Was wichtiger ist als der Reichtum ...
Als Antonius, ein reicher Ägypter, mit 18 Jahren um das Jahr 300 das heutige Evangelium hörte, da nahm er es wörtlich. Er ging hin und verkaufte all seinen Besitz und ging in die Wüste. Damit löste er eine Bewegung aus, die auch heute noch die Kirche lebendig hält: die Bewegung des Mönchtums. Doch den Jüngern Jesu machte damals die Begegnung Jesu mit dem reichen Mann hat Angst. Und vielleicht reagieren auch heute manche mit Angst auf diesen Text. Sollen wir alles, was wir besitzen, verkaufen? Dürfen wir uns nicht an dem freuen, was wir uns erarbeitet haben und was wir jetzt besitzen? Es gibt doch das berechtigte Bedürfnis, Besitz zu erwerben, um die Angst vor der drohenden Altersarmut zu bannen, um in Ruhe leben zu können.
Matthäus spricht von einem jungen Mann. Im heutigen Markusevangelium ist dagegen nur von "jemandem", von "einem" die Rede. Das könnte jeder von uns sein, jeder Mann und jede Frau. Vielleicht geht es uns wie diesem "einen" im Evangelium. Wir leben korrekt. Wir haben das Gefühl, alle Gebote zu halten. Aber wir sind noch nicht zufrieden mit unserem Leben. Wir wollen mehr. Jesus schaut den reichen Mann an. Im Griechischen heißt es: emplepsas = er schaute in ihn hinein, er erkannte im Schauen sein Innerstes. Und da erkennt er seine tiefe Sehnsucht nach ewigen Leben, nach wirklichem Leben. Und Jesus gewinnt ihn lieb. Er erkennt, dass dieser Mann noch zu anderem berufen ist, als nur die Gebote Gottes zu halten. „Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“ (10,21) Jesus spürt, dass in diesem Mann noch mehr steckt. Er möchte vielmehr diesen Mann auf den Weg rufen, auf dem er seine wahren Möglichkeiten und Fähigkeiten verwirklichen kann.
Um das Jahr 200 hat der griechische Theologe Clemens von Alexandrien diese Stelle von der griechischen Philosophie her gedeutet. Das "Eine" fehlt dem Mann. Das "Eine" drückt die Sehnsucht der Griechen aus, die unter der Vielfalt litten, die den Menschen auseinander reißen kann. Die Griechen sehnen sich danach, eins zu sein mit sich selbst und eins mit dem einen Gott. Um des "Einen" willen soll der Mann alles verkaufen, dann wird er einen bleibenden Schatz im Himmel haben. Das meint nicht, dass wir nach diesem Leben belohnt werden. Vielmehr steht der Schatz immer für das wahre Selbst, für das einmalige Bild, das Gott sich von jedem von uns gemacht hat. Es ist im Himmel, in dem inneren Raum der Stille auf dem Grund unserer Seele. Dort sind wir eins mit Gott, eins mit uns selbst und eins mit allen Menschen.
Es geht Jesus darum, dass jeder einzelne seine persönliche Lebensspur findet. Und Jesus weiß, dass wir oft nur den Spuren folgen, die andere uns vorgegeben haben. Der reiche Mann ist einfach der Spur gefolgt, die ihm seine Eltern gewiesen haben durch den Reichtum, den sie ihm hinterlassen haben. Jesus spürt, dass dieser Mann nicht zufrieden ist mit seinem Leben. Er möchte mehr. Jesus möchte ihn nicht überfordern. Er möchte ihn ermutigen, seinen Weg zu gehen. Dazu aber muss er sich befreien von allem, was ihn innerlich bestimmt. Das ist für diesen Mann der Besitz. Der Mann wäre wahrhaft frei, wenn er seinen Besitz verkaufen würde. Für andere, die Jesus nachfolgen, ist es nicht der Besitz, von dem sie sich trennen müssen, sondern vielleicht der eigene Erfolg, das eigene Gottesbild, das eigene Selbstbild, die Vorstellungen, die sie sich vom Leben gemacht haben, ihre Gewohnheiten, ihre Beziehungen. Vielleicht ist es meine Ideologie, an der ich festhalte. Oder aber es ist ein Mensch, der mich innerlich bestimmt. Und ich sollte mich von ihm lösen, damit ich meinen Weg gehen kann.
Wir sollen uns von Jesus anschauen und in unser Inneres schauen lassen. Und wir sollen selbst in uns hineinschauen, um die tiefste Sehnsucht in uns zu erkennen. Wenn ich mit meiner tiefsten Sehnsucht in Berührung komme, dann werde ich erkennen, was mich am Leben hindert. Woran klammere ich mich fest? Manchmal ist es ein Lebensmuster, das mich zwar beeinträchtigt, an dem ich aber trotzdem festhalte. Manchmal ist es der Groll, die Bitterkeit oder die Opferrolle, von der ich mich verabschieden sollte. Oder aber es sind Illusionen, die ich mir über mein Leben gemacht habe. Wenn ich mich von Jesus anschauen lasse, erkenne ich vielleicht, dass ich mich auf manches festgelegt habe, auf eine bestimmte Ideologie, auf Gewohnheiten, die mich im Griff haben. Vor lauter Festlegen hat Gott keinen Platz. Etwas loszulassen macht Angst. Doch die Angst bindet mich und hindert mich an der Freiheit. Bei dem Mann war die Angst größer als die Sehnsucht nach dem ewigen Leben, nach wirklichem Leben. So geht er traurig weg. Die Geschichte will mich mahnen, nicht traurig wegzugehen, sondern mich von dem zu lösen, was mich bindet. Dann werde ich in der Nachfolge Jesu Freiheit und Weite erfahren.
Obwohl die Jünger Jesu nicht sehr reich waren, sind sie bestürzt über die Worte Jesu, dass die, die viel besitzen, nur schwer in das Reich Gottes kommen. Jesus reagiert auf ihre Bestürzung, indem er sie noch mehr provoziert: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ (10,25) Jesus will mit diesem schockierenden Wort nicht den Reichtum an sich verdammen. Denn der Reichtum ist nicht in sich schlecht. Doch der Reichtum trägt in sich die Gefahr, dass wir uns mit ihm identifizieren und dass wir uns dahinter verstecken. C.G. Jung meint, der Besitz habe die Tendenz, unsere Maske zu verstärken. Er hindert uns daran, zu unserem wahren Selbst zu gelangen. Wer den Mangel an Selbstwertgefühl in sich spürt, versucht diesen Mangel oft durch möglichst viel Geld auszufüllen. Doch dann schneidet er sich immer mehr von seinem Selbst ab. Eine Frau erzählte mir von ihrem Mann, der wirtschaftlich sehr erfolgreich ist. Sie kann mit ihm nicht mehr vernünftig sprechen. Er redet immer nur vom Geld, von Sex und Macht. Die Frau spürt, dass ihr Mann sich durch seine Fixierung auf den Reichtum von seinem eigenem Herzen abgeschnitten hat. Er hat letztlich keinen Zugang mehr zu sich selbst. Das meint Jesus, wenn er sagt, dass der Reiche nicht in das Reich Gottes kommen kann. Er wird vom Reichtum beherrscht, daher kann Gott nicht in ihm herrschen. Wenn Gott in mir herrscht, werde ich nicht mehr beherrscht von meinen Bedürfnissen, dann bin ich wahrhaft frei. Und zu dieser Freiheit möchte uns Jesus führen mit seinen Worten vom Reichtum.
Die Jünger erschrecken über die radikale Haltung Jesu zum Reichtum. Und sie fragen: "Wer kann dann noch gerettet werden?" Das griechische Wort "sothenai" meint: Wer kann dann noch befreit werden, erlöst werden, wer kann sein wahres Selbst bewahren? So können wir vielleicht auch fragen: Wie können wir bei den vielen Einflüssen und Angeboten, die von allen Seiten auf uns einströmen, unser Selbst schützen" Jesus antwortet auf diese zweifelnde Frage: „Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich.“ (10,27) Gott kann selbst das Herz des Reichen noch erreichen und es für das Reich Gottes öffnen. Auch der, der sich an seinen Besitz bindet, kann durch ein erschütterndes Erlebnis auf einmal frei werden von seiner Bindung. Auf einmal geht es ihm auf, dass es noch andere Werte gibt, dass das Ziel seines Lebens nicht im Reichtum liegt, sondern darin, in das Reich Gottes einzugehen. Und Gott kann auch uns durch das Nadelöhr in das Reich Gottes führen, indem er unsere Masken zerbricht durch ein Wort, durch eine Begegnung, durch eine leidvolle Erfahrung oder auch durch einen lieben Menschen, den wir durch den Tod verloren haben und der uns jetzt auf eine andere Dimension des Lebens hinweist.
Wir feiern jetzt in der Eucharistie, dass wir eins werden mit Jesus und durch ihn mit Gott und mit uns selbst und mit allen Menschen, die mit uns Mahl halten. So wünsche ich uns allen, dass wir aus der Vielfalt zur Einheit kommen, aus der Zerstreuung zur Ganzheit, aus der Abhängigkeit in die Freiheit und aus der Gier in die Liebe. Amen.