Friedensarbeit beginnt bei uns selbst
Liebe Schwestern, liebe Brüder im Glauben,
ich weiß nicht, wie es Ihnen eben erging, als sie das Evangelium gehört haben? Ist die Frohe Botschaft, dass tiefer innerer und äußerer Friede und das Reich Gottes uns nahe ist, nicht ziemlich weit weg von unseren alltäglichen Erfahrungen?
Geht es uns im Blick auf uns selbst und im Blick auf die ganze Welt nicht gerade umgekehrt: Wo ist denn da wirklicher Friede? Herrscht nicht in vielen Regionen der Welt Unfrieden, Krieg, Terror, Zerrissenheit und Hoffnungslosigkeit? Wie gehen wir um mit unserer Traurigkeit, mit ungestillten Sehnsüchten, Hunger nach Liebe, Geborgenheit und Angenommensein? Wie sollen wir uns selbst mit den 72 anderen Jüngerinnen und Jüngern aussenden lassen in unsere Dörfer und Städte, wenn wir selbst unter dem Mangel an Frieden leiden? Hier ist es sehr tröstlich, dass die Jünger zunächst selbst Erfahrungen mit Jesus sammeln durften, wie sie in seiner Gegenwart selbst Erfahrungen der Heilung und des Friedens machen durften.
Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, wie der Friede in uns selbst Voraussetzung ist, um in der Welt Frieden zu stiften:
Ein Kind wollte mit seinem Vater spielen. Da der Vater weder Zeit noch Lust zum Spielen hatte, kam ihm eine Idee, um das Kind zu beschäftigen. In einer Zeitung fand er eine detailreiche Abbildung der Erde. Er riss das Blatt mit der Weltkugel aus der Zeitung und zerschnitt es in viele kleine Einzelteile. Das Kind, das Puzzles liebte, machte sich sofort ans Werk und der Vater zog sich zufrieden zurück. Aber schon nach kurzer Zeit kam das Kind mit dem vollständigen Welt-Bild. Der Vater war verblüfft und wollte wissen, wie es möglich war, in so kurzer Zeit die Einzelteile zu ordnen. „Das war ganz einfach!“, antwortete das Kind stolz. „Auf der Rückseite des Blattes war ein Mensch abgebildet. Damit habe ich begonnen. Und als der Mensch in Ordnung war, war es auch die Welt.“
Es scheint so, dass wir – bevor wir uns aussenden lassen – doch bei uns selbst mit der Friedensarbeit beginnen müssen oder dürfen. Wie können wir also selbst wieder in Ordnung kommen und tiefen inneren und äußeren Frieden finden?
Am Beispiel Jesu können wir sehen, dass er zu Beginn seines öffentlichen Wirkens in der Taufe am Jordan die Urerfahrung der bedingungslosen Liebe Gottes machen durfte – „Du bist mein geliebter Sohn! Du gefällst mir!“ So geht es auch bei uns zunächst um die Heilung unserer Urwunde, dass wir uns – zumindest punktuell – ungeliebt und ungeborgen erfahren haben. Wir sehnen uns danach, als die gesehen, angenommen und geliebt zu werden, die wir im tiefsten unseres Wesens sind. In einem solchen Angenommen sein, stellt sich tiefer Frieden ein.
Der Glaube möchte uns solche Erfahrungen vermitteln: wenn wir uns Gott nähern – beim Propheten Jesaja im Bild der Stadt Jerusalem ausgedrückt – dann ist er für uns da wie eine Mutter mit ihrer tröstenden Brust, die alle Sehnsüchte stillt: „Trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum!“ – so heißt es in der Lesung. Die Kinder des Glaubens, die sich bei Gott „stillen lassen“, werden wie auf den Armen getragen und auf den Knien geschaukelt. Wer sich diesem Gott des Friedens zuwendet – im Gebet, in einer Kirche, in der Natur, in einer Eucharistiefeier – und sich ihm ganz hingibt, wird Frieden finden.
Dass eine solche kindliche totale Hingabe an Gott auch Angst machen kann, sehen wir sogar am Weg Jesu selbst. Der Weg der Hingabe am Kreuz endet dort aber nicht, sondern mündet letztendlich in der Auferstehung – in der Erfahrung, dass das Leben – auch unser Leben – letztendlich unsterblich und ewig ist. Das Kreuz zeigt sich vielmehr als Tür oder Tor zu einem solch tiefen Frieden, der selbst vor dem Tod keine Angst mehr hat.
Es gibt in unserer Tradition die verschiedensten Weisen, sich Gott hinzugeben: in dienender Liebe für die Menschen da zu sein oder sich stellvertretend konkret an einen Menschen hinzugeben und in einem solchen kleinen „Ego-Tod“ zu erfahren, dass hinter der Hingabe eine größere Freiheit, eine größere Weite und Liebe und tiefer Friede erfahrbar werden. In der Nachfolge Christi gibt es neben der Hingabe am Kreuz auch noch zwei weitere recht bekannte Wege, um in göttlichen Frieden geführt zu werden: zum einen die Pieta und zum anderen der sogenannte Gnadenstuhl. Wenn wir uns in einer Situation der Not „wie ein Kind“ in das Bild der Pieta ergeben – uns selbst in die Arme Mariens legen, kann uns die Erfahrung des tiefst möglichen Angenommen seins geschenkt werden – gerade in unserer Schwäche und Ohnmacht. Oder ähnlich in der „Erfahrung des Gnadenstuhls“. In der Darstellung des Gnadenstuhls befindet sich Jesus am Kreuz, das im Schoß von Gott Vater liegt. Auch hier sind wir eingeladen, uns mit Jesus am Kreuz wie in den mütterlichen Schoß Gottes fallen zu lassen und in dieser Hingabe in einem wirkmächtigen Bild zu erfahren, dass gerade im Akt des totalen Loslassens und Übergebens an Gott, er uns total annimmt und hält und trägt und einen Frieden schenkt, der jenseits aller Ängste liegt.
Wenn wir einen solchen Trost des mütterlichen Reichtums Gottes erfahren dürfen, dann – so sagt es wieder der Prophet Jesaja – dann wird euer Herz sich freuen und ihr werdet aufblühen wie frisches Gras.
Mit anfänglichen Erfahrungen des Friedens – oder einfach auch in einem total kindlichen Vertrauen – dürfen wir uns dann auch zu zweit in unsere kleine Welt schicken lassen, rückgebunden an Gott, den Menschen, denen wir begegnen, ein Stück dieses inneren Friedens zu schenken. Nur durch unsere Gegenwart können diese Menschen dann ein wenig dieses Angenommen seins erfahren – und so auch ein Stück Heilung ihrer Urwunde.
Friedensarbeit heißt dann vor allem: selbst in die Versöhnung und in Frieden mit sich, mit den anderen Menschen und mit Gott zu kommen, um letztendlich Frieden zu sein. Dann ist die Friedensarbeit auch nicht schwer, weil wir selbst zu Orten des Friedens geworden sind.
Im Frieden zu sein, ist aber nun kein fertiger Zustand, sondern immer wieder ein Weg und Prozess: immer wieder geht es um die Aussöhnung aller Stimmungslagen und negativen Gedankenströme in uns, deren Annahme und deren Übergabe auf Gott hin. Es geht letztlich darum, dass wir uns immer wieder – in jedem Augenblick –diesem Gott überlassen. Wenn wir uns in seine Hände und Arme legen, verwandelt er unseren „Leib des Unfriedens“ in seinen „Leib des Friedens“.
Und wie sich das Licht Christi in der Osternacht als Licht des Friedens von Kerze zu Kerze ausbreitet, so will unser Glaube, dass sich unsere angstbesetzten Zellen im Körper vom „Frieden im Herzen“ mehr und mehr anstecken lassen, bis der ganze Körper wie ein Sauerteig voller Frieden ist. Und so könnte schließlich auch der „Weltkörper“ von den Friedens-zellen der verschiedensten Menschen und Gemeinschaften mehr und mehr durchsäuert werden, bis wir in den Vereinigten Nationen wirklich eine Friedensunion verwirklichen.
Möge Gott uns dazu seinen größtmöglichen Beistand senden! Amen.
Pater Jesaja Langenbacher OSB