diese Welt tragen.
Unsere Taufgelübde, die wir jetzt erneuern, möchten uns Mut zum Leben machen: dass diese Lebendigkeit und Freude in unser Herz einzieht.
Amen.